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Branjewo (Teil 2)

Nach dem Einmarsch der Roten Armee entschieden sie sich, bei den Menschen in den Krankenhäusern, den Waisenkindern und Alten zu bleiben. Viele beschafften...

Nach dem Einmarsch der Roten Armee entschieden sie sich, bei den Menschen in den Krankenhäusern, den Waisenkindern und Alten zu bleiben. Viele beschafften auf der Straße Lebensmittel und versuchten, die Schwachen zu bewahren vor Misshandlung und Vergewaltigung durch sowjetische Soldaten. Irgendwann drängte die Kirchenleitung die Schwestern zur Flucht.

Doch sie harrten aus – für diejenigen, zu denen sie sich bestellt sahen. Dass sie bei den Ärmsten geblieben sind, dafür haben die Schwestern mit ihrem Leben bezahlt. Was mich überraschte war, dass trotz ihres caritativen Tuns zur Seligsprechung gerade einmal 6.000 Menschen in Branjewo zusammenkamen, wo man doch bei anderen Selig- oder Heiligsprechungen oft schon an die 100.000 Menschen zählte.

Lag es daran, dass für die heute polnische Bevölkerung diese „deutsche Geschichte“ – denn die Schwestern waren ja Deutsche – zu weit im Dunkeln der Geschichte lag? Aber auch in den deutschen Medien fand die Seligsprechung kaum eine Resonanz. Vielleicht wollte man den Eindruck vermeiden, durch die Erinnerung an das Leid der eigenen deutschen Bevölkerung das Leid aufrechnen zu wollen, das Deutsche damals den Polen und Russen zugefügt hatten.

Und auch von polnischer Seite wurde weder während der Zeremonie noch in der polnischen Presse erwähnt, dass es sich um deutsche Märtyrerinnen handelte. Die Seligsprechung der 15 Katharinenschwestern zeigt, wie schwer es auch 80 Jahre später noch ist, gemeinsam an die Gräuel des Zweiten Weltkriegs zu erinnern. Die tiefen Wunden sind offenbar noch nicht verheilt. Das Gedenken zwischen Völkern kann und darf nicht halbiert werden. Die ermordeten deutschen Katharinenschwestern stehen stellvertretend für die Menschen unterschiedlicher Volksgruppen, die damals gefoltert, ermordet oder verschleppt wurden.

Jeder Mensch, der unschuldig um sein Leben gebracht wird, verdient es, betrauert zu werden. Es schmerzt, dass es noch immer an Wegen fehlt, gemeinsam über die Millionen von Kriegstoten zu trauern und den gegenseitigen Willen zur Versöhnung zu bekräftigen. Daher möchte ich an dieser Stelle an den wahrlich historischen Brief der polnischen Bischöfe vom November 1965 erinnern. Mit versöhnlichen Worten schrieben die polnischen Bischöfe 20 Jahre nach Weltkriegsende und mitten im „Kalten Krieg“ ihren deutschen Amtsbrüdern: „Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung.“

(R. Baier)

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Mitteilungsblatt der Stadt Schriesheim
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Ausgabe 49/2025
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