Wer in früheren Zeiten eine Blutung stillen wollte, dem wurde in unserer Gegend geraten, so zu sprechen und sich so zu verhalten:
„Auf unsers Herrn Jesu Grab,
Da wachsen drei Rosen.
Die erste heißt Hoffnung.
Die andre Geduld.
Die dritte: Gotts Wille;
Blut, ich gebiete dir, steh stille!
Im Namen Gottes usw.
Während des Sprechens wird die Wunde mit dem Daumen oder Ballen zugedeckt.“
(Ernst Heinrich Meier, Deutsche Sagen, Sitten und Gebräuche aus Schwaben, Nr.473; die originale Schreibweise ist beibehalten.)
Im Volk wurden Glauben und Aberglauben kaum unterschieden. Vielfach meinte man, wenn man den Namen Gottes anrief, schon etwas Frommes zu tun. In der Theologie dagegen war seit alters ein klarer Unterschied gegeben: Glaube ist ein anderes Wort für Vertrauen. Der Glaubende vertraut auf Gott und lebt, ausgesprochen oder unausgesprochen, die Vaterunser-Bitte „Dein Wille geschehe!“ Der Aberglauben dagegen versucht, Gott oder jenseitige Mächte dadurch zu zwingen, dass er zur richtigen Zeit (nicht selten um Mitternacht) am richtigen Ort (nicht selten an einer Wegkreuzung) die richtigen Worte als magische Formel zitiert. Wenn alles stimmt, müssen Gott oder die jenseitigen Mächte dem Abergläubigen gehorchen.
Das zitierte Beispiel scheint recht fromm zu beginnen, endet dann aber in einem Befehl: Das Blut oder der für die Blutstillung zuständige Geist wird wie ein Diener angesprochen, der jetzt gehorchen muss.
Wie schon gesagt: In früheren Zeiten haben die Wenigsten exakt zwischen Glauben und Aberglauben unterschieden. Man hoffte schlicht, dass magische Formeln und magische Rituale in den Nöten des Alltags helfen mögen. Eine andere Hilfe sah man nicht.
S. Schulz