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Dies und das

Vorstellung in zwei Teilen

Ein langer Abend mit Katja Riemann Ein bis auf den letzten Platz besetzter Mozartsaal erwartete die Schauspielerin, Autorin und Sängerin Katja Riemann...
Applaus für den ersten heiteren Teil des Abends. V.l.n.r.: Katja Riemann, Marianna Shirinyan und Franziska Hölscher.
Applaus für den ersten heiteren Teil des Abends. V.l.n.r.: Katja Riemann, Marianna Shirinyan und Franziska Hölscher.Foto: aw

Ein langer Abend mit Katja Riemann

Ein bis auf den letzten Platz besetzter Mozartsaal erwartete die Schauspielerin, Autorin und Sängerin Katja Riemann mit den beiden Musikerinnen Franziska Hölscher, Violine und Marianna Shirimyan, Klavier.

Zu einer höchst amüsanten Darbietung des „Karneval der Tiere“, mit der Musik von Camille Saint-Saëns in einer Bearbeitung von Jarkko Riihimäki und mit einem Text von Roger Willemsen (1955-2016). Äußerst unterhaltsam, mit viel Witz und Humor karikiert Katja Riemann die Tiere. Den mächtig brüllenden Löwenkönig, der dann mächtig über die Tasten des Klaviers schreitet. „Ist die erste Reihe Zuschauer schon verprellt?“ Oder verscheucht sie der heftig durcheinander geratene Hühnerhaufen? Keineswegs! Das Publikum war bestens unterhalten und lauschte gebannt den lebendigen Ausführungen, der angepassten Gestik an Schildkröte und Elefant. „Die Würde des Alters erkennt man an den Falten“. Hier wurde die Musik elegischer und majestätisch. Kann ein Känguru hüpfend singen? Nein, dann wohl eher die im Aquarium singenden „Fischerchöre“. Hier spielt Katja Riemann zu Klavier und Violine das Xylophon. Ob dem Ochsen wohl ein Halsbonbon zu einer besseren Stimme verhilft? Nein, besser er schlägt mit dem Ochsenschwanz den Takt. Der Ruf des Kuckuck, der Gesang der Nachtigall, die Spezialeffekte der Insekten, das Konzert der Vögel, das Holzinstrument des Spechtes im Wald, die ganze Ornithologie, alle bekamen ihren musikalischen Auftritt. Teilweise unterstützt durch die Blockflöte von Katja Riemann gespielt. Warum heißt der Mann der Pute nicht Trute, sondern Truthahn? Mit solchen Wortspielen hatte die Schauspielerin die Lacher auf ihrer Seite, die Musikerinnen den Zwischenapplaus. Mit auf- und absteigenden Tonfolgen springt die Springmaus über die Tasten und Katja Riemann verstellt vergnüglich ihre Stimme in die höhere Tonlage. Die versteinerte Fossilien-Schar der Amphibien bieten dem Publikum ein Medlay der bisher gespielten Stücke, bevor die Majestät der Schwan erklingt und die Musik zum Finale anhebt.

Wie strapazierbar ist das Glück?

Der zweite Programmteil ist die tragik-komische Geschichte über „Das müde Glück“. Der von Katja Riemann gelungen vorgetragene Text, ebenfalls von Roger Willemsen regt zum Nachdenken an. Die Geschichte zweier Nachbarn, der eine vom Glück überzeugt, der andere ein ewiger Meckerer. Sein Name Herr Gottlieb passt nicht, er ist weniger lieb wie dass er sich als Gott fühlt, als Alleinherrscher, auch in der Familie. Aber sein Nachbar Herr Hopp, der eigentlich Hiob hieß, hatte seinen Namen verändert, denn er wollte nicht diese Assoziation mit der Hiobsbotschaft an sich tragen. Aber sein Glück wurde strapaziert. Wie lange kann man glücklich sein wenn die Welt um einen herum auseinanderbricht? Der Zirkusdirektor muss den Verlust seiner Tiere nach und nach verkraften, die Trapezkünstler verlassen ihn, auch seine Frau Helga mit den Kindern. Was übrig blieb sind ein paar wenige Tiere die er neu trainierte. Die Leute kamen weniger um seine Kunststücke zu sehen sondern um seinen Niedergang zu betrachten, genauso sein Nachbar Gottlieb. Am Ende gab es eine kleine Vorstellung nur für zwei Menschen: Gottlieb's Frau Margrit und die Tochter Viola. Sie applaudierten ihm, sie hielten zu Herrn Hopp und am Ende seines Lebens konnte er sagen „... reich an Erfahrungen“.
„So lange sie wachsen Herr Hopp, sind sie nicht verloren, ihr Glück ist nur gerade müde“ Mit diesen Worten beendete Katja Riemann den ersten Teil des Abends und bekam mit ihren beiden Musiker-Kolleginnen die zum Text Musik von Mozart, Corelli, Mahler, Debussy, Strawinsky und Tigran Mansurian mischten enormen Applaus.

