Melvin Voss hat Innenministerin Nancy Faeser interviewt. Der Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, hat er die Hand geschüttelt. Seine Medaillensammlung zu Hause wächst immer weiter und die Zahl seiner Follower auf Instagram ist mittlerweile bei über 355. Der 21-Jährige mit Downsyndrom ist ein kleiner Promi und ein großer Sportler. Er startet als Para-Karateka für den ASV Eislingen.
Kürzlich wurde Melvin Voss bei der Sportlerehrung der Stadt für den 2. Platz bei der Deutschen Meisterschaft im Para-Karate (Kategorie K22) ausgezeichnet; Ende März hat er Vize-Meisterschaft erneut nach Hause gebracht. Fehlen nur noch die Autogrammkarten: Die will er dann drucken lassen, wenn er auf Platz eins in Deutschland landet. Dafür muss er an seinem Dauer-Kontrahenten Marvin Nöltge vorbeiziehen, der wie er das Downsyndrom hat. Aber Melvin Voss ist fast 20 Jahre jünger, und er studiert derzeit eine neue Kata, also eine Karate-Übung, ein, die es in sich hat. Von daher darf man gespannt sein.
„Schon seit ewig“ mache er Karate, sagt der Bartenbacher. Mit zehn Jahren hat er beim ASV Eislingen begonnen, wo auch sein Vater aktiv ist. Von Anfang an war er mit allen anderen und ohne Sonderbehandlung ins Training integriert. Das habe der Verein toll hinbekommen, findet Melvins Mutter Bernadette Voss. Und als Melvin vor zwei Jahren den 1. Dan ablegte, musste er dieselbe Prüfung bestehen wie alle anderen. Seither trägt er den schwarzen Gürtel.
Intensives Training beim ASV
Sport spielt im Leben des Karateka eine große Rolle: Karate-Training drei Mal die Woche, zusätzlich zwei Mal wöchentlich Krafttraining. Er schwimmt gern und sehr gut, radelt, fährt Ski, mag Billard und Tischkicker. Beim TSV Bartenbach, wo seine eigene Sportkarriere begann, ist er Trainer-Assistent fürs Jungenturnen. Das mache Spaß, sei aber wirklich anstrengend, sagt er, weil die Kinder manchmal einfach nicht zuhörten.
Der 21-Jährige steht mitten im Leben, das spürt und sieht man. Er hat in Bartenbach Kindergarten und Grundschule besucht wie die anderen Kinder, danach bis zum Abschluss nach Klasse 10 die Gemeinschaftsschule in Bad Boll. Bei der Feuerwehr in Faurndau ist er aktiv, außerdem setzt er sich für Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung ein. Er hört gern Musik, spielt Theater und das komplexe Kartenspiel „Magic: the gathering“. Jede Menge Interessen also, aber zurzeit wünscht Melvin vor allem eins: einen Arbeitsplatz, der zu ihm passt. Zu bieten hat er einiges. „Er kann unheimlich viel“, sagt seine Mutter. Haushalt und Hauswirtschaft liegen ihm, sogar eine Hygieneschulung hat er absolviert. Backen ist eins seiner Hobbys, wobei er wegen einer Zöliakie nicht mit Mehlen aus Getreide hantieren darf – das führt zu spannenden Brezel-Experimenten aus alternativen Teigen im Hause Voss.
Derzeit assistiert Melvin Voss einmal die Woche im hauswirtschaftlichen Bereich eines ambulanten Pflegedienstes, außerdem arbeitet er an zwei Tagen in der Mensa des Mörike-Gymnasiums. Beim Göppinger Oberbürgermeister hat er ein Praktikum absolviert und konnte dabei auch bei einem Sicherheitsdienst reinschnuppern. Und bei einem Film- und Medienstudio war er längere Zeit Praktikant und kann mit der entsprechenden Technik umgehen. Bei alledem ist der junge Mann absolut zuverlässig und sorgfältig. Nur eins mag er nicht: Hektik und Stress. Er muss in seinem Tempo arbeiten können, sonst bekomme er Magenschmerzen, sagt er. Und es macht ihm auch Bauchweh, dass er bisher keinen festen Arbeitsplatz gefunden hat: „Ich finde keinen Arbeitgeber, der mich fest anstellt“, bedauert er.
Alles, was wer derzeit macht, läuft als Ehrenamt, mit Ausnahme von einigen Stunden Büroarbeit bei Gemeinsam Leben Göppingen, für die er bezahlt wird. Ehrenamt findet Melvin immer noch besser als in einer „geschützten“ Werkstatt zu arbeiten. Denn dort bleiben Menschen mit Behinderung weitgehend unter sich, und sie verdienen weniger als 250 Euro im Monat. „Das ist Ausbeutung“, sagt er und fügt hinzu: „Ausbeutung ist eine Straftat.“ Dabei bleibt er, auch wenn seine Mutter darauf hinweist, dass das nun mal das System in Deutschland sei. Einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte er schon immer.
In der Sporthalle und im Internet unterwegs
Der 21-Jährige hofft weiter auf eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt, die ihm entspricht. Einstweilen nutzt er die Zeit, um Sport zu treiben. Seit Januar gehört er zum Bundeskader und startet für den Deutschen Karateverband (DKV), der regelmäßig Lehrgänge in Berlin anbietet. „Ich kenne da alle“, sagt Melvin und zählt die Namen von Trainern und Funktionären auf. Hochrangige Persönlichkeiten hat er auch schon vorher getroffen, zum Beispiel bei den Special Olympic World Games 2023 in Berlin und bei den Special Olympic Winter Games 2024 in Thüringen, wo er dem inklusiven Media Team von Toyota angehörte.
Neuigkeiten von Melvin Voss, vor allem, was seine sportlichen Aktivitäten angeht, findet man regelmäßig auf seinem Instagram-Kanal @melvinvoss. Wer den bestückt und pflegt? Natürlich er selbst. kaa