Heimat- und Geschichtsverein Baltmannsweiler und Hohengehren
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Kriegsgefangene auf dem Schurwald

Die Gaststätte „Schurwaldhöhe“ am Kreisel an der Schorndorfer Straße und die Bushaltestelle gleichen Namens kennen wahrscheinlich alle Einwohner...
Gaststätte "Schurwaldhöhe"
Gaststätte "Schurwaldhöhe"Foto: K. Merker

Die Gaststätte „Schurwaldhöhe“ am Kreisel an der Schorndorfer Straße und die Bushaltestelle gleichen Namens kennen wahrscheinlich alle Einwohner in Baltmannsweiler. Weniger oder gar nicht bekannt ist ihnen hingegen, dass dort während des Zweiten Weltkriegs ein Lager für ausländische Kriegsgefangene eingerichtet war.

Zumindest ab 1940 gab es in dem Schurwalddorf Kriegsgefangene, denn laut eines Protokolls vom 3. August jenes Jahres informierte der damalige Bürgermeister den Gemeinderat darüber, dass er über das Esslinger Arbeitsamt die Zuweisung von fünf Kriegsgefangenen beantragt habe. Sie seien am 29. Juli eingetroffen, bei dem Gastwirt zur „Schurwaldhöhe“ Franz Stoppel untergebracht und unter anderem mit dringenden Wegunterhaltungsarbeiten beschäftigt. Am 3. Dezember 1941 teilte der Bürgermeister dem Landrat in Esslingen mit, dass wieder kriegsgefangene Franzosen im Ort angekommen und im besagten Gasthof untergebracht seien. Sie leisteten beim Forstamt Plochingen Holzhauerarbeiten. In jenen Tagen schickte der Evangelische Oberkirchenrat in Stuttgart sämtlichen Dekanatämtern eine Mitteilung, die Seelsorge für ausländische Kriegsgefangene betreffend. Die angeschriebenen Ämter gaben sie an die Pfarrhäuser weiter, somit wurden auch die Pfarrer Wacker in Baltmannsweiler und Waldbaur in Hohengehren darüber informiert, dass „die Seelsorge an Kriegsgefangenen [...] neuerdings vom Oberkommando der Wehrmacht neu geregelt worden [ist]. Sie soll in Zukunft grundsätzlich nur durch kriegsgefangene Geistliche ausgeübt werden. Deutschen Geistlichen, auch Wehrmachtsgeistlichen ist die Vornahme gottesdienstlicher Handlungen jeder Art bei Kriegsgefangenen verboten. [...] Die Neuordnung gilt auch für Zivilpfarrer, besonders solche, die etwa Kriegsgefangene auf Arbeitskommandos mit Gottesdiensten bedient haben. Weiter wird mitgeteilt, dass die Teilnahme von Zivilarbeitern polnischen Volkstums an den Gottesdiensten schlechthin untersagt ist.“ Was die beiden Pfarrer beim Lesen dieses Schreibens dachten, inwieweit es ihr Handeln beeinflusste, ist nicht bekannt. Es gab sicherlich den einen oder anderen Kriegsgefangenen in der Schurwaldgemeinde, der sich geistlichen Beistand wünschte bzw. gewünscht hätte.

Am 7. August 1941 meldete der Einzelposten der Gendarmerie in Baltmannsweiler dem Landrat die Festnahme zweier entflohener polnischer Kriegsgefangener. Der Gendarmeriewachtmeister der Reserve Schäfer hatte die beiden Männer am Morgen auf einer Dienststreife von Schanbach nach Krummhardt aufgegriffen und dem Gendarmerieposten Esslingen „zugeführt“. Es handelte sich um den 27-jährigen Zbignier Jonkoloski und den 30-jährigen Waclaw Swiderski aus dem Stalag Hammelburg, die in Unterschlüpf (Kreis Mergentheim) bei zwei Bauern gearbeitet hatten und seit elf Tagen mit unbekanntem Ziel unterwegs gewesen waren. Für das Jahr 1944 finden sich im Esslinger Kreisarchiv schriftliche Unterlagen über weitere Fälle geflohener Kriegsgefangener: So entfernten sich am Morgen des 21. Februar 1944 der 31-jährige Sergei Chikow, von Beruf Schlosser, und der 32-jährige Nikolei Maslow, im Zivilleben Bauer, von ihrer Arbeitsstelle bei der Saatschule auf der Gemarkung Baltmannsweiler in Richtung Reichenbach/Fils – Plochingen. Was aus den beiden aus Moskau gebürtigen Männern wurde, ist leider nicht bekannt. Am 8. Mai stellte der Gastwirt Stoppel auf der Schorndorfer Straße zwei Ostarbeiter in Zivilkleidern, die in Richtung Schorndorf gingen, und brachte sie in den Ortsarrest. Die beiden Männer, der 38-jährige Oberleutnant Kosta Gagnidze und der 34-jährige Hauptmann Dawid Mschavanadske, waren Offiziere der Roten Armee aus dem Lager Cannstatt und mussten bei einer Baufirma in Stuttgart-Gaisburg arbeiten. Drei Tage zuvor war ihnen gegen Mittag die Flucht gelungen, die Nächte hatten sie im Wald zugebracht. Die Festgenommenen wurden noch am selben Abend von zwei Soldaten abgeholt, ihr weiteres Schicksal liegt im Dunkeln. Und am frühen Morgen des 12. September entfloh aus dem Lager Schurwaldhöhe der französische Kriegsgefangene Heinrich (wohl Henri) Terrine, gebürtig aus Meaux. Eine Fahndung wurde sofort aufgenommen, über Terrines Schicksal konnte nach so vielen Jahren jedoch nichts herausgefunden werden.

Franz Stoppel starb eines gewaltsamen Todes: Als am 5. September 1945 junge polnische Soldaten das Anwesen plünderten, wehrte sich der 65-Jährige, woraufhin zwei der Plünderer auf ihn schossen. Viele Monate später verhafteten US-Militärpolizisten die beiden Täter, und der Todesschütze wurde zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. So steht es in der Baltmannsweiler Ortsgeschichte von 1999.

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