Hexenverfolgung war auch in unserer Region weit verbreitet
Von Cosima Kroll Zwischen 1550 und 1650 war der Höhepunkt der Hexenverfolgung in Europa. Gründe für die Verfolgung waren viele Krisen, wie beispielweise die Kleine Eiszeit, pandemische Seuchen und verheerende Kriege. Etwa drei Viertel der Opfer waren Frauen.
Einer der Gründe, die zur massiven Verunsicherung der Menschen beitrug, war die sogenannte Kleine Eiszeit. Bedingt durch ein ungünstiges Klima und Extremwetterereignissen wie Hagel, Unwetter usw. fiel die Ernte entsprechend schlecht aus, wurde mancherorts sogar völlig zerstört, sodass es zu Hungersnöten kam. Verschiedene Seuchen wie die Pest führten dann unter den geschwächten Menschen zu vielen Opfern. Ausgebrochen war die Pest in ganz Europa erstmals zwischen 1347 und 1353, doch bis ins 18. Jahrhundert versetzte sie den Kontinent immer wieder in Angst und Schrecken. Und schließlich kam es in Mitteleuropa zwischen 1618 und 1648 auch noch zum Dreißigjährigen Krieg, während dessen Zeit vermehrt Hexenprozesse stattfanden.
Anna Maria Wagemann war eine dieser Frauen, die auf dem Scheiterhaufen ihr Ende fand. Sie wird auch als letzte Hexe des Kraichgaus bezeichnet. Geboren wurde sie um 1650 in Neipperg, wo sie auch aufwuchs. Sie heiratete einen Mann aus dem 14 km entfernten Fürfeld und führte mit ihrer Familie ein Leben in Armut. Ihr Leidensweg begann, als sie von ihrer Schwiegertochter, mit der sie sich offensichtlich nicht gut verstand, als Hexe verleumdet wurde. Als die Schwiegertochter behauptete, sie habe ihrem Sohn ein Wolfsherz verfüttert, damit dieser böse werde und unzählige weitere völlig aus der Luft gegriffene Anschuldigungen hinzukamen, war das Schicksal von Anna Maria Wagemann beschlossen. Sie wurde der Hexerei angeklagt – schließlich auch ihre Schwiegertochter und zwei Enkelinnen. In einem Prozess, der sich über neun Monate hinzog, wurde Anna Maria Wagemann schließlich der „Hexerei und Zauberey“ für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. 1717 wurde das Todesurteil auf dem Richtplatz in Fürfeld vollstreckt und Anna Maria Wagemann öffentlich verbrannt. Dies war die letzte bekannte Hexenverbrennung im Kraichgau. Die mitangeklagte Schwiegertochter, die sich während des Prozesses selbst der Hexerei verdächtig machte, konnte nicht eindeutig der Hexerei überführt werden, weswegen man sie freisprach. Bei den beiden minderjährigen Enkelinnen kam man zu der Ansicht, dass sie von der Großmutter zur Hexerei verführt worden waren. Sie mussten der Hinrichtung beiwohnen und wurden mit der Rute gezüchtigt. Zudem mussten sie in einem besonderen Gottesdienst öffentlich ihre Sünden bekennen.
In unserer Region gab es mehrere dramatische Fälle wie diesen. Der bekannteste war der von Katharina Kepler, der 1620/21 in Güglingen verhandelt wurde. Fast sechs Jahre zog sich der Prozess hin, in denen Katharina Kepler 14 Monate im Gefängnis saß. Nur durch den Einsatz ihres Sohnes, dem berühmten Tübinger Astrophysiker Johannes Kepler, kam es zum Freispruch der fast 74-jährigen Frau, die jedoch nur ein halbes Jahr später verstarb. Auch in Nordheim gab es zwei Fälle, in denen Personen der Hexerei verdächtigt wurden. In beiden Fällen ging es für die Beschuldigten jedoch glimpflich aus.
Warum wurden jedoch in der Mehrzahl Frauen der Hexerei angeklagt? Zum einen waren Frauen als Heilerinnen und Hebammen tätig und hatten alleine durch diese Berufe oftmals ein umfangreiches Wissen in der Pflanzenheilkunde. Sie lebten durch ihre Tätigkeit häufig unabhängig und selbstbestimmt, was zu jener Zeit eher ungewöhnlich war.
Als die christlichen Religionen im 4. Jahrhundert erstarkten, verfolgten die Kirchen, aber auch die weltliche Gerichtsbarkeit bereits angebliche Hexen. Die Situation verschärfte sich, als der Kirchentheoretiker Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert annahm, dass Hexentaten in enger Verbindung mit dem Teufel stünden. Frauen waren im Gerichtswesen der damaligen Zeit eher benachteiligt. Bei Verstößen gegen die Sittlichkeit wurden sie schwerer bestraft als Männer, was auch an der Überzeugung lag, dass Frauen weit weniger wert seien als Männer. Das 700-Seiten-Werk „Hexenhammer“, das 1486 erschien, war ein regelrechtes Handbuch zur Verfolgung von Frauen mit eigenem Willen und Charakter. Männliche Ängste vor Machtverlust und Anarchie, vor einer unheimlichen magischen Macht der Frauen über Leben, Sexualität, Fruchtbarkeit und Tod wurden in dem Werk thematisiert. Der „Hexenhammer“ ist ein beeindruckendes Dokument männlicher Sexualängste und sollte zur (Wieder-) Herstellung männlicher Vormacht im Himmel und auf Erden durch Hexenverfolgung und -verurteilung dienen. Zwar wurden auch Männer der Hexerei beschuldigt, doch war man der Auffassung, dass das männliche Geschlecht als solches durch seine größere Vernunft und Gottähnlichkeit vor teuflischen Anfechtungen weit besser geschützt war als das weibliche.
Hexenprozesse und Hinrichtungen können als ein Instrument zur Unterwerfung von Frauen verstanden werden. Männer, die als Hexer beschuldigt wurden, galten als Geisterbeschwörer oder Magier. Die als Hexen beschuldigten Frauen wurden jedoch der Sündhaftigkeit angeklagt.
Auch in der Gegenwart werden noch Menschen der Hexerei beschuldigt, wie der Historiker Kai Lehmann in der Zeitschrift „National Geographic“ vom April 2023 beschreibt: „In Afrika, Südostasien, Saudi-Arabien und Lateinamerika ist das Thema tödlich aktuell, denn dort glauben große Teile der Bevölkerungen an Hexen“, sagt er. Jährlich werden tausende Frauen, Männer und Kinder wegen vermeintlicher Hexerei getötet und für Krankheiten wie AIDS oder Covid-19 verantwortlich gemacht. Öffentliche Hinrichtungen vermeintlicher Hexen sind ebenso wie Lynchmorde selbst im 21. Jahrhundert dokumentiert. „Eine Gesellschaft, die Angst hat, schreckt auch heute nicht vor Diffamierung und Ausgrenzung zurück. Eine Erinnerungskultur könnte helfen, das zu ändern“, so der Historiker.