Freundeskreis Heimatmuseum Östringen
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DER ACKERWAGEN

In früheren Zeiten war er im Straßenbild allgegenwärtig. In jedem noch so kleinen landwirtschaftlichen Betrieb war ein solcher vorhanden. Gezogen wurde...

In früheren Zeiten war er im Straßenbild allgegenwärtig. In jedem noch so kleinen landwirtschaftlichen Betrieb war ein solcher vorhanden. Gezogen wurde er meist von einer oder zwei Kühen, denn diese lieferten außer ihrer Arbeit auch noch Milch ab. Seltener waren bei reichen Bauern auch Pferde im Einsatz.

Diese Ackerwagen waren ein universell zu brauchendes für vielerlei Zwecke. Zunächst wurden damit Ackergeräte wie Pflug oder Egge zum Einsatzort gebracht. Später wurde damit die Ernte eingefahren. Zum Ausbringen von Dünger mussten Mist und Jauche transportiert werden. Und nicht zuletzt diente er auch dem Personentransport.

Zu jedem dieser Zwecke war er leicht umrüstbar, denn die Einzelteile waren im Wesentlichen lediglich zusammengesteckt und leicht austauschbar. Bei der Rüben- und Kartoffelernte waren beispielshalber feste Seitenwände erforderlich. Zur Heu- und Getreideernte kam der Leiterwagen zum Einsatz. Im Mittelteil waren zwei Sprossen entfernt. In dieser Lücke saßen auf der Hinfahrt die Erntehelfer beiderlei Geschlechts und baumelten mit den Beinen. Die Rückwand war dann mit einem fächerartigen Gitter versehen, um den Wagen höher beladen zu können. Nach erfolgter Beladung wurde das Heu durch den Wiesbaum festgehalten, der der Länge nach über dasselbe gelegt und mit Seilen festgezurrt wurde. Bei der Rückfahrt saßen oder lagen die Erntehelfer ganz oben im weichen, duftenden Heu.

Ein ganz anderer Duft verbreitete sich, wenn Mist ausgebracht und mit der Mistgabel auf Feld und Wiese verteilt wurde. Oder beim Verteilen der „Mistsudel“. Dazu diente ein großes Jauchefass, das über die gesamte Länge des Wagens reichte.

Jede Ortschaft hatte eine oder mehrere „Wagnereien“, die unter anderem auch Rechen oder Sägeböcke herstellten. Die Wagen waren allesamt Einzelanfertigungen, die nach den Vorgaben des jeweiligen Auftraggebers hergestellt wurden. Größe, Fassungsvermögen und vor allem Tragkraft wurden entsprechend berücksichtigt.

Der Wagen setzte sich aus einer Unzahl von Einzelteilen zusammen, von denen jedes eine eigene Bezeichnung hatte. Und jedes dieser Einzelteile wurde vor Ort einzeln und passgenau hergestellt. Jedes Rad bestand zum Beispiel aus siebzehn hölzernen Einzelteilen, die ganz genau zusammenpassen mussten, sonst konnte vom Schmied der eiserne Radreifen nicht aufgezogen werden. Der Schmied war nämlich der andere Akteur, der beim Wagenbau Präzisionsarbeit leisten musste. Außer den Radreifen gab es noch jede Menge eiserne Beschläge, die passgenau sitzen mussten, wie die Ringe, die die hölzerne Nabe verstärkten.

Es existierten Unterschiede von Ort zu Ort. Der Östringer Ackerwagen benötigte im hügeligen Gelände natürlich eine Bremse. Das war ein Querbalken vor den Hinterrädern, der mit Kurbel und Spindel mehr oder weniger fest an das Rad gezogen werden konnte und dieses bis zum Stillstand abzubremsen in der Lage war. In der Ebene in Kronau war eine derartige Vorrichtung nicht vonnöten. Für die wenigen Fälle der Notwendigkeit einer Bremsung wie etwa der Überquerung einer Brücke wurden keilförmige Radschuhe mitgeführt, die bei Bedarf vor die Hinterräder gelegt wurden und diese abbremsten.

Unterschiedlich waren auch die Radbreiten. Wagen, die aus Gegenden mit härterer Bodenbeschaffenheit stammten, hatten schmalere Reifen und waren für unsere weichen Löss- und Sandböden ungeeignet, weil sie zu tief einsanken. Letzteres Problem löste sich von alleine, da in der Mitte des letzten Jahrhunderts die Wagenräder durch Metallfelgen mit Luftbereifung ersetzt wurden. Das hölzerne Wagenrad wurde zur reinen Dekoration degradiert.

Gezogen wurde der Wagen meist von einem Gespann von zwei Kühen. Von diesen wurde nur die linke als Leitkuh gelenkt, manchmal sogar mit nur einem Zügel. Die rechte Kuh war oft noch unerfahren und musste erst an den Wagen gewöhnt werden.

Die Lenkung erfolgte durch Zug am Zügel in die jeweilige Richtung und den Zuruf „Hischt“ nach links und „Hott“ nach rechts (Vielleicht war es auch umgekehrt, das weiß ich nicht mehr so genau). Das Kommando zum Verlangsamen und Anhalten war ein Ziehen am Zügel und der Zuruf „Oha“ bei den Kühen und „BRRR“ bei Pferden. Die Kühe kannten die Wege zu den Äckern und vor allem den Rückweg zum heimischen Stall ganz genau und benötigten kaum noch Hinweise. Diese Tatsache ermöglichte heimwärts manch einem von des Tages Müh und Last ermüdeten Ackersmann ein erfrischendes Nickerchen auf dem Kutschbock.

Die Peitsche diente nur in seltenen Fällen zur Disziplinierung der Tiere. Sie war hauptsächlich ein Instrument zur Signalgebung. Vor der Einfahrt in einen Hohlweg wurde mit der Peitsche geknallt. Wenn ein Knall als Antwort erfolgte, war das kein Echo, sondern bedeutete, dass sich bereits ein Wagen im Hohlweg befand. Da dort keine Ausweichmöglichkeit bestand, hätte eine Begegnung, die fatale Folge gehabt, dass eines der beiden Gespanne rückwärtsfahrend den Hohlweg verlassen muss. Für beide Beteiligte sehr unerfreulich. Heutzutage betätige ich einfach meine Hupe vor der Einfahrt in die Hohle.

Ein Freund hat bei Alfons einen seiner historischen Ackerwagen vermessen und in halbjähriger Arbeit als Modell detailgetreu nachgebaut. Den Verlauf und das Ergebnis können Sie unter diesem QR-Code besichtigen:

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Östringer Stadtnachrichten
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Ausgabe 04/2025

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