«Nur die Orgel lässt uns begreifen, wie die Ewigkeit sich entwickeln kann», schrieb vor gut 70 Jahren der Aphoristiker (Emil M. Cioran). – Jetzt, da sich die bisherigen Vorbereitungsarbeiten des Orgelfördervereins St. Pankratius mehr und mehr zu Entscheidungen zu verdichten, abzeichnen, stand dessen jüngste Orgelfahrt zu zwei sehr unterschiedlichen, aber gleich interessanten Instrumenten unter einem besonderen Vorzeichen. Hinzukam, dass ein Ziel der Fahrt die Winterhalter-Orgel in Darmstadt St. Ludwig war, ein Orgelbauer, der auch für das Orgelprojekt des Vereins ein bemerkenswertes Angebot eingereicht hat. Doch zunächst führte die Fahrt zur Schäfer-Orgel nach Nieder-Ramstadt St. Michael.
Florian Wolf stellte uns das barocke Instrument aus dem Jahr 1723, das ursprünglich für eine Kirche in Dieburg gebaut worden war, mit eindrucksvollen Klangbeispielen vor. Als die Orgel in den 1960er-Jahren für die neu gebaute Kirche erworben wurde, wurde sie zunächst im Geist der Zeit deutlich erweitert und „modernisiert“. Dieser Umbau erwies sich später als wenig sinnvoll. Da die technische und klangliche Substanz aber sehr gut war, konnte in den 90er-Jahren mithilfe von Fachleuten ein Rückbau in den Ursprungszustand vorgenommen werden. Die Orgel gilt heute als eine der am besten erhaltenen historischen Orgeln in Hessen. Mit ihren vergleichsweise wenigen Registern im Pedal und lediglich einem Manual zeigte Florian Wolf, welche Klangpracht sich mit einem bescheidenen, technisch einwandfreien und klanglich hervorragenden Instrument dennoch entfalten lässt – Kriterien, die sich auch der Orgelverein gleich zu Beginn seiner Arbeit zum Ziel gesetzt hat.
Eine ganz andere „Nummer“ hingegen war die Winterhalter-Orgel in Darmstadt St. Ludwig. 2005 erhielt die Kuppelkirche aus dem frühen 19. Jahrhundert eine in jeder Hinsicht beeindruckende Orgel. Der Rundbau, bei dem der Schall als Echo vielfach von den Wänden zurückgeworfen wird und auf diese Weise lange im Raum „steht“, stellte dabei eine enorme Schwierigkeit dar. Eine weitere bestand darin, in den klassizistischen Innenraum ein Instrument einzufügen, das dessen Größe und Volumen gerecht wird, sich optisch dennoch nicht in den Vordergrund drängt, ohne jedoch darin zu verschwinden. Das Ergebnis, das wir sahen und hörten, war überwältigend: Der Raum wurde Klang, der Klang Raum, beide eins! Florian Wolf, Jan-Luca Lentz und Jorin Sandau, der Darmstädter Regionalkantor, ließen alle „Farben“ der Orgel erklingen, die am Ende sogar unser Hörvermögen überstiegen, denn der tiefste Ton, den die Orgel spielen kann, hat eine Frequenz von 16 Hertz, eine Frequenz, die das Ohr nicht mehr hören, der Körper aber sehr wohl spüren kann. Wie sich die Orgel bei der Gemeindebegleitung anhört und -fühlt, konnten wir, „Christ ist erstanden“ singend, zum Schluss selbst erleben.
Einmal mehr haben wir die Faszination des Orgelbaus an zwei gar nicht vergleichbaren, in ihrer eigenen Weise einmaligen Instrumenten erfahren und unseren eigenen beschränkten Horizont wieder ein kleines Stück erweitern können. Oder noch einmal mit Cioran: «Das klingende Universum: Lautmalerei des Unsagbaren, entrolltes Rätsel, erlebte und doch unfassbare Unendlichkeit.»
Georg Neureither