„Das Land gerät leicht in Vergessenheit“, sagt Theresa Breitmaier, „das hat es nicht verdient.“ Die Wissenschaftlerin für Politik- und Öffentliches Recht spricht bei junge alte im Rahmen der Evangelischen Erwachsenenbildung über „Doch noch nicht alles verloren in Afghanistan?! – Erfahrungen und Lehren aus der Arbeit in der Konflikttransformation.“
Sie ist Mitglied im Afghanistan-Team der Berghof Foundation. Die Berghof Foundation ist eine nicht-staatliche Organisation, die, wie sie sagt, Training für Dialoge und Räume für Begegnungen anbietet.
Konflikttransformation ist, erklärt nach Wikipedia.de, ein Einwirken auf einen Konflikt, das zu einer Um- oder Neugestaltung bestehender Konfliktelemente führen soll. Ein verändertes Verhalten und eine veränderte Einstellung soll es den Konfliktparteien ermöglichen, einen neuen Blick auf ihre Wirklichkeit zu werfen. „Man muss erkennen, unser Feind ist nicht die andere Seite. Unser Feind ist der Konflikt an sich, gegen den wir gemeinsam etwas unternehmen müssen“, sagt Theresa Breitmaier. „Es muss Vertrauen unter den Leuten sein, um sie zusammenzubringen sowie Beziehungen und Netzwerke aufzubauen.“
Afghanistan ist ein Binnenstaat im Hindukusch. Dreiviertel des Landes bestehen aus schwer zugänglichen Gebirgsregionen. Rund 40 Millionen Menschen aus etwa 20 ethnischen Gruppierungen leben dort. „Im Ausland sind zwei bis fünf Millionen Geflüchtete aus Afghanistan registriert“, so die Referentin weiter. „Die allermeisten leben im Iran und in Pakistan.“
Theresa Breitmaier führt durch die Geschichte Afghanistans seit dem 4. Jahrhundert und durch die Gegenwart, was insgesamt hier nur sehr bruchstückhaft wiedergegeben werden kann. 1979 marschierten Soldaten in die Sowjetunion ein. Die Widerstandsgruppen der Mudschahedin formierten sich mit Unterstützung der USA, Pakistans und Saudi-Arabiens. 1989 zog die Sowjetunion ab. Die Gruppen im Land bekämpften sich. 1996 übernahmen die aus ländlichen Gegenden stammenden Taliban-Männer. Sie wollten eine religiöse Ordnung, brachten Isolation, Armut und Kontrolle. Sie unterdrückten und verfolgten Frauen sowie Gegner. Die Taliban wollen eine islamische Nation Afghanistan errichten. Der Westen zog sich zurück. Al-Qaida kam. Al-Qaida ist eine übernationale Organisation, die einen weltweiten islamischen Staat errichten will.
Al-Qaida organisierte Terroranschläge, darunter den am 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York. Zu späteren Verhandlungen in Bonn über mögliche afghanische Regierungen seien die Taliban nicht eingeladen worden. Von vielen Expert*innen, so Theresa Breitmaier, werde dies inzwischen als „eine der Ursünden der heutigen Situation“ gesehen.
2003 übernahm die NATO die Führung der Internationalen Schutztruppen. Manche Eliten bereicherten sich an ausländischen Entwicklungshilfegeldern. Alphabetisierungskampagnen erreichten die Menschen in ländlichen Gegenden nicht ausreichend. Die Taliban waren eine mobile, schwer zu ergreifende Gruppe.
Der Krieg machte alle kriegsmüde. Die US- und NATO-Truppen und die westlichen Botschaften zogen 2021 ab. Die staatlichen Strukturen brachen sofort zusammen. „Die Zukunftschancen ganzer Generationen gehen verloren, wenn die Frauen nicht gebildet werden“, sagt Theresa Breitmaier. Der Islamische Staat IS wolle die Taliban ausrotten, weil sie seiner Wahrnehmung nach nicht islamisch genug sind. „In Afghanistan ist keine Opposition möglich. Die humanitäre Lage ist, auch durch den Klimawandel, sehr schlimm“, so Theresa Breitmaier. (rist)
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