Aus den Rathäusern

Gedankensplitter

Aus dem Malscher Ortsgeschehen. Als Malsch nach dem verlorenen 2. Weltkrieg über 400 Heimatvertriebene aufnehmen musste – Gedankensplitter. ...
Das Foto von Edmund Schmitt wurde in den 1950er Jahren aufgenommen und zeigt ihn vorne inmitten seiner Sangeskameraden.
Das Foto von Edmund Schmitt wurde in den 1950er Jahren aufgenommen und zeigt ihn vorne inmitten seiner Sangeskameraden.Foto: Edmund Schmitt

Aus dem Malscher Ortsgeschehen.

Als Malsch nach dem verlorenen 2. Weltkrieg über 400 Heimatvertriebene aufnehmen musste – Gedankensplitter.

Mein Bericht über die Einquartierung von über 400 Heimatvertriebenen nach dem verlorenen 2. Weltkrieg bescherte mir einige nützliche Gespräche mit Bürgern, die als Kinder von „Ureinwohnern“ diese damaligen Zwangseinweisungen miterlebt haben. Reinhold Gaier, der dieses Jahr seinen 90. Geburtstag feiern darf, kann sich noch sehr gut daran erinnern, dass in der Familie seines Vaters der Sohn einer Flüchtlingsfamilie einquartiert wurde, der mit ihm dann in die hiesige Volksschule kam und mit ihm aufwuchs Nikolaus Bös, der die Einquartierungen ebenfalls miterlebte, wusste noch sehr viel von der Familie Kocholl zu berichten, die ebenfalls in Malsch eine neue Heimat fand und die von seinen Eltern sehr viel Gutes erfuhren durften. Ich selbst interessierte mich schon sehr früh an den Schicksalen der Heimatvertriebenen. Und Jahre später kam ich im Rahmen meiner Ausbildung zum Beamten des gehobenen Dienstes beim Versorgungsamt Heidelberg selbst mit dem Schicksal der Heimatvertriebenen in Berührung. Schon als Jugendlicher sang ich beim MGV Frohsinn Malsch mit. Meine Sangeskameraden setzten sich aus vielen Heimatvertriebenen zusammen. Auf Anhieb fallen mir Namen wie Artur Bujnoch, Hans Kocholl, Rudolf Rocher, Ludwig Longin, Kaspar Striffler, Herbert Heinisch, Gerhard Scherka, Ludwig Longin oder Franz Wolfgang. Sie alle erzählten mir nach den Singstunden, was sie so alles auf der Flucht in den Westen erlebt hatten. Greifen wir von allen Heimatvertriebenen die Familie Wolfgang heraus. An den Vater von Franz Wolfgang kann ich mich noch ganz gut erinnern. Dieser war bei seiner Ankunft in Malsch ein sichtlich abgeschaffter kleiner Mann. Von Franz Wolfgang weiß ich, dass er am 17. April 1934 in Oberfröschau geboren wurde. Oberfröschau lag im Sudetenland, bestand aus knapp 1200 Einwohnern und lag ganz nahe an der österreichischen Grenze. Im Frühjahr 1945, also zum Kriegsende, befanden sich Millionen von Volksdeutschen aus den Ostgebieten auf der Flucht vor der heranrückenden Sowjetischen Armee. Wer in seiner Heimat zurückblieb, der wurde - mit Zwang - vertrieben. Das Schicksal der Vertreibung widerfuhr Tausenden und Abertausenden von Volksdeutschen. Großeltern, Vater, Mutter und Kinder wurden all' ihrer Habe beraubt und in Transportzüge eingezwängt in den Westen verschafft. Was Adolf Hitler kurz vorher den Juden angetan hatte, sollte sich jetzt wiederholen. Viele Väter unter den Heimatvertriebenen befanden sich noch in russischen GULAGS (Arbeitslager) und kamen erst Jahre später zu ihren Familien im Westen zurück. Wohl denen Familien, wo auch der Vater in den Transporten mit dabei gewesen ist! Nachdem die über 400 Heimatvertriebenen in Malsch einquartiert waren, zählte jeder fünfte Malscher Bürger zu den Heimatvertriebenen. Für den damaligen Bürgermeister Josef Bös und seinen Gemeinderat waren die zwangsweisen Einquartierungen alles andere als einfach. In Malsch gab es – wie auch anderswo – viele Nazis. Ich schrieb in meinem ersten Bericht, dass den Heimatvertriebenen viel Hass entgegenschlug. Und dieser Hass stammte überwiegend von genau diesen Hitlerfreunden. Malsch bestand damals aus fast 99,9-prozentigen Katholiken, denen das Gebot der Nächstenliebe noch heilig war. Und jetzt muss ich nochmals auf Bürgermeister Josef Bös und seinem seinerzeitigen Gemeinderat zurückkommen. Gemeinderat Peter Bender, den ich noch kennen lernen durfte (er erreichte ein biblisches Alter), war bis zu seinem Lebensende ein überzeugter Katholik und wurde von den Alliierten beauftragt, die Schaffung von Wohnraum für die Heimatvertriebenen voranzutreiben. Im Zusammenspiel mit Bürgermeister Josef Bös gelang es ihm, diese Mammutaufgabe zu aller Zufriedenheit zu meistern. Franz Wolfgang und seine Familie hatten insofern Glück, als ihr Fluchtweg in den Westen nur wenige Kilometer betrug. Bei den in diesem Bericht von mir genannten weiteren Heimatvertriebenen ging es um Vieles grausamer zu. Mein Sangesfreund Artur Bujnoch erzählte mir, dass die Volksdeutschen derart grausam behandelt wurden – die Tschechen ertränkten hochschwangere deutsche Frauen im Dorfteich und misshandelten junge Männer – aber auch hilflose alte Deutsche - auf das Grässlichste, dass sogar Soldaten die Sowjetische Armee eingriff und den Deutschen Schutz vor dem tschechischen Mob gewährten. Und wie ging es mit den Heimatvertriebenen - hauptsächlich mit Franz Wolfgang – weiter? Jedenfalls kamen die Wolfgangs unbehelligt in Österreich an. Dort absolvierte er bei der Firma Funda in Wiesloch eine Lehre als Blechner, Installateur und Heizungsmonteur. Er zählte zu den ersten Söhnen der Heimatvertriebenen, welche eine Malscherin heirateten. Darüber hinaus integrierte sich Franz in vielen Malscher Ortsvereinen. Er sang nicht nur im MGV, sondern auch im Kirchenchor aktiv mit. Und weil er auch ein großer Liebhaber von Gottes Schöpfung war, trat Franz auch dem Verein der Vogelfreunde Malsch bei. Viele Vereine durften von dem handwerklichen Geschick von Franz Wolfgang teilhaben. Durch seinen immensen Fleiß war es ihm möglich, schon bald nach seiner Heirat mit Fritz Klefenzes Schwester Marianne im Rosenweg 1 ein schmuckes Eigenheim zu erstellen. Franz sollte nicht alt werden. Im Alter von nur 66 Jahren holte ihn der Herr über Leben und Tod im Milleniumsjahr 2000 zu sich. Das Foto von Edmund Schmitt wurde in den 1950er Jahren aufgenommen und zeigt ihn vorne inmitten seiner Sangeskameraden.

Foto: Edmund Schmitt

Text: Reinhold Stegmeier

Anhang
Dokument
Erscheinung
Malscher Gemeinde Rundschau
NUSSBAUM+
Ausgabe 36/2024

Orte

Malsch (bei Wiesloch)

Kategorien

Aus den Rathäusern
von Gemeinde Malsch bei Heidelberg
04.09.2024
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