Wie passt das zusammen? „Die Welt von Kafkas Schriften ist paradox, labyrinthisch und unheimlich. Es gibt das Wort ‚kafkaesk‘ dafür“, sagt Kerstin Koblitz. „Und doch hat sich Kafka, vor allem beim Lesen seiner eigenen Texte, gebogen vor Lachen.“ Kerstin Koblitz ist freiberufliche und promovierte Germanistin. Sie lebt in Karlsruhe und in Baerenthal in Frankreich.
Bei „junge alte“ im Rahmen der Evangelischen Erwachsenenbildung spricht sie über „‘Ich kann auch lachen, Felice, zweifle nicht daran […]‘. Franz Kafka und sein Humor“. Franz Kafka wird am 3. Juli 1883 in Prag geboren. Er stirbt am 03.06.1924 in Kierling, Österreich, in einem Sanatorium an Tuberkulose.
„Kafka ist ganz sicher einer der weltweit wirkungsmächtigsten Autoren deutscher Sprache“, sagt Kerstin Koblitz. „Sicher ist auch, dass er ein unglücklicher Mensch war.“ So schreibe er in einem Heiratsantrag an seine Verlobte Felice Bauer: „(…) dann lag ich auch schon auf dem Boden, wert hinausgekehrt zu werden … Ich glaube nicht, jemals mit einem Menschen zusammengekommen zu sein, der (…) kümmerlicher wäre als ich (…) Würdest Du einen kranken, schwachen, ungeselligen, schweigsamen, traurigen, steifen, fast hoffnungslosen Menschen gewinnen (…)“
Kafka war 1,82 Meter groß und 61 Kilogramm schwer. Er habe sein Leben lang unter einem Minderwertigkeitsgefühl wegen der „bloßen Körperlichkeit“ seines Vaters und dessen „vitaler Überlegenheit“ gelitten. Er habe sich dieser Macht nicht entziehen und sich ebenbürtig fühlen können.
Sein Humor, so Kerstin Koblitz, werde auch deutlich in einem Brief über seine Arbeit in einer Versicherungsanstalt: „(…) Wie betrunken [fallen] die Leute von den Gerüsten herunter, in die Maschinen hinein, alle Balken kippen um, alle Böschungen lockern sich, alle Leitern rutschen aus (…) Und … [diese] jungen Mädchen in den Porzellanfabriken [werfen sich] … unaufhörlich mit Türmen von Geschirr (…) auf die Treppen.“
„Sein Humor beruht im Wesentlichen darauf, dass er Situationen von oben sieht und Szenen mit Slapstick-Charakter schreibt“, sagt Kerstin Koblitz. Slapstick sei eine spezielle Form der Filmkomödie mit körperbezogenen, visuellen Formen der Komik. Es falle etwas zu Boden und reiße das Nächste mit. Menschliche Rettungsversuche würden alles nur noch schlimmer machen. Der Blick von oben ermögliche es Kafka, sich zu distanzieren. Er habe als sehr „unterhaltend“ gegolten.
Allerdings, so Kerstin Koblitz, sei es nicht Humor im Sinne von witziger Lustigkeit. Es sei ein ernster Humor. Mit Textstellen aus Kafkas „vielleicht berühmtester“ Erzählung „Die Verwandlung“ verdeutlicht sie dies: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch. Seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine, flimmerten ihm hilflos vor den Augen. ‚Was ist mit mir geschehen?‘, dachte er. Es war kein Traum.“
Die Folgen für Gregors Familie, mit der der Junggeselle in Konflikt liegt: Der Vater, bisher von Gregor ernährt, muss wieder selbst arbeiten. Gregors Zimmer verkommt zur Müllhalde. Er wird schließlich von einer Bedienerin mit dem Besen hinausgekehrt. „Es ist Kafkas böser Blick, der alles sieht, seine distanzierte und präzise Beobachtung, die ihm die Welt lächerlich und absurd erscheinen lässt“, so Kerstin Koblitz. (rist)