Der mit dem Cello singt – so wird der britische Musiker Sheku Kanneh-Mason gern beschrieben. Er wurde auf einen Schlag berühmt, als sein Name 2018 um die ganze Welt ging. Der damals 19-Jährige rührte mit seinem charismatischen Cellospiel bei der Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle auf Schloss Windsor ein Milliardenpublikum zu Tränen.
Im FestspielhausBaden-Baden musiziert er am Sonntag, 14. April 2024, gemeinsam mit dem Royal Philharmonic Orchestra das Cellokonzert von Edward Elgar. Ergreifend dann auch der sinfonische Teil: Neben einem Auszug aus Wagners „Meistersingern“ spielt das Londoner Orchester unter Leitung des Chefdirigenten Vasily Petrenko Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6, die „Pathétique“.
Dieser Konzertabend im Festspielhaus ist etwas für die Liebhaber dunkler Streicherfülle, in die man sich fallenlassen kann wie in Sofakissen. Die spätromantischen Werke klingen einfach wunderschön, auf die altmodischste Weise, wie ein alter Rotwein, der den Kopf schwer werden lässt und das Herz erwärmt.
Es hat etwas gedauert, bis ein Edward Elgar das Tor zum Hochdramatischen durchstoßen hat. Das dann aber gründlich: seinen Zeitgenossen erschien der Komponist wie ein zweiter, ein „englischer“ Beethoven. Voller Wehmut schaut in dem Cellokonzert op. 85 die Musik auf eine untergegangene Welt zurück – und das Hauptthema des 1919 uraufgeführten Werks hat echte Ohrwurmqualitäten.
Das Cellokonzert ist nicht nur für die Spieler, sondern auch für den Zuhörer ein emotional aufreibendes Werk, dessen überwältigende Stimmung von Melancholie und herbstlichem Weltschmerz geprägt ist. Der erste Satz beginnt mit einer deklamatorischen, grandiosen Aussage des Solisten, die in fast improvisatorischem Stil in eine beschwingte Melodie mündet. Elgar setzt ein großes romantisches Orchester ein, aber die Geschicklichkeit und Zurückhaltung seiner Instrumentalmusik vermittelt häufig den Eindruck von Kammermusik, so dass der Solist mühelos dominieren kann. Der 62-jährige Elgar beschrieb sein Cellokonzert als „das Lebensgefühl eines Mannes“.
Edward Elgar blick in seinem Cellokonzert wehmütig, aber auch leidenschaftlich zurück in eine heile Welt. Heute ist sein Werk eines der populärsten Cello-Stücke überhaupt.
Auch Peter Tschaikowskys sechste (und letzte) Sinfonie wirkt wie ein Abgesang auf eine versinkende Epoche. Es ist ein typisches Werk des Fin de Siècle, in dem Vieles von dem verklingt, wovon die Kunst und im Speziellen die Musik in den Jahrzehnten zuvor geprägt wurde.
Tschaikowskis Bruder Modest verlieh der Sinfonie den Titel „Pathétique“. Pathetisch ist sie tatsächlich. Mehr noch: Die Sechste ist tragisch, dramatisch, packend, unheilvoll. Und sie ist Tschaikowskys Schwanengesang: Neun Tage nach der Uraufführung starb er unter bis heute ungeklärten Umständen, viele sehen in dem Werk sein eigenes Requiem. Das lässt sich auch an rein kompositionstechnischen Vorgängen des Werkes nachvollziehen. Zuversicht und Tatendrang – Liebe – Enttäuschung – Tod und Verzweiflung. Insbesondere ungewöhnlich und neu zu jener Zeit war der langsame Schlusssatz – ein wehmütig ausklingendes Adagio statt des sonst üblichen triumphalen Allegros.
Als junger Cellostudent bei einem Auftritt an die zwei Milliarden Fernsehzuschauer zu haben, ist ein Karriereschub sondergleichen. 600 geladene Gäste in der St. George's Chapel, 18 Millionen Briten und geschätzt rund zwei Milliarden Menschen auf der ganzen Welt schauten und hörten zu, als Sheku Kanneh-Mason zum Ende des royalen Traugottesdienstes drei Stücke auf seinem Cello spielt. Schon zuvor hatte der britische Musiker in der Klassik-
Szene für Aufmerksamkeit gesorgt. 2016 gewann er den „BBC Young Musician“-Wettbewerb sowie den „Royal Philharmonic Society Young Instrumentalist Duet Prize“ und seit seinem Debüt bei den BBC Proms 2017 ist er jedes Jahr in dieser berühmten Konzertreihe aufgetreten.
Über das Image des „Royal Wedding“-Cellisten hat sich der sympathisch-selbstbewusste Künstler längst hinausgespielt. Heute umspannen die Auftritte des Cellisten Sheku Kanneh-Mason die ganze Welt. Ob er für Kinder in einem Schulsaal, in einem Underground-Club oder in den führenden Konzertsälen der Welt auftritt, Kanneh-Masons Mission ist es, Musik für alle zugänglich zu machen. Er arbeitet mit so renommierten Orchestern zusammen wie Los Angeles Philharmonic, New York Philharmonic, Chicago Symphony und dem Orchestre de Paris und seine Konzerttourneen führen ihn um die ganze Welt – oft auch mit seinen Geschwistern, die alle sechs erfolgreich musizieren. Seine Schwester, die Pianistin Isata, war in Baden-Baden in einem Solokonzert zu erleben.
London ist und bleibt die Metropole der Spitzenorchester Europas: Unabhängig von den Opernorchestern konkurrieren dort fünf große Sinfonieorchester. Am 14. April zu Gast im Festspielhaus ist das unmittelbar nach dem Krieg vom legendären Sir Thomas Beecham gegründete Royal Philharmonic Orchestra - das als einziges von Queen Elizabeth geadelt wurde. Das Weltklasse-Orchester unter der Leitung seines Chefdirigenten Vasily Petrenko ist mit seinem vielfältigen Repertoire in Großbritannien gefragt wie kein zweites.
Gemeinsam stehen Cellist Sheku Kanneh-Mason und das Royal Philharmonic das erste Mal auf der Festspielhausbühne. Das Baden-Badener Publikum darf gespannt sein, wie sie das Cellokonzert von Edward Elgar, das letzte große Orchesterwerk des britischen Komponisten, virtuos in Klänge formen.