Der Wieslocher Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Lars Castellucci lud am Freitagabend Interessierte zu einer Video-Konferenz mit Bärbel Bas. Bas war von 2021 bis 2025 Präsidentin des Deutschen Bundestages und gehörte für die SPD dem engsten Verhandlungsteam zum neuen Koalitionsvertrag an.
Castellucci lud gemeinsam mit der SPD Rhein-Neckar, der SPD Neckar-Odenwald und der SPD Main-Tauber ein. Damit war das nördliche Baden-Württemberg (ohne Heidelberg und Mannheim) abgedeckt.
Castellucci eröffnete: „Unsere Verhandlerinnen und Verhandler haben sehr gut gearbeitet. Zentrale Versprechen der SPD, darunter eine weitere Erhöhung des Mindestlohns, Tariftreue und stabile Renten, sind aufgenommen.“ Er dankte Bas, dass sie sich Zeit für interessierte Bürger genommen hatte.
Bas beschrieb die Koalitionsverhandlungen als konstruktiv. Die SPD hat wichtige Themen positioniert. Deutlich betonte sie jedoch den Finanzierungsvorbehalt. Die Entwicklungen in der Weltpolitik hätten keine längeren Verhandlungen erlaubt.
Sie nannte die geänderte Position der USA in Bezug auf die Ukraine oder den drohenden Welthandelskrieg aufgrund der Zollpolitik von Donald Trump. Mit Finanz- und Justizministerium seien jedoch zentrale und einflussreiche Ministerien in Händen der SPD.
Es ist geplant, 20 Prozent der bestehenden Verwaltungsvorschriften abzuschaffen. Gelingt einer stabilen Regierung der Bürokratieabbau, gäbe das sehr viel Planungssicherheit für die Wirtschaft.
Das Mitgliedervotum der SPD zum neuen Koalitionsvertrag lief zum Redaktionsschluss noch. Aus der Historie gilt eine Ablehnung als sehr unwahrscheinlich, trotz abweichender Position der JuSos. Mit Ausnahme der Vertreter der jungen SPD-Organisation (JuSos) wollten alle SPD-Mitglieder, die sich zu Wort meldeten, dem Vertrag zustimmen.
Die Teilnehmer äußerten jedoch auch Bedenken, dass Kerninhalte sozialdemokratischer Politik auf der Strecke bleiben könnten. Die JuSos bezeichneten den Vertrag schlicht als „nicht annehmbar“.
Dr. Christoph Aly, Vorstand des NABU Wiesloch, mahnte mehrfach die Bedeutung des Umweltschutzes an, fürchtete jedoch, dass der Stellenwert aufgrund der aktuellen Weltlage und ohne fixe Finanzierungszusage keine ausreichende Priorität bekommen werde.
Die Diskussionsrunde lobte Bas, wie sie als Bundestagspräsidentin zunehmenden Angriffen und Pöbeleien im Bundestag entgegengetreten war. Das kürzlich veröffentlichte Interview von Kevin Kühnert, der letztes Jahr als Generalsekretär der SPD zurückgetreten war, hallte nach.
Kühnert hatte sich aufgrund fortwährender verbaler Angriffe und wiederholter körperlicher Attacken aus der Politik zurückgezogen. Castellucci wünschte sich, dass sich eine europäische Soziale-Medien-Plattform in Europa durchsetzen würde.
Dann könnte gezielt gegen Hass und Hetze im Internet vorgegangen werden. Bas formulierte es als „verdammte Pflicht“ dieser Koalition, die Wahlkampfkommunikation hinter sich zu lassen und konstruktiv miteinander zu arbeiten.
Nur so kann Vertrauen in die Demokratie zurückgewonnen werden. Auch eine Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen sei zur Vertrauensbildung unumgänglich.
Kritisch kommentiert wurde auch das Thema der Erneuerung in zentralen Parteifunktionen. Bas stimmte der Notwendigkeit zu. Sie erinnerte jedoch an den Zeitdruck, unter dem die Verhandlungen starten mussten.
Die 16,5 Prozent, mit der die SPD bei der letzten Wahl im Bundesdurchschnitt abschnitt, müssten noch aufgearbeitet werden. Bas wie auch die Diskussionsteilnehmer erinnerten wiederholt an die Konsequenzen einer Ablehnung dieser Koalition.
Niemand wollte sich die Instabilität einer Minderheitsregierung oder das Ergebnis bei Neuwahlen vorstellen. So sieht Castellucci die Koalition quasi „zum Erfolg verdammt“. Trotz aller Herausforderungen gab es immer wieder optimistische Töne zum Potenzial des Koalitionsvertrags und der zusätzlichen Finanzierung.
„Lieber 70 Prozent unserer Kernthemen in einer Koalition adressieren als mit 100 Prozent der Themen auf der Oppositionsbank sitzen“, beschrieb ein SPD-Mitglied seine Position. (ch)