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Dauerschmerz macht die Seele kaputt

Ich weiß, dass ich nichts weiß“ – in aller Bescheidenheit zitierte Dr. Abdulnaser Shtian, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe...
Der Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Dr. Abdulnaser Shtian, referierte im Zuge der Vortragsreihe „Ärzte im Dialog“ am Klinikum Landkreis Tuttlingen über das Krankheitsbild Endometriose.
Der Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Dr. Abdulnaser Shtian, referierte im Zuge der Vortragsreihe „Ärzte im Dialog“ am Klinikum Landkreis Tuttlingen über das Krankheitsbild Endometriose.Foto: Klinikum Landkreis Tuttlingen

Ich weiß, dass ich nichts weiß“ – in aller Bescheidenheit zitierte Dr. Abdulnaser Shtian, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Klinikum Landkreis Tuttlingen (KLT), den antiken Philosophen Sokrates. Weil Philosophen und Ärzte eines gemeinsam haben: Sie wollen den Dingen auf den Grund gehen. Doch manche Phänomene erweisen sich mithin als unergründlich. Wie etwa die Endometriose, eine relativ unbekannte Volkskrankheit unter Frauen.

„Wir müssen darüber reden“, forderte Dr. Shtian im Zuge eines sehr gut besuchten Vortrags in der Reihe „Ärzte im Dialog. Denn Endometriose, an der in Deutschland offiziell schätzungsweise zwölf Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter erkranken, erfordere mehr gesellschaftliche Sensibilisierung und viel mehr Forschungsaktivitäten. Lächerlich: Gerade mal 25.000 Euro Forschungsförderung pro Jahr fließen in Deutschland in die Endometriose-Forschung. Auf der anderen Seite steht ein immenser volkswirtschaftlicher Schaden, hauptsächlich durch Arbeitsausfälle erkrankter Frauen bedingt, der mit Blick auf Zahlen aus dem Ausland auch hierzulande in die Milliarden gehen dürfte.

Über die politische Dimension hinaus ist die Krankheit für die Betroffenen eine Geißel – laut Dr. Shtian leidet etwa jede zweite Patientin unter massiven Beschwerden: Immer wiederkehrende Schmerzen im Unterleib, Probleme im Verdauungstrakt, Harnstau sowie Unfruchtbarkeit können das Leben zur Qual machen und sich auch auf die Psyche auswirken. „Der andauernde Schmerz“, sagt Dr. Shtian, „macht die Seele kaputt“. Endometriose ist eine gutartige Wucherung der Gebärmutterschleimhaut, die sich außerhalb der Gebärmutter vor allem im kleinen Becken, an Eierstöcken und Eileitern, sowie dem Bauchfell der Betroffenen findet. In manchen ausgeprägten Fällen können auch Blase und Darm betroffen sein.

Die Krankheit tritt zyklisch auf, da sie von den Hormonen des Monatszyklus beeinflusst wird. Die verstreuten Herde können bluten sowie lokal zu Entzündungen und Verwachsungen führen. Es entstehen Zysten an den Eierstöcken, Verwachsungen im Bauchraum, und es kann zu einem Verschluss der Eileiter mit Sterilität und Schmerzen beim Wasserlassen und Stuhlgang kommen.

So liegen meist lange Leidenswege hinter den Patientinnen, da es Jahre dauern kann, bis die richtige Diagnose erfolgt. Die Spanne, die zwischen den ersten Symptomen und der Diagnosestellung einer Endometriose liegt, beträgt durchschnittlich neun bis zehn Jahre. Sie muss durch eine Bauchspiegelung und Probeentnahme gesichert werden. Erfahrene Ärzte wie Dr. Abdulnaser Shtian erkennen aber meist schon im ersten Patientengespräch, wo das Problem liegt. Wie Endometriose letztlich entsteht, wissen aber auch sie nicht sicher. Laut Shtian gibt es mehrere konkurrierende Theorien – „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“

Der Tuttlinger Chefarzt gilt in der Fachwelt als einer der besten minimalinvasiven gynäkologischen Chirurgen; Patientinnen fahren teilweise von weither ans KLT, um sich von ihm behandeln zu lassen. Doch ist Dr. Shtian mit operativen Eingriffen zurückhaltend. Zwar können die Endometrioseherde im Zuge einer minimal-invasiv vorgenommenen Bauspiegelung komplett entfernt werden. Doch die Endometriose kann wiederkommen, wenn die Periode nicht unterdrückt wird – die medikamentöse Therapie zielt deshalb auf die Unterdrückung des Hormons Östrogen ab. Da dies aber bei jungen Frauen mit Kinderwunsch nicht dauerhaft machbar ist, sei eine ganzheitliche Betrachtung des Krankheitsbildes wichtig, meint Dr. Abdulnaser Shtian. Sehr hilfreich sei neben einer endometriosegerechten Ernährung im veganen Stil in vielen Fällen eine Begleitung der Patientinnen durch die Experten der Klinik für Interdisziplinäre Schmerztherapie am KLT unter Leitung von Chefarzt Dr. Frank Schuler.

Diese Behandlung habe ihr ganz viel gebracht, versicherte eine Besucherin, die wie eine ganze Reihe anderer Frauen offen von ihrem Schicksal mit der Krankheit berichtete. Vertreterinnen der Tuttlinger Selbsthilfegruppe bei Endometriose nutzten den Vortrag, um auf ihre Initiative aufmerksam zu machen – sie treffen sich jeden ersten Freitag im Monat im Insel-Café.

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Ausgabe 15/2025

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