Jesus kam auf die Erde, um Mensch zu werden und unter den Menschen, wie einer von ihnen, zu leben. Von Beginn an wurde er in die Gemeinschaft von Menschen eingeschlossen: Seine Eltern waren Maria und Josef. Er hatte Freunde wie Martha, Maria und Lazarus, er wuchs als Jude in jüdischer Gemeinschaft auf. Sein Verwandter war Johannes der Täufer, von dem sich Jesus als Erwachsener taufen ließ. Es gibt mehrere Verfilmungen der Jesus-Geschichte, die besonders sein Leiden und den grausamen Tod verdeutlichen. In der Verfilmung „Die Bibel – Jesus“ aus den 90er-Jahren wird auch deutlich, wie Jesus diese Gemeinschaft zu seiner Familie, seinen Freunden und Jünger*innen gelebt haben muss. Man sieht Szenen, wie er mit seinen Eltern über seine Berufung spricht, wie seine Mutter ihn ermutigt, sein erstes Wunder zu vollbringen oder wie er mit seinen Jüngern Spaß hat und sie eine kleine Wasserschlacht führen. Während seines Dienstes in Galiläa und später in Jerusalem begegnen uns immer wieder Erzählungen darüber, wie er mit den Menschen gesprochen hat, als er sie geheilt, befreit oder ihnen von Gottes Reich erzählt hat. Er wusste immer genau, was er sagen und was er nicht sagen sollte, damit die Leute ermutigt wurden oder sie dadurch aufgerufen werden, über etwas Bestimmtes nachzudenken. Selbst bei seiner Anklage vor Pontius Pilatus wusste er genau, wie er ihm begegnen sollte: Er wehrte sich nicht, sondern stand dazu und antwortete Pilatus: „Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme“ (Johannes 18,37b). Schon im nächsten Kapitel lesen wir, dass Jesus zum Tode am Kreuz verurteilt wurde. Es gab Menschen um ihn herum, die ihn verspotteten, die ihn tot sehen wollten – seine eigenen Glaubensbrüder und -schwestern. Die römischen Soldaten machten sich einen Witz daraus, setzen ihm eine Dornenkrone auf, beschrifteten ein Schild mit der Aufschrift „König der Juden“ und losten um seinen Mantel. Andere Menschen, wie seine Mutter, seine Freunde und Jünger*innen trauerten um ihn. Petrus verleugnete, dass er Jesus kenne, und Judas verriet ihn für Geld, damit er gefangengenommen wurde.
Am Kreuz hängend waren einige der ihm nahestehenden Personen um Jesus versammelt. Es heißt in Johannes 19,25-27: „Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria Magdalena. Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“ Wer ist dieser Jünger, „den Jesus liebhatte“? Die Rede ist von Johannes (vgl. Johannes 13,23), der auch das Evangelium schrieb. Er war einer der engsten Jünger von Jesus und ging z. B. mit Petrus und Jakobus auf den Berg der Verklärung (vgl. Matthäus 17,1). Johannes spricht von sich selbst als derjenige, den Jesus liebhatte. Das muss nicht bedeuten, dass er Vorrang vor den anderen Jüngern hatte oder bevorzugt wurde. Er hatte wohl eine enge Verbindung zu Jesus. Ich stelle es mir schwer vor, wie Johannes, aber auch die anderen sich gefühlt haben müssen, Jesus leidend und sterbend am Kreuz zu sehen. Aus ihrer Sicht verloren sie in diesem Moment ihren Sohn, ihren Freund, ihren Rabbi, ihren Messias. Das, was sie zuvor noch voller Hoffnung sein ließ, dass er sie retten wird, und wie sie gesehen haben, welche Wunder Jesus vollbringen kann, wurde in einem einzigen Moment zerstört.
Solche Situationen begegnen uns auch tagtäglich: Wir haben einen Plan für den Tag gehabt, haben Termine vereinbart, gehen unserer Arbeit nach und dann kommt ein Anruf oder eine Nachricht, die uns zutiefst erschüttert – von einem Moment auf den anderen. In solchen Momenten wird man aus seinem Alltag gerissen, man kann nicht mehr klar denken, die Hoffnung ist verloren, alles, wofür ich gekämpft habe, ist zunichte gemacht worden. So muss es auch Judas gegangen sein, der Jesus für Geld verraten hat. Er hat die Hoffnung verloren. In dem Lied „Heart full of holes“ von Neal Morse, einem amerikanischen christlichen Musiker, wird aus der Sicht des Judas dargestellt, wie verzweifelt er gewesen sein muss, dass Jesus die Menschen nicht in einen Krieg gegen die Ungerechtigkeit geführt hat, sondern den römischen Soldaten und jüdischen Gelehrten in die Hände gefallen ist. Im Chorus heißt es:
Because dark is the night
Weil die Nacht dunkel ist,
We won‘t make it alone
können wir es nicht allein schaffen,
Cause we all need your light for our souls
weil wir alle dein Licht für unsere Seelen brauchen
Yes, we need your supply
Ja, wir brauchen deine Fürsorge,
Cause we’ve got hearts full of holes
weil wir Herzen voller Löcher haben.
Yes, we all need your light for our souls
Ja, wir alle brauchen dein Licht für unsere Seelen
Wir wissen, dass Judas sich, nachdem Jesus gekreuzigt wurde, erhängt hat. Seine Verzweiflung hat ihn zum Tod geführt. Das ist natürlich ein extremes Beispiel, wie manche Menschen mit ihrer Verzweiflung umgehen. Die anderen Jünger zogen sich zurück. Einige, wie Johannes, gingen ans Grab, um nach ihm zu sehen. Als Jesus auferstanden war, traute Thomas seinen Augen nicht – er musste Jesu Wundmale berühren, damit er glauben konnte, dass Jesus wirklich auferstanden war. Jesus wünscht sich nicht den Tod für uns. Er wünscht sich auch nicht, dass wir uns zurückziehen. Manches läuft nicht so, wie wir uns es vorgestellt haben, doch trägt Jesus nicht die Schuld dafür. Er ist es, der uns einen Weg aufzeigen möchte, der gut für uns ist, auch wenn er manchmal mit Schmerz und Traurigkeit verbunden ist. Er kennt den Weg zur Heilung, Wiederherstellung, zur Versöhnung, Hoffnung und Glauben. Er gibt uns neue Perspektiven, damit wir aufatmen können – er füllt unser Herz mit Liebe, Geduld und Vertrauen, wenn es voller Löcher ist.
Ostern ist nicht nur eine Zeit der Erinnerung, des Gedenkens an Jesu Tod, sondern es ist auch ein Aufruf, sich mit Jesus und dem Grund seines Todes und seiner Auferstehung zu beschäftigen, was dies für mich persönlich und meinen Weg mit Gott bedeutet. Lassen Sie uns nicht nur darüber nachdenken, sondern auch aktiv werden und auf Jesus im Gebet, mit Bitten, Flehen und Danksagung zugehen: „Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus“ (Philipper 4,6-7).
Frohe und gesegnete Ostern wünscht
Anne Keller
Diakonin der Evangelischen Kirchengemeinde St. Georgen-Tennenbronn