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Dies und das

Aus unserer Reihe „Kriegskinder“ – heute: Erinnerungen von Oskar Reiser aus Zeutern

Oskar Reiser, Jahrgang 1934, aus Zeutern erlebte den Krieg hautnah als Kind einer Gastwirtsfamilie. Im elterlichen Gasthaus „Zum Ritter“ traf...
Zeutern, Hauptstraße 49, Ritter, um 1900
Zeutern, Hauptstraße 49, Ritter, um 1900Foto: Generallandesarchiv

Oskar Reiser, Jahrgang 1934, aus Zeutern erlebte den Krieg hautnah als Kind einer Gastwirtsfamilie. Im elterlichen Gasthaus „Zum Ritter“ traf sich das halbe Dorf, hier wurde geredet und das Zeitgeschehen diskutiert. Man unterschätzt die Kinder meist, denn auch sie spitzen die Ohren und bekommen vieles mit. So auch der kleine Oskar, der stets in der Gaststube herumwuselte und dadurch immer gut informiert war. Besonders in den Kriegsjahren gab es daher stets etwas, das Oskar aufschnappte.

So war er auch bestens informiert über die Vorschriften der Sperrstunden und vor allem der Verdunkelungspflicht in den letzten beiden Kriegsjahren. Wegen der Luftangriffe war die Familie verpflichtet, die Fenster zu verdunkeln, dies wurde durch nächtliche Streifgänge der Polizei auf das Genaueste kontrolliert.

Oskar kann sich auch heute noch gut an die sich ab 1943 vermehrten Luftangriffe, auch tagsüber, erinnern. Das Heulen der Sirenen, das Brummen der Flugzeuge und das Flüchten in die Keller bis zur Entwarnung steckt den Zeitzeugen immer noch in den Knochen. Ab 1944 kamen die Kampfflugzeuge verstärkt aus England über den Kraichgau in Richtung Osten geflogen, um ihre Bombenlast abzuladen.

Mehrmals konnte der interessierte Oskar Luftkämpfe im Kraichgau beobachten. Anschaulich erzählt er von dem unglaublichen Lärm der Kampfflugzeuge, dem gegenseitigen Beschuss, dem Feuer und Rauch und letztendlich dem Absturz der unterlegenen Kriegspartei. Als er eines Tages mit einer Verwandten zur Ölmühle nach Unteröwisheim unterwegs war, waren sie Zeuge des Absturzes eines deutschen Abfangjägers kurz hinter dem Bruchsaler Krankenhaus. Sie konnten noch den aussteigenden Piloten beobachten, der sich mit einem Fallschirm aus dem Flugzeug gerettet hatte.

Da der Keller des Anwesens „Zum Ritter“ nicht sehr gut als Schutzraum geeignet war, suchte die Familie Reiser zumeist Zuflucht im Keller des Gasthauses „Zum Lamm“ in der unmittelbaren Nachbarschaft. Meist suchten hier bei einem Fliegeralarm bis zu 25 Personen Schutz.

Das Osterfest 1945 wird für Oskar Reiser wie für die meisten Bewohner des Kraichgaus immer in schlimmster Erinnerung bleiben. Ab Gründonnerstag bis Karfreitag wurde Zeutern das erste Mal direkt von der amerikanischen Artillerie beschossen. Der elfjährige Oskar erlebte an diesem Karfreitagnachmittag hautnah einen weiteren Artillerieangriff. Plötzlich erfüllte die Luft ein irres Pfeifen und Knallen, als die Artilleriegeschosse im Ortskern niedergingen und mehrere Häuser trafen. Das Wohnhaus der ehemaligen Metzgerei Botz im Ortskern in unmittelbarer Nachbarschaft zum Haus der Reisers und weitere Gebäude wurden dabei schwer beschädigt. Auch die Orgel in der alten St. Martinskirche wurde durch eine Granate zerstört, die direkt durch das große Fenster an der Kirchenfassade einschlug. Zum Glück kamen bei diesem Angriff keine Menschen zu Schaden.

Inzwischen erfuhr man, dass das direkte Frontgeschehen immer näher kam. Die im „Ritter“ stationierten deutschen Soldaten, eine Funkeinheit, zogen sich am Ostermontag in den Kraichgau zurück. Nur Soldaten zur Verteidigung waren noch da. Das war für die Bewohner des „Ritters“ das Signal, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die Alliierten einmarschieren würden, und man war deshalb äußerst vorsichtig.

An diesem Ostermontag lieferten sich die verbliebenen deutschen Soldaten mit den vorrückenden Amerikanern eine schätzungsweise dreistündige Straßenschlacht. Sowohl die Deutschen als auch die Amerikaner hatten eine große Zahl von Opfern zu beklagen. Auch zwei Zivilisten wurden dabei getötet.

Noch am selben Abend marschierte die amerikanische Armee in Zeutern ein. Familie Reiser musste ihr Haus verlassen, das von den Amerikanern requiriert wurde. Oskar und seine Familie verbrachten diese fürchterliche Nacht im Keller des „Lamms“ und hofften auf ein baldiges Ende der Kampfhandlungen.

Auch am nächsten Morgen durfte die Familie nicht wieder ihr Haus betreten, Offiziere der amerikanischen Armee hielten es besetzt. So verbrachte man die nächsten Nächte im eigenen Kuhstall. Einige Tage später durfte die Familie wieder ihre Wohnräume beziehen.
Die Soldaten hatten sich im Nebenzimmer eine eigene Küche eingerichtet. Im Lokal selbst hatten die Offiziere ihr Essen eingenommen, im „Lamm“ wurden die übrigen Soldaten versorgt.

Die Bewohner wurden von den Soldaten respektvoll behandelt, ab und zu fielen Süßigkeiten für die Kinder ab, die der farbige Koch der Offiziere gerne ausgab. Oskar und seine Freunde sahen hier auch das erste Mal in ihrem Leben eine Banane und durften diese kosten. Insgesamt waren die Ess- und Lebensverhältnisse der Amerikaner recht gut. Obwohl die Zeuterner Landbevölkerung auch während der schlimmsten Tage nie Hunger leiden musste, waren doch einige Lebensmittel, wie z. B. Kaffee, seit Langem nicht mehr zu erhalten. Wie groß war da die Verwunderung, als die Zeuterner die Berge an Kaffeesatz sahen, der, nachdem er einmal aufgebrüht worden war, weggeworfen wurde. Flugs holten sich die Hausfrauen diesen und konnten mit neuerlichem Aufbrühen endlich auch einmal wieder Bohnenkaffee genießen.

Vier bis fünf Tage nach den Amerikanern kamen die französischen Besatzungstruppen in Zeutern an. Mit ihren marokkanischen Truppenteilen waren diese der Zeuterner Bevölkerung nicht wohlgesinnt. Sie hatten Plünderungsrecht und machten davon auch gut Gebrauch. Dabei wurde mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war. Die Gemeinde Zeutern litt allgemein sehr unter der Besatzung der französischen Soldaten, an der Spitze des Erträglichen waren dabei die Übergriffe auf Frauen und Mädchen.

Oskar war in der Familie für die Kleintiere wie Hasen, Gänse usw. verantwortlich. Besonders traf ihn daher, als eines Tages ein Besatzungssoldat seinen Lieblingshasen mitnehmen wollte. Unter Tränen bot Oskar ihm einen größeren Hasen zum Tausch an, was dieser akzeptierte und was dem Jungen noch eine Rolle Bonbons einbrachte.

Nicht alle französischen Soldaten waren der Bevölkerung schlecht gesinnt, es hatte auch einige dabei, die Schaden von den Zeuterner Bewohnern abwenden wollten. So kam eines Tages ein französischer Soldat ins Haus, schloss schnell die Tür zu und warnte die Familie mit dem Ausruf „Kamerad Komsie-Komsa“ vor Plünderern. Gemeinsam versteckten sie die Fahrräder der Familie, die zum Glück unentdeckt blieben.

Nach Abzug der Franzosen durch die Verlegung der Besatzungszone nach Süden bei Rastatt gegen Juni des Jahres 1945 wurde Zeutern Besatzungsgebiet der Amerikaner, die sich im Allgemeinen sehr korrekt gegenüber der Bevölkerung verhielten.

Die Aufräumungsarbeiten begannen nun zügig, die Menschen brauchten ja wieder Wohnung, Stall und Scheune. Oskars Vater, Edwin Reiser, hatte bereits 1939 das Gebäude des „Ritters“ auf zwei Vollstockwerke erhöhen wollen und das Material dafür war bereits eingekauft. Nach Ende des Krieges bat aber der damalige Bürgermeister Edwin Reiser darum, mit den vorhandenen Baumaterialien Kriegsschäden an verschiedenen Gebäuden im Dorf ausbessern zu dürfen, was dieser gerne zuließ.

Autorin: Beate Harder, aus den Erinnerungen von Oskar Reiser

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Ausgabe 14/2025

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