Dr. Carsten Persner spricht für Heimatfreunde und Ortsverwaltung im Bürgersaal
„Es sind so erfreulich viele Menschen heute hier hergekommen, dass man überlegen sollte, ob diese Veranstaltung nicht wiederholt werden kann.“ Ortsvorsteherin Karen Eßrich zeigt sich sehr zufrieden, dass im Rahmen der Kulturveranstaltungen im Grötzinger Bürgersaal solch reges Interesse gezeigt wird. In Zusammenarbeit der Ortsverwaltung mit den Heimatfreunden berichtete Dr. Carsten Persner zum schweren Luftangriff auf Grötzingen am 24. April 1944. Was 80 Jahre zurückliegt und nie wieder erlebt werden sollte, werde heute leider auf tragische Weise wieder vorstellbar, denkt man an Europa nahe rückende kriegerische Auseinandersetzungen, Gefechte und Bombenterror für die Bevölkerung.
Die Heimatfreunde schätzten sich glücklich, Herrn Persner für diesen Vortrag gewonnen zu haben, sagte Dr. Klaus Feige. Der Vorsitzende der Heimatfreunde erinnerte an die Vorarbeit von Dr. Peter Güss, der das Thema vor Jahren mehrfach vorstellte. Die damals vom Historiker Güss geführten Rundgänge zur Vertiefung des Geschehens wären bei den Heimatfreunden bereits neu angedacht worden, vielleicht schon für den Mai.
„Zum Thema Bombennacht möchte ich noch weitere Apekte beitragen“, erklärte Dr. Persner. Schwer wiegende, Veränderungen provozierende Ereignisse für Grötzingen wären meist durch die Pfinz und deren Überschwemmungen hervorgerufen worden, ebenso durch kriegerische Handlungen. So dezimierte etwa der 30-jährige Krieg die Bevölkerung des Dorfes um zwei Drittel. Die Nazi-Diktatur und der Zweite Weltkrieg brachten mehrfach einschneidende Veränderungen. „Dieser Angriff auf die Bevölkerung kam nicht aus dem Nichts heraus“, weiß Dr. Persner. Wer „Mein Kampf“ gelesen hatte, der musste wissen, dass die Vorbereitungen für einen Krieg schon früh im Gange waren. Bereits ab 1935 konnte man den Bau diverser Bunker beobachten, die Verstärkung der Grötzinger Brücken war sichtbar. 1938 entstand die Luftverteidigungszone West (LVZ West), der Westwall mit Flak-Stellungen von Jülich bis zum Bodensee. Grötzingen lag in der angenommenen Einflugschneise, der Bunkerbau war zu beobachten. Ab 1934 hatten schon regelmäßige Luftschutzübungen stattgefunden, ab 1936 verschärften sich die Bedingungen. Es musste verdunkelt werden, sichtbares Licht wurde unter Strafe gestellt. Auf dem Knittelberg entstanden sieben Infanterie-Bunker und vier Maschinengewehr-Stellungen. Dazu ein Wasserbunker im Hattenkellenhohl und Horchbauten. Man erwartete den Angriff von Westen her. In Berghausen auf dem Hummelberg war schwere Flak stationiert, als 1938 die Sudetenkrise eskalierte, ein internationaler, provozierter Konflikt, der die Tchechoslowakei zerstören sollte, um sie dem deutschen Reichsgebiet einzuverleiben.
Zunächst war nur leichte Flak mit mäßiger Reichweite angesiedelt. Sie sollte die Bomberverbände zwingen, höher zu steigen, um Angriffe besser voraussagen zu können. Gleichzeitig bauten die Nationalsozialisten als Geheimsache leuchtende Scheinanlagen zur Verwirrung. Etwa eine, die in Fächerform die Stadt Karlsruhe simulieren sollte, eine, die den Rheinhafen nachstellte und „Panama“ eine Darstellung der Industrieanlagen. 1941 wurde die letzte schwere Flak von Karlsruhe nach Straßburg zum Ölhafen abgezogen. Im August des gleichen Jahres gab es den ersten schweren Luftangriff auf Karlsruhe. „Es gab keine große Planung zur Abwehr, nur Reaktion“, dokumentiert Carsten Persner. Die Koordination auf dem Turmberg und dem Knittelberg waren ungeplante Horchstellen. Währenddessen lief im Ort noch die Pfinzbegradigung. Bald gab es hier Beschwerden, dass man nicht genügend Kriegsgefangene für diese Arbeit hätte. Im September 1942 erlitt Karlsruhe einen schweren Luftangriff. Der Angriff von 600 Bombern am 25. April hatte eigentlich der Kernstadt gegolten. Karlsruhe sollte komplett zerstört werden. Durch einen aufkommenden Gewittersturm würden die „Christbäume“ abgedrängt und wiesen den Bombern den Weg nach Osten, Hagsfeld, Rintheim und Grötzingen. 118 Menschen kamen zu Tode. In Grötzingen starben in den 40 Minuten des Bombenangriffs drei Menschen. 1000 Stück Kleinvieh verendeten, ein Viertel aller Wohngebäude waren schwer beschädigt. 13 Feuerwehren aus dem Umland löschten noch Stunden nach dem Angriff, die Explosionen waren noch lange zu hören. Dr. Persner zeigt eine Karte der zerstörten und beschädigten Wohngebäude. Mit zahlreichen vergleichenden Fotos demonstriert er den Zustand zerstörter Straßenzüge und markanter Gebäude. Bismarckstraße, Weingartner Straße, Waldstraße, Auf den Stangen, Lammstraße, Oberviertel, die Alte Kelter, die Feuerwehr, Das Rathaus 2 (vormals Sinauer und Veith), Kanne, Schwanen und Schwanenhalle und vieles mehr: alles zerstört! Das Gesicht Grötzingens wird nicht wieder die alte werden!
Am 10. Januar 45 hat ein Tieffliegerangriff nochmals schreckliche Folgen. Es starben 12 Polinnen, Zwangsarbeiterinnen, denen in der Patron verboten war, die Luftschutzkeller zu nutzen.
Bis der Krieg in Grötzingen am 15. April beendet wurde, gab es kurz vorher noch zwei Todesopfer. Ungeklärt bleibt der Tod eines Jungen. Der Postfacharbeiter Eugen Kleiber wies auf den Unsinn der Brückensprengungen hin. Da erschoss ihn Karl Hornberger, Gestapo-Angehöriger und Blutordensträger in der Augustenburgstraße.
„Haben wir aus dem Geschehenen gelernt?“, fragt Dr. Carsten Persner. Er zeigt sich skeptisch. Sein Hinweis aber ist eindeutig: „Wir müssen totalitären Regimen eine Absage erteilen und demokratisch wählen!“ (sts)