Redaktion NUSSBAUM
73054 Eislingen/Fils
Wie kann Zukunft der Schulen aussehem?

Ideen für selbstbestimmtes Lernen und weniger Leistungsdruck

Bildungsexpertinnen zeichneten ein dramatisches Bild des deutschen Bildungssystems.
In der Stadthalle lauschten rund 150 Zuhörer Margret Rasfeld (l.) und Jamila Tressel.
In der Stadthalle lauschten rund 150 Zuhörer Margret Rasfeld (l.) und Jamila Tressel.Foto: kaa

Bildungsexpertin Margret Rasfeld zeichnete am Dienstagabend in der Eislinger Stadthalle ein dramatisches Bild des deutschen Bildungssystems und stellt zusammen mit Jamila Tressel alternative Lernformen vor.
Ist es normal, dass Kinder eine 40-Stunden-Woche haben? Dass sie stundenlang stillsitzen müssen? Dass sie Angst vor Zeugnissen und Noten haben, bis hin zu Suizidgedanken? Diese Fragen stellt Margret Rasfeld und beantwortet sie selbst mit einem klaren Nein: Das ist nicht normal. Die Lehrerin und langjährige Schulleiterin im (Un-)Ruhestand möchte das Bildungssystem verändern. Das möchte auch Jamila Tressel, eine ihrer früheren Schülerinnen und „Bildungsaktivistin“. Beide sprachen in der Eislinger Stadthalle vor rund 150 Zuhörern und Zuhörerinnen.
Deutsche Schüler nur noch Mittelmaß?
„Lernen, die Welt zu verändern“ war der Abend überschrieben, zu dem die Kreissparkasse Göppingen in Kooperation mit dem Staatlichen Schulamt Göppingen, dem Erich Kästner Gymnasium und der Stadt Eislingen einlud.
Es gibt verschiedene Hinweise darauf, dass das deutsche Schulsystem nicht auf der Höhe der Zeit ist: Die Ergebnisse bei internationale Bildungstests, in denen Deutschland regelmäßig schlechter abschneidet als man es gern hätte, sind ein Indiz, die psychische Verfassung von Jugendlichen ein anderes. Margret Rasfeld zeichnet ein sehr düsteres Bild von der Lebenswelt junger Menschen, die geprägt sei von Zukunftsängsten und Leistungsdruck, von Mobbing und Cyber-Gewalt, fehlender Beziehung und Bindung.
Schule sei der Ort, an dem sie „Ohnmachtserfahrungen“ machen, an dem ihnen Wissen eingetrichtert wird, anstatt sie kreatives Problemlösen zu lehren, an dem sie beschämt und manchmal gedemütigt werden. Dieses Bild von Schule als einer feindseligen Welt, die allein auf Druck basiert, möchte man so nicht unterschreiben – und es wird sicherlich dem schulischen Alltag und dem, was Lehrerinnen und Lehrer leisten, nicht gerecht. Sie haben sehr wohl eine Beziehung zu ihren Schülern und nehmen sie als Menschen und nicht nur als Bildungsobjekte wahr.
Aber natürlich ist jeder einzelne Fall von Mobbing oder von Notenangst einer zu viel. Natürlich fördert Druck das Lernen nicht – und ein Schulsystem, das in Klasse vier die Kinder in Gewinner und Verlierer aufteilt, schadet dem Zusammenhalt in der Gesellschaft und kann Lebenswege verbauen. Das unterschreibt man auf jeden Fall, ebenso wie Rasfelds Analyse: „Wir sind kognitiv überfrachtet mit Wissen, und die Herzen und der Körper sind vergessen worden.“ Zudem lehre das Bildungssystem genau das nicht, was die Wirtschaft braucht: Selbstbewusstsein, Eigeninitiative, Mut zum Risiko.
Die Reformpädagogin Rasfeld selbst hat als Rektorin der Evangelischen Schule Berlin Zentrum neue Fächer und Lernformen eingeführt, von denen sie zusammen mit Jamila Tressel einige vorstellte. Zum Beispiel das Lernbüro, in dem Schülerinnen und Schüler, oft jahrgangsübergreifend, sich Themen selbst erarbeiten. Material steht bereit; sie entscheiden, womit sie sich beschäftigen, bestimmen selbst ihr Tempo und auch, wann sie mit einem Test abgefragt werden möchten. Das erinnert an die selbstgesteuerten Lernzeiten, die in Gemeinschaftsschulen auch in Baden-Württemberg praktiziert werden. Ähnlich ist es mit dem Coaching, bei dem jedem Schüler und jeder Schülerin eine Lehrkraft zur Seite gestellt wird.
Neue Konzepte sind gefragt
Auch andere der vorgestellten Formate waren fürs Publikum in der Eislinger Stadthalle nicht völlig neu. Externe Experten einladen, Schulversammlungen durchführen, soziales Engagement von Schülerinnen und Schülern fördern, Projektarbeit – das alles machen auch „konventionelle“ Schulen. Die „Schulen im Aufbruch“, die sich im Sinne der von Rasfeld gegründeten gleichnamigen Initiative verändern möchten, tun das konsequenter und gehen weiter, bis hin zu Formaten wie der „Herausforderung“: In deren Rahmen können Teenager zu Schuljahresbeginn drei Wochen lang eine selbstgewählte Herausforderungen bewältigen, sei es, dass sie eine Wanderung mit kleinem Geldbeutel auf fremdem Terrain wagen, sei’s „ein Buch zu schreiben oder den Spagat zu lernen“, wie Jamila Tressel sagte. An diesen Tagen habe sie selbst unheimlich viel fürs Leben gelernt.
Die Beispiele für neue Lernformen waren inspirierend. Davon hätte man gerne noch mehr und vor allem mehr Details gehört, denn solche Positivbeispiele sind es, die ermutigen, etwas Neues zu wagen, während die dramatische Schilderung des Ist-Zustands eher lähmend wirkt. Auch etwas mehr Grautöne zwischen dem Schwarz und dem Weiß, das Rasfeld skizzierte, hätten gutgetan, ebenso wie Hinweise auf Hürden und Schwierigkeiten bei der Transformation und wie sie bewältigt werden können. Wie geht man mit Noten um? Braucht es gar keine Kontrolle über den Lernfortschritt und wenn doch, wie kann sie aussehen? Wie kann man politisch etwas bewegen?
So blieben an diesem Abend einige Fragen offen. Man kann allerdings weiterlesen zu dem Thema, zum Beispiel auf schule-im-aufbruch.de oder in Margret Rasfelds Büchern „Schulen im Aufbruch“ (zusammen mit Stephan Breidenbach) und „Das Schul-Drama“ (zusammen mit Ute Puder). Auch auf Youtube, Instagram und anderen Social-Media-Plattformen sind die beiden Bildungsexpertinnen vertreten. kaa

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von Redaktion NUSSBAUM
20.03.2025
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