Miteinander und Füreinander: Verführung

Dieser Teil des Abends war eine Uraufführung. Das Text-Programm hatte Katja Riemann selbst konzipiert und mit den Musikerinnen musikalisch arrangiert. Inhaltlich verarbeitete sie Geschichten zum Thema Rassismus, Rechtsextremismus, Islamismus und Terrorismus. Erkennbar an der Geschichte eines in den österreichischen Bergen geborenen Jungen, der in der Dorfgemeinschaft glücklich aufwächst und akzeptiert ist, geliebt wegen seiner fröhlichen Art und seiner Liebe zum Gesang. Da wird es im Kuhstall bei den Lederhosen-Einheimischen heller! Nur eines: der Sohn der Dorflehrerin Dorothea hat durch seinen senegalesischen Vater eine dunkle Hautfarbe.
Erzählt wird die Geschichte über den Jungen durch eine Freundin, weiblich, platonisch, sie haben dieselbe Art von Humor. Sie begegnet dem jungen Mann in Frankfurt am Main wo er ein Gesangsstudium beginnt. Am Abend des 19. Februar 2020 klappt eine Verabredung auf ein Bierchen nicht, da der junge Mann bereits in Hanau in der Bar „Midnight“ mit einem Perkussionisten aus Kabul verabredet ist. Der Abend „in der Wanne“ endet für die junge Frau je als sie das Radio anmacht und von einem Anschlag in genau dieser Bar hört. Sofort macht sie sich auf den Weg, es geht um Leben und Tod. Der Vortrag bis hierhin wurde durch Zwischenstücke von Mozart, Strawinsky, Alexander Arutjunjan und Leoš Janáček für Klavier und Violine umrahmt und intensiviert. Den Moment der Erkenntnis, dass ihr Freund unter den Toten ist, drückt ein Wort aus, für das, was nicht sein darf: “NEIN!“ Diesen inneren Aufschrei, die in sich gekehrte Verzweiflung, drückt Franziska Hölscher mit ihrer Violine aus, den Rücken dem Publikum zugekehrt. Die Trauer der Dorfgemeinschaft bei der Beerdigung ihres Jungen beschreibt die von Franziska Hölscher und Marianna Shirinyan bearbeitete Arie „Erbarme Dich“ aus der Matthäuspassion BWV 244 von J.S. Bach. Und was tröstet ist der Gedanke: „Hier wird ein Geschenk Gottes zurückgegeben“ und die Erkenntnis „Freundschaft is forever!“.

Übergang zum Bataclan-Anschlag

Übergangslos wendet sich Katja Riemann dem nächsten Beispiel von diesmal islamistisch gelenktem Terrorismus zu, dem Anschlag vom 13. November 2015 in Paris. Eine Welle von Anschlägen traf die Stadt, auch das Bataclan-Theater in dem ein Rockkonzert stattfand. Unter den Toten war eine junge Frau und Mutter deren Mann Antoine Leiris einen kraftvollen offenen Brief an die Terroristen schrieb der um die Welt ging und verkündete „Meinen Hass bekommt ihr nicht“. Die musikalische Umrahmung rührte sehr an, besonders Antonín Dvořáks „Als die Mutter mich noch lehrte singen“ aus Zigeunermelodien op. 55 Nr. 4, B. 104. Und damit die Situation des kleinen Sohnes verdeutlichte, der seine Mutter verlor. Aber auch hier ist die Haltung des Vaters eine bewundernswerte: „Auch seinen Hass bekommt ihr nicht“, er wird fröhlich und behütet „im Paradies der freien Seelen“ aufwachsen.
Als Mahnmal rezitiert sie im Anschluss aus dem „Manifest des Futurismus“ das der italienische Schriftsteller Filippo Tommaso Marinetti im „Le Figaro“ am 20.2.1909 veröffentlichte. Dieses radikale Konzept eines Künstlerbundes zum „Kampf gegen alte Werte“ der aufruft mit Traditionen zu brechen und Einzug halten soll in alle Lebensbereiche, in Kunst und Kultur. Verherrlichung des Mannes und seine Brutalität, Auslöschung des Feminismus. Die politische Haltung des Konzeptes ist ein Brandschatz, heute noch im Programm der Faschisten. „Kampf ist Schönheit“ beinhaltet Gewaltverherrlichung. George Crumb's Night music für Violine und Klavier Nocturne Nr 3 verdeutlicht diese dunklen Abgründe.
Die Rezitation von Katja Riemann „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ und die Bearbeitung von Gustav Mahlers gleichnamiger Singstimme aus „Rückertlieder“ durch Franziska Hölscher und Marianna Shirinyan ließ die Zuhörer dieses beeindruckenden Abends nachdenklich zurück. Bevor der Schlussapplaus diesen drei engagierten Frauen dankte. (aw)

Katja Riemann, Franziska Hölscher und Marianna Shirinyan sind glücklich am Ende eines langen Abends
Katja Riemann, Franziska Hölscher und Marianna Shirinyan sind glücklich am Ende eines langen Abends.Foto: aw
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