Ein Laufbericht von Karlheinz Dravec
105 Kilometer und 3.850 Höhenmeter, man kann das Sportjahr kaum mit einer größeren Herausforderung starten. Gemeinsam mit meinem langjährigen Laufkumpel Manuel Schmied aus Laichingen bin ich gleich zu Jahresbeginn nach Italien gefahren um dort am 4./5. Januar in der Gegend um Triest am Ultratrail „La Corsa della Bora“ teilzunehmen. Für die Fans des Non-Stop-Ultra-Trails bietet die Strecke durch den Triestiner Karst und entlang der slowenischen Grenze eine sehr abwechslungsreiche Route inmitten historischer Stätten, mit Start und Ziel auf Meereshöhe im Hafen von Portopiccolo Sistiena. Laut Veranstalter eine der schönsten und landschaftlich reizvollsten Wanderrouten an der gesamten oberen Adria mit bezauberndsten Aussichtspunkten auf den Golf von Triest.
Insgesamt waren 188 Läuferinnen und Läufer auf der 105 km Strecke am Start. Man konnte dabei aus zwei Startzeiten auswählen. Entweder am Samstagabend um 20 Uhr oder 4 Stunden später um Mitternacht. Zielschluss für alle war am Sonntag um 20 Uhr. Es gab parallel über den Tag verteilt mehrere Wettbewerbe mit kürzeren Distanzen, die dafür sorgten, dass sich tagsüber 2.400 aktive Läuferinnen und Läufer auf der Strecke verteilten.
Manuel und ich entschieden uns, wie ca. 2/3 der Teilnehmer, für die spätere Startzeit, um im besten Fall nur eine halbe Nacht lang auf der Strecke verbringen zu müssen. Mein selbst gesetztes Ziel war, noch bei Tageslicht, also vor 17 Uhr, im Ziel anzukommen. Manuel ist deutlich stärker und wollte unter den TOP 20 mitlaufen. Bei unserem Start wurde alles auf Null gesetzt. Dieser erfolgte am Sonntag um 0:00 Uhr, auf 0 Meter Meereshöhe und bei frostigen 0 Grad Außentemperaturen. Die „Bora“ sorgte dafür, dass sich das Ganze noch kälter anfühlte. Kurz nachdem man den kleinen Hafen und das Dorf verlassen hatte ging es hinein in die Dunkelheit. Im schmalen Licht der Stirnlampen ging es auf den ersten Single Trail an der schroffen und teilweise steil abfallenden Küste in Richtung Trieste entlang. Auf den schmalen und unwegsamen Wegen war von Beginn an höchste Konzentration gefordert. Das Feld zog sich schnell auseinander. Während Manu sich irgendwo in der Spitze einsortierte, schloss ich mich einer international durchmischten Gruppe von sechs weiteren Läufern an. Darunter auch Sebastian, ein befreundeter Läufer von der Ostalb. Mit zunehmenden Höhenmetern ergaben sich immer wieder beeindruckende Ausblicke auf die beleuchteten Dörfer und Schiffe im Golf von Trieste. Doch man konnte weder die Aussicht noch die Stille der Nacht so richtig genießen, denn man musste den Blick permanent am Boden halten, um den nächsten Schritt richtig zu setzen. Schade, denn den vermutlich schwierigsten, aber schönsten Teil der Strecke sind wir in der kompletten Dunkelheit gelaufen. Trotz des recht unförmigen und harten Gesteins auf dem Boden war das Tempo in meiner kleinen Läufergruppe ziemlich ambitioniert. Ein kleiner Aufmerksamkeitsfehler sorgte dafür, dass ich an einer Bodenwelle hängen blieb und stürzte. Die anderen Läufer kümmerten sich sofort um mich. Typischerweise hatte ich mir Knie, Ellenbogen und die Hände etwas aufgeschürft. Aber ich konnte den Lauf direkt wieder mit der Gruppe fortsetzen. Nach 6:40 Stunden erreichten wir die Verpflegungsstation bei KM 50. Dort hatte ich einen Dropback mit Ersatzkleidung deponiert. Da ich schon ziemlich durchschwitzt war, zog ich mich komplett um. Hier entzerrte sich auch unsere bis dahin so gut harmonierende Laufgruppe. Als ich das Camp verließ, sah ich auch Sebastian nicht mehr und war dann erst mal allein unterwegs. Leider war es noch dunkel und ich musste die Stirnlampe weiterhin mitführen. Mit dem Morgengrauen setzte leichter Schneefall ein. Die Nässe sorgte auch dafür, dass man auf den felsigen Trails keinen richtigen Gripp mehr hatte. Ungewöhnlich für so eine langen Lauf, der nicht gerade in alpinem Gelände stattfand war, dass es nur wenig lauftechnisch einfache und entlastende Abschnitte gab. Ständig lag irgendwas im Weg und man konnte kaum mal einen Schritt gleich wie den anderen setzen. Mit zunehmender Zeit zehrte auch der hohe Konzentrationsaufwand an den Kraftreserven. Auf einem anspruchsvollen Downhill Trail blieb ich mit dem Fuß zwischen zwei Steinblöcken hängen und verbog mir dabei das komplette Laufgestell. Danach fühlte sich mein Körper ziemlich ramponiert an. Ich bekam keine richtige Stabilität mehr in meinen Laufstiel und musste in den Notbetrieb umschalten. Das bedeutet laufen solange es eben geht und danach gehen bis es wieder läuft. Und es lagen ja noch gut 50 Kilometer vor mir. Aber ich hatte ausreichend Zeit Budget, um es notfalls durchzuwandern. Die folgenden Stunden waren dann schon ziemlich zäh. Durch die permanente Bora war es weiterhin recht kalt, Nieselregen ersetze das Schneetreiben und das Gelände an der slowenischen Grenze bot wenig Abwechslung. Gefühlt kam ich kaum von der Stelle. Mittlerweile wurde ich ständig von Läuferinnen und Läufern aus den anderen Wettbewerben überholt. Immerhin war ich nicht allein in der Wildnis unterwegs. Im Run & Walk Modus kam ich mit 6 Kilometern in der Stunde voran. So quälte ich mich bis zur Verpflegungsstelle bei km 82. Dort traf ich wieder auf Sebastian. Auch er war im vorangegangenen Abschnitt leistungsmäßig eingebrochen. Es war kurz vor 12 Uhr und wir hatten rein rechnerisch noch volle 8 Stunden Zeit, um die letzten 22 Kilometer zu bewältigen. Wir beschlossen, die restliche Strecke vollends gemeinsam durchzuziehen. Also gönnten wir uns in aller Ruhe Pizza und Bier. Ja, das gab es an dieser Verpflegungsstelle tatsächlich. So wohltuend und man mag es kaum glauben, aber nur kurze Zeit später konnten wir beide fast schon wieder in den Normalbetrieb umschalten. Es lief plötzlich und wir nahmen uns vor, das Ziel doch noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Es lief dann so gut, dass wir nach dem VP bei km 95 unser Zeitziel sogar noch auf unter 16 Stunden korrigierten. Die letzten 10 km waren dann auch nicht mehr sehr anspruchsvoll. Es ging nur noch leicht wellig in Richtung Meer. Wir konnten das Tempo einigermaßen halten und noch einige andere Läufer überholen. Die letzten 500 Meter ging es direkt neben dem Meer am Kiesstrand der Hafenanlage entlang, über einen roten Teppich und durch den Zielbogen.
Am Ende belegten Sebastian und ich mit einer Laufzeit von 15:16 Stunden die Plätze 27 und 28 der Gesamtwertung. Manuel war bereits nach 14:02 Stunden als 15. Läufer im Ziel angekommen.
Nur 138 Läuferinnen und Läufer schafften die komplette Strecke. Wir hatten unsere selbst gesteckten Ziele trotz aller Widrigkeiten deutlich übertroffen. Ein paar meiner Körperstellen werden wohl noch ein paar Tage mehr von diesem Laufabenteuer zu erzählen haben. Doch nach dem Lauf ist vor dem Lauf. Es wird weitergehen.