
Der ausverkaufte Staufer-Saal im Palatin Wiesloch zeigte am Samstag eindrucksvoll, welche Strahlkraft Deutschlands bekanntester Psychologe derzeit besitzt.
Alle 1200 Plätze waren besetzt, die Rückwand des Saals entfernt, und selbst das Foyer wurde mit abfallenden Sitzreihen zur Erweiterung umfunktioniert.
Das überwiegend junge Publikum – viele etwa im Alter des Psychologen oder jünger – waren nicht nur aus dem Umland, sondern bis aus Münster angereist, um Dr. Leon Windscheids neues Programm „Alles Perfekt“ live zu erleben.
Windscheid, heute Bestsellerautor, Moderator, Unternehmer und Wissenschaftskommunikator, wurde einem breiten Publikum 2015 bekannt, als er bei „Wer wird Millionär?“ die Millionenfrage knackte.
Den Gewinn nutze er, um ein altes Ausflugsschiff, die MS Günther (Jauch), zu kaufen und später seine ersten wissenschaftlichen Projekte zu realisieren. Heute erreicht er mit seinem Podcast „Betreutes Fühlen“, seinem SPIEGEL-Bestseller „Besser fühlen“, zahlreichen Bühnenauftritten und Formaten im ZDF ein Millionenpublikum.
Sein Markenzeichen: wissenschaftliche Inhalte so zu vermitteln, dass Menschen lachen, nachdenken – und etwas für ihr Leben mitnehmen.
In „Alles Perfekt“ widmet sich Windscheid einem Thema, das wie kaum ein anderes den modernen Alltag prägt: Perfektionismus. Angetrieben von sozialen Medien, gesellschaftlichen Erwartungen und innerem Druck soll heute alles „funktionieren“ – Job, Körper, Beziehungen, Selbstoptimierung.
„Wir spüren, dass uns das nicht guttut, aber wir rennen trotzdem weiter“, sagt Windscheid auf der Bühne. Sein Anspruch: verständlich machen, was die Wissenschaft all dem entgegensetzen kann und welche Prinzipien uns zu echter Zufriedenheit führen.
Der Abend ist eine Mischung aus Live-Psychologie, Stand-up, Anekdoten, kleinen Experimenten und stillen Momenten. Windscheid zeigt anhand wissenschaftlicher Studien, wie verzerrt unser Blick oft ist: Menschen fokussieren auf das, was „noch nicht gut genug“ ist – fast nie auf das, was bereits gelungen ist.
Mit einer Slideshow macht er das eindrucksvoll sichtbar. Fotos von Gold-, Silber- und Bronzemedaillengewinnern erscheinen auf der Leinwand: Immer wirkt eine Person unglücklich oder enttäuscht. Entgegen den Publikumserwartungen ist es Silber.
Bronze denkt: „Gerade noch geschafft.“ Silber denkt: „Verdammt, kein Gold.“ Um Ziele neu zu denken, fordert Windscheid sein Publikum auf, ihren inneren „Gut-Genug-Baum“ wachsen zu lassen – eine mentale Übung, die Gelassenheit fördert und Druck nimmt.
Trotz des ernsten Themas bleibt der Abend leicht. Windscheid erlaubt sich auch überraschend derbe Scherze und übernimmt punktuell fast den „Atze-Schröder-Part“ aus dem gemeinsamen Podcast.
So berichtet er von seiner Recherche über Unterwäsche mit Aktivkohlefilter gegen Furzgerüche und scherzt, dass ihn das an Wiesloch erinnere. Auch eine vermutlich inszenierte Szene sorgt für Staunen und Gelächter.
Eine spontane „Partnersuche“ für eine Zuschauerin, bei der ein angeblicher Interessent aus dem Publikum sofort mit der Frau zu knutschen beginnt, begleitet von Lichtfontänen der Bühnentechnik. Ob gestellt oder nicht, Windscheid lässt es offen.
Doch immer wieder wechselt Windscheid die Tonlage. Er spricht über schwierige Beziehungsmuster zwischen Eltern und Kindern, über psychologische Altlasten, über Pränataldiagnostik und gesellschaftliche Auslesemechanismen.
Für eine neue TV-Reportage begleitete er eine Mutter und ihre Tochter mit Downsyndrom. Als die Mutter sagte: „Wenn ich vorher gewusst hätte, dass du so wirst, hätte ich dich nicht bekommen – aber ich bin so froh, dass es dich gibt“, wurde es still im Saal.
Solche Momente zeigen, wie ernst es Windscheid ist, Menschen zu bewegen und nicht nur zu unterhalten. Im offensichtlichen Unterschied zu reinen Comedy-Programmen sieht man in der Pause und zum Ende des Abends viele nachdenkliche Gesichter.
Zum Ende rät Windscheid seinem Publikum zu einem Perspektivwechsel: Statt immer neuen Zielen auf derzeit beliebten, endlosen „Bucket-Listen“ lieber öfter eine „Fuck-it-Liste“ schreiben – bewusst entscheiden, was man nicht tun muss, um glücklich zu sein.
Ein Plädoyer für Gelassenheit, Mut zu neuen Erfahrungen und ein gutes Leben ohne den Zwang zur Perfektion.



