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Urbacher Miniaturen 111: Die Urbacher Milchgenossenschaften

Noch Mitte des 19. Jahrhundert waren Ober- und Unterurbach in Rebfläche und Zahl der Keltern die größten Weinbaugemeinden im Remstal. Aufgrund von Missernten,...
Das Milchhaus in Unterurbach in der Schießgasse 8
Das Milchhaus in Unterurbach in der Schießgasse 8Foto: Gemeinde Urbach

Noch Mitte des 19. Jahrhundert waren Ober- und Unterurbach in Rebfläche und Zahl der Keltern die größten Weinbaugemeinden im Remstal. Aufgrund von Missernten, Rebkrankheiten und anderen Faktoren musste der Weinbau in der Folgezeit jedoch aufgegeben werden. Die Hänge wurden mit Obstbäumen bepflanzt. Doch der Obstbau konnte den Weinbau nicht ersetzen. Er war nur als Zuerwerb ausreichend. Die Bauern mussten sich verstärkt von Ackerbau und Viehzucht ernähren. Obwohl Anfang des 20. Jahrhunderts immer mehr Urbacher in der Industrie ihren Lebensunterhalt verdienten, blieb doch die Landwirtschaft zunächst weiterhin der Haupterwerbszweig.

Aufgrund der Erbteilung waren die Höfe im Remstal sehr klein und mussten mit wenigen Kühen auskommen. Eine Kuh gab in zwei Melkgängen etwa 8–12 Liter Milch pro Tag. Dies ist nicht zu vergleichen mit den Milchleistungen heutiger Tiere. Die Kühe bekamen nur Gras bzw. Heu im Winter und als „Leckerlie“ höchstens noch gemahlene Rüben im Herbst. Nun würde zwar eine Kuh zur Versorgung einer Familie reichen, der Bauer will aber auch Nachwuchs. Bei einer Tragzeit der Kühe von etwa 280 Tagen konnte man maximal ein Kalb pro Jahr bekommen. Hierbei wurde die Kuh mindestens 6 Wochen vor der Geburt nicht mehr gemolken und etwa 4 Wochen nach der Geburt das Kalb mit der Milch versorgt. Die Kuh fiel daher 10 Wochen pro Jahr als Milchproduzent aus. Deshalb musste der Bauer zur Grundversorgung zwei Kühe halten. Diese Menge überstieg aber den Eigenbedarf. Die Bauern taten sich deshalb in Genossenschaften zusammen, die die überschüssige Milch sammