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Blechkuchen und Denksprüche

Blechkuchen und Denksprüche Erinnerungen an meine Konfirmation – von Gudrun Schultheiss Vor einiger Zeit stand ich in meiner Küche und stellte...
Viele Blechkuchen wurden gebacken
Viele Blechkuchen wurden gebackenFoto: Gudrun Schultheiss

Blechkuchen und Denksprüche

Erinnerungen an meine Konfirmation – von Gudrun Schultheiss

Vor einiger Zeit stand ich in meiner Küche und stellte die Zutaten bereit, die ich zum Backen eines Kuchens benötigte. Ich weiß nicht, warum ich mich in diesem Moment an meine Konfirmation erinnerte. Schmunzelnd betrachtete ich die Dose Ananas, das Mehl, die Eier und die Margarine und ich fühlte mich für einen kurzen Augenblick wie das damals 15-jährige Mädchen in den Siebzigerjahren.

Mit gemischten Gefühlen erinnerte ich mich an den besonderen Brauch, den es zur Konfirmationszeit in unserem kleinen Waldenserort „Perouse“ gab: Bereits einige Wochen vor dem Fest klingelte es immer wieder an unserer Haustüre und die Dorfbewohner brachten uns Zutaten für den kommenden großen Backtag vorbei. Die wertvollen Gaben sammelte meine Mutter in einer Ecke im kühlen Hausflur. Bis zum Fest stapelten sich dort in großer Zahl die Margarinebecher, Obstdosen, Eierschachteln und vieles mehr.

„Woher kommt dieser Brauch?“, fragte ich meine Mutter damals, während wir fleißig mit den Festvorbereitungen beschäftigt waren. Sie erklärte mir, dass die Waldenser, die sich nach ihrer Flucht aus den Piemonteser Tälern hier in Perouse und den umliegenden Waldensergemeinden angesiedelt hatten, sehr arme Leute waren. Ohne Mithilfe der Dorfbewohner konnten die einzelnen Familien kein Fest ausrichten. Und so kam es, dass viele Familien aus dem Dorf jeweils eine Kleinigkeit, die sie selbst entbehren konnten, an die jeweilige Festfamilie weitergab. Auch in den umliegenden Nachbardörfern ohne Waldenserursprung war dieser Brauch zu finden.

Ich erinnere mich noch gut an die Mengen von Kuchen und Torten, die meine Mutter zusammen mit ein paar Frauen aus unserer Verwandtschaft gebacken hat. Für die Unterbringung dieses Gebäckes hatte mein Vater in unserer kalten Waschküche extra einige Regale montiert.

„Warum so viele Kuchen für eine Konfirmationsfeier?“, wird sich mancher jetzt fragen. Die Antwort ist ganz einfach. In unserem Dorf wurde nicht nur für die eigene Familie und Verwandtschaft gebacken. Am Samstag vor dem Fest musste ich allen Leuten im Dorf, die wir gut kannten, einen Teller mit Kuchen vorbeibringen. Je nach Bekanntschaftsgrad waren viele oder weniger Stücke Kuchen und Torten auf dem Teller.

Als kleine Gegengabe bekam ich von jedem Haus ein kleines Geschenk zum Fest. So kam es, dass ich bei der Gründung meines eigenen Hausstandes noch original verpackte Handtücher von meiner Konfirmation mitnehmen konnte.

Bis Samstagabend war ich mit meinen Kuchentellern im Dorf unterwegs. Auch unserer ehemaligen Frau Bürgermeister musste ich von unserem Gebäck vorbeibringen. Damals hat man sich vor solchen Hoheiten noch richtig geniert.

Anfang der Siebzigerjahre hatten wir nur eine verzinkte Badewanne zu Hause. Eine liebe Tante lud mich deshalb am Abend vor dem Fest zum Baden in ihre richtig komfortable Wanne ein. Dieses Schaumbad mit Orangengeschmack war die Krönung des Tages und es gehört zu den unvergesslichen Erinnerungen an meine Konfirmation.

Ich denke noch oft an den Konfirmandenunterricht, der ein Jahr vor dem Fest wöchentlich von unserem Pfarrer abgehalten wurde. Diese Stunden empfand ich als eine sehr ernste Angelegenheit, zu der auch die sonntäglichen Pflicht-Gottesdienstbesuche gehörten. Nach dem Kirchgang wurde in einem kleinen Heftchen meine Anwesenheit mit einem Stempel bestätigt. Wir waren 15 Konfirmanden in unserem Dorf. Schmunzelnd denke ich an die gemeinsamen Lieder, die wir im Unterricht zusammen singen mussten. Die stimmbrüchigen Knabenstimmen, vermischt mit unseren hellen, klaren Mädchenstimmen – das war absolut kein Hörgenuss.

Zur Tradition gehörte es auch, dass die Konfirmanden gemeinsam eine Girlande aus Tannenzweigen banden, die den Eingang der Kirchentüre schmückte. Sie war verziert mit weißen Papierblumen, die wir aus Tempo-Taschentüchern oder weißen Servietten gebastelt haben. Den Eingang der Kirche schmückten außerdem noch zwei kleine weiße Birken. Es war ein wirklich festlicher Anblick, an den ich heute noch gerne denke.

In den letzten Stunden des Konfirmandenunterrichtes bekamen wir unsere Sprüche zugeteilt, die wir im Festgottesdienst vor versammelter Gemeinde möglichst fehlerfrei und ohne Stocken aufsagen mussten. Je weniger Konfirmanden zu einer Gemeinde gehörten, desto mehr Sprüche musste der einzelne Konfirmand in der Kirche aufsagen. Die Texte waren oft sehr lang und schwer auswendig zu lernen. Ich bekam im Unterricht fünf Sprüche zugeteilt, dazu kamen noch Texte, die wir in der Gruppe gemeinsam aufsagen mussten. Auch diese musste man gut auswendig lernen. Viele Stunden lief ich dazu im kalten Hausflur auf und ab, bis ich alle meine Sprüche im Schlaf aufsagen konnte. Bloß nicht stecken bleiben beim großen Auftritt in der Kirche, das war zu dieser Zeit das Allerwichtigste. Ich höre noch heute die Worte meiner Mutter, die mir Angst und Bange machten: „Kind, wenn du mich in der Kirche blamierst, kannst du gleich den Rutesheimer Wald hochgehen!“ Was so viel hieß wie: „Dann brauchst du gar nicht mehr nach Hause kommen.“

Wahrscheinlich hätte meine Mutter ihre Androhung am Ende doch nicht wahr gemacht, aber ich hatte tiefsten Respekt vor Mutters Aussage.

Die Freude an meiner Konfirmation begann erst mit dem Verlassen der Kirche. Nun konnte ich aufatmen, weil ich meine Sache recht gemacht hatte. Das Festessen im Sängerheim hatte ich mir redlich verdienen müssen. Trotz aller Aufregung und Angst war es ein schöner, unvergesslicher Tag.

Inzwischen sind viele Jahre vergangen und ich nehme immer wieder gerne das Fotoalbum in die Hand und schlage die Seite mit den Konfirmationsbildern auf. Wenn ich unser Gruppenbild betrachte, dann muss ich herzlich lachen. Die Kleidermode in den Siebzigerjahren passte so gar nicht zu der Ernsthaftigkeit und Strenge, mit der dieses Fest damals durchgeführt wurde. Wir Mädchen trugen Miniröcke und Kleider, wie es kürzer kaum noch ging. Und nicht alle hatten die passende Figur dazu, was die Leute weniger störte als ein nicht fehlerfrei gesprochener Text. Nach der Konfirmation musste man noch ein bis zwei Jahre lang in die Christenlehre gehen, welche zur Verfestigung des Gelernten beitrug und die Gemeinschaft untereinander förderte. Beim ersten gemeinsamen Abendmahl fühlten wir uns schon recht erwachsen und der Gemeinde zugehörig. Den Abschluss dieser Zeit bildete der Konfirmandenausflug, bei dem wir jungen Leute unseren immer ernst wirkenden Pfarrer auch einmal vergnügt und locker erleben durften.

Mein Denkspruch vom 15. März 1970 hieß:

„Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst."

Offenbarung 21,6

Aus dem Buch „Der Duft von Heu“ – von Gudrun Schultheiss

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Ausgabe 10/2025

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