Liebe Leserinnen und Leser, am 8. Mai jährt sich zum achtzigsten Mal der Tag der „bedingungslosen Kapitulation“ Deutschlands, wie dieses Datum viele Jahre lang in Geschichtsbüchern und Lehrplänen genannt wurde. Am 8. Mai 1945 endete in Europa der 2. Weltkrieg, während er im pazifischen Raum erst mit der Kapitulation Japans am 2. September endete.
Es dauerte lange, nämlich bis 1985, dass der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker diesen Tag in seiner berühmten Rede vierzig Jahre nach Kriegsende einen „Tag der Befreiung“ nannte und damit ein Umdenken einleitete. Richard von Weizsäcker nennt den Tag das, was er auch für den Rest Europas gewesen ist: ein Tag der Befreiung.
Und das stimmt. Deutschland wurde befreit von der Diktatur des Bösen, befreit vom deutschen Größenwahn, von dem schleichenden Gift der Demagogie und der grenzenlosen Entmenschlichung. Wir Deutschen müssen die Erschütterung aushalten angesichts der Millionen Toten in den Lagern wie Auschwitz und auf den Schlachtfeldern, angesichts des Elends von Flucht und Vertreibung, angesichts der Verzweiflung all derer, die vor den Trümmern ihrer Existenz standen.
Aber es war auch ein Neubeginn, Befreiung zu einem neuen Miteinander, das gegründet wurde auf der unantastbaren Würde eines jeden Menschen, die Verpflichtung, dem Wohl aller zu dienen, besonders den Schwachen und Wehrlosen. Doch der lange Schatten des Krieges wirkt noch nach, bis heute. Auch nach 1945 wurden Millionen von Menschen – aktuell in Gaza und in der Ukraine, im Sudan, in Myanmar und vielen anderen Orten – Opfer von Gewalt und Terror.
In jüngster Zeit ist immer wieder zu hören: „Nie wieder ist jetzt!“ Das stimmt! Es gilt daher hinzuschauen und nicht wegzuschauen angesichts nationalistischer Pöbeleien, antisemitischer Ausschreitungen und dem Aufflackern menschenverachtender Ideologien. Oder um es noch einmal mit den Worten des früheren Bundespräsidenten zu sagen: „Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“
Leider ist das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Befreiung vom Nationalsozialismus bei uns immer noch kein Feiertag. Anders als in Frankreich und etlichen anderen europäischen Ländern. Dabei ist der 8. Mai wahrscheinlich der bedeutendste Tag der neueren deutschen Geschichte. Er muss ein Feiertag werden, fordert auch Esther Bejarano, die Vorsitzende des Auschwitz-Komitees in Deutschland. Und das schon seit Jahren. Über das Ende des Krieges und der furchtbaren NS-Herrschaft können uns Zeitzeugen und -zeuginnen bald nichts mehr erzählen. Esther Bejarano will keineswegs alle, die nach 1945 geboren wurden, auf die Schuld unserer Vorfahren festnageln. Sie betont: „Ihr seid nicht schuld, aber Ihr werdet schuldig, wenn ihr nicht dafür sorgt, dass solche Verbrechen nie wieder geschehen“.
Der 8. Mai kann so ein Tag werden, an dem wir uns fragen, wo wir heute stehen als Gesellschaft. An wem wir schuldig werden, wenn wir nicht aufstehen und dafür kämpfen, dass unser Land das bleibt, was es ist. Ein befreites Land, in dem Menschen in Freiheit leben können. Unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht, ihrer Nationalität. Das wollen wir auch im Gottesdienst bedenken, den wir am 8. Mai um 18.00 Uhr in der St. Pankratius Kirche feiern. Zu diesem sind Sie herzlich eingeladen. Ihr Pfarrer Ronny Baier