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Das Kulturforum Wiesloch lud in die Buchhandlung Dörner ein

Lesung mit Barbara Honigmann: „Unverschämt jüdisch“ Barbara Honigmann beschreibt autobiographisch ihren Lebensweg. Nach ihrer Jugend in der DDR...
(V.l.) Dr. Vasco Schmidt, Uwe Dörner, Barbara Honigmann und Jürgen Grimm in der Buchhandlung Dörner.
(V.l.) Dr. Vasco Schmidt, Uwe Dörner, Barbara Honigmann und Jürgen Grimm in der Buchhandlung Dörner.Foto: LIP

Lesung mit Barbara Honigmann: „Unverschämt jüdisch“

Barbara Honigmann beschreibt autobiographisch ihren Lebensweg. Nach ihrer Jugend in der DDR und der Ausreise in den 80er Jahren verschlug es sie nach Frankreich. In Straßburg wandte sie sich dem Tora Judentum zu. Humorvoll und selbstbewusst beschreibt sie sich als unverschämt und ohne Scham, jüdisch zu sein. Die Schriftstellerin las aus ihren Büchern „Chronik meiner Straße“ und „Unverschämt jüdisch“. Im Publikum war auch der Wieslocher Staatssekretär a.D. Michael Sieber, der Honigmann 2020 den Literaturpreis der Stadt Bremen, eine ihrer vielen Auszeichnungen, überreichen durfte.

Außenseiter in der DDR

Honigmann beschreibt ihre Jugend mit Auszügen aus ihrem Buch „Unverschämt jüdisch“. Sie wurde 1949 in Ostberlin geboren. Ihre Eltern waren vor den Nationalsozialisten nach England geflohen. Als überzeugte Kommunisten kehrten sie nach dem Krieg nach Ostdeutschland zurück. Die Schriftstellerin beschrieb, wie sie als Jugendliche den Existenzialismus für sich entdeckte. In schwarzen Rollkragenpullovern und rauchend imitierte sie zusammen mit ihren Freunden die französischen Philosophen.

Humorvoll bis sarkastisch beschrieb sie, wie die ganze Familie in der DDR-Gesellschaft auffiel. Die Eltern sprachen fließend Englisch und waren remigriert. Wie sie später herausfand, wurde die ganze Familie intensiv von der Stasi beobachtet. Dabei wollte der Vater eben gerade nicht auffallen unter den „Genossen“ und einfach ein Kommunist sein. Er schämte sich zeitlebens in gewisser Weise für sein Jüdisch.

Ohne Scham jüdisch

Barbara Honigmann hat sich dafür entschieden, sich nicht zu schämen. „Unverschämt jüdisch“ ist eine freie Übersetzung des Begriffs „juif inauthentique“ in der deutschen Ausgabe von Jean-Paul Sartres „Betrachtungen zur Judenfrage“. 1963 hatte ein Freund das Buch über die Grenze nach Ost-Berlin geschmuggelt. „Unverschämt jüdisch, treffe genau den Kern. Wahrscheinlich ringe ich seit meiner Lektüre dieses Buches als 14-Jährige damit, mein Judentum, in das ich hineingeboren wurde, unverschämt zu leben und schließlich, erwachsen geworden, auch so davon zu sprechen, zu erzählen, zu schreiben.“

Zeitsprung nach Frankreich

Nach Auszügen aus der Redensammlung „Unverschämt jüdisch“ kommt es mit der „Chronik meiner Straße“ zu einem Zeitsprung in die 80er Jahre. Bis heute lebt Barbara Honigmann „in der Straße des Anfangs“. Sie beschreibt mit feinsinnigem Humor das multikulturelle Leben in der „wohl östlichsten Straße Frankreichs“, fast schon an der Grenze zu Deutschland. Die meisten würden in dieser Straße nie länger als notwendig wohnen. Sie ist jedoch bis heute geblieben und beobachtet das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen.

Ihren Mann bezeichnet sie als „Jecken“, wie man die Einwanderer aus Deutschland mit ihren vermeintlich überkorrekten Eigenarten in Palästina nannte. Als sie beschlossen, zum Laubhüttenfest ihre erste eigene Laubhütte im Hof zu errichten, bemühte sich ihr Mann „nach Jeckenart“ alle benötigten und nicht benötigten Erlaubnisse zu bekommen. Er kontaktierte die Behörden und war monatelang in der Straße unterwegs, um allen Anwohnern das Laubhüttenfest, von dem die meisten noch nie gehört hatten, zu erklären und um ihre Zustimmung zu bitten. Das Fest soll an die beschwerliche Wanderung der Israeliten durch die Wüste erinnern. Gottes Segen ist wichtiger als ein festes Haus. Während sieben Tagen wird in einer „Laubhütte“ unter freiem Himmel gegessen.

Jüdisches Leben in Straßburg

Barbara Honigmann bezeichnet ihr jüdisches Umfeld in Straßburg als sehr international. Juden aus arabischen oder afrikanischen Ländern haben andere Gebräuche als zum Beispiel osteuropäische Juden. Auf die Frage, wie sie nach ihrer Jugend in der DDR zum Tora-Judentum fand, mag die Schriftstellerin nicht mehr beantworten. Zu oft schon wurde sie gefragt. Honigmann erinnert an die Definition von jüdisch sein durch Geburt und bezeichnet ihr Judentum als eine ständige Entwicklung. Die Auslegung der Glaubensregeln erlaubt individuellen Freiraum.

Die Schriftstellerin hat sich auf Beschreibungen von Orten spezialisiert. Seit sie „Chronik der Sperlingsgasse“ gelesen habe, wollte sie wie Johannes Wachholder sein. Wilhelm Raabe erfand diese Figur als Chronisten einer Straße in Berlin des frühen zwanzigsten Jahrhunderts.

Wenn Honigmann mit ihrem unverkennbaren Berliner Akzent liest, passt das hervorragend zur Erzählstimme ihrer Bücher. Fragen der Zuschauer werden auch mal schnodderig abgehandelt. Ihre direkte Art kommt gut an. Zur Lesung hatten Fans eigene Exemplare zum Signieren mitgebracht und erwarben neuere Bücher im anschließenden Gespräch mit der Autorin. Das Publikum war begeistert. Die Lesung war ein weiteres Highlight des umfangreichen Programms der Wochen gegen Rassismus in Wiesloch. (ch)

Die Lesung war ein weiteres Highlight des umfangreichen Programms der Wochen gegen Rassismus in Wiesloch.
Die Lesung war ein weiteres Highlight des umfangreichen Programms der Wochen gegen Rassismus in Wiesloch.Foto: LIP
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