Gemeinderatssitzung vom 8. April
Top 5 Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Schaffung einer Stelle einer Beauftragten für Chancengleichheit
Die Stellungnahme der Fraktion kam von Stadträtin Nele Böhm
Gleichstellung gilt in vielen Köpfen längst als erreicht – schließlich gibt es doch Gesetze, Quoten und Debatten. Doch wer genauer hinsieht, erkennt schnell: Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ist kein Selbstläufer. Sie ist kein Zustand, den man einmal herstellt und dann abhakt, sondern ein fortwährender Aushandlungsprozess. Denn strukturelle Ungleichheiten bestehen weiter, oft leise, oft unsichtbar, aber dennoch wirksam. Solange Frauen* den Großteil der Sorgearbeit leisten, in Führungsetagen unterrepräsentiert sind und sexistische Kommentare zum Alltag gehören, ist Gleichstellung nicht erreicht – auch nicht in Walldorf. Wer kennt sie nicht, diese beiläufigen Sätze, die lächeln und gleichzeitig abwerten: „Für eine Frau machen Sie das ja echt gut.“ Als wäre Kompetenz etwas Überraschendes, wenn sie nicht von einem Mann kommt. Solche „Komplimente“ sind keine Nettigkeiten, sondern Ausdruck eines Systems, das Frauen* permanent herabstuft und sich dabei modern gibt. Wir leben in einer Zeit, in der über Digitalisierung, Bauprojekte und Innovationskraft gesprochen wird – aber kaum jemand fragt: Wie gerecht ist das Miteinander in dieser modernen Stadt eigentlich wirklich?
Eine Gleichstellungsstelle ist kein Störfaktor, kein bürokratischer Luxus. Sie ist ein demokratisches Instrument. Sie sorgt dafür, dass Gerechtigkeit nicht vom Zufall abhängt, dass patriarchale Denkmuster aufgebrochen und marginalisierte Stimmen gehört werden. Und ja, damit ist sie auch unbequem. Denn sie stört eingespielte Machtverhältnisse. Walldorf kann und sollte sich fragen: Wollen wir Gleichstellung nur in Reden beklatschen oder endlich konkret machen? Die Einrichtung einer Stelle der Beauftragten für Chancengleichheit trägt entscheidend zur Förderung von Chancengleichheit in der gesamten Kommune bei und das weit über den klassischen Bereich öffentlicher Einrichtungen hinaus. In einer vielfältigen Gesellschaft wie der unseren bedeutet das nicht nur, gesetzliche Vorgaben zu erfüllen, sondern aktiv Strukturen zu schaffen, in denen alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Alter oder Lebensform gleiche Möglichkeiten zur Teilhabe haben.
Eine solche Stelle wirkt also in viele gesellschaftliche Bereiche hinein: In der Arbeitswelt kann sie faire Rahmenbedingungen für Frauen*, Männer* und nicht-binäre Personen fördern. Durch Sensibilisierung für Lohnungleichheit, inklusive Elternzeitmodelle oder geschlechtergerechte Karrieremöglichkeiten. In der Bildung und Jugendarbeit setzt sie wichtige Impulse, um Rollenbilder aufzubrechen und jungen Menschen eine selbstbestimmte Entwicklung zu ermöglichen. Auch im Ehrenamt oder in Vereinsstrukturen, wo oft tradierte Rollenzuschreibungen bestehen, kann sie Veränderungen anstoßen und Vielfalt stärken und so unsere Gesellschaft offener und gerechter machen. Ohne eine klar benannte Anlaufstelle fehlen Betroffenen die Möglichkeiten, Erfahrungen zu teilen oder Missstände sichtbar zu machen. Dass bislang keine Beschwerden bekannt sind, ist kein Beweis für Gleichbehandlung, sondern womöglich Ausdruck eines fehlenden Systems, das solche Stimmen überhaupt erst hörbar macht. Gleichstellung beginnt nicht erst dort, wo Diskriminierung offen zutage tritt. Sie fängt viel früher an – bei der Auseinandersetzung mit internalisierten Vorurteilen und tief verankerten Rollenmustern, die unseren Alltag oft unbewusst prägen. Genau hier setzt die Arbeit eines*r Gleichstellungsbeauftragten an: mit Bildungsangeboten, Gesprächen und gezielten Impulsen, die dazu beitragen, ein tieferes Bewusstsein für bestehende Ungleichheiten zu schaffen und nachhaltige Veränderung anzustoßen. Auch in scheinbar neutralen Situationen – bei der Wortwahl, der Aufgabenverteilung oder der Gestaltung von Veranstaltungen – können ungleiche Erwartungen und Zuschreibungen wirksam werden.
Die Fortsetzung der Stellungnahme folgt in der nächsten Rundschau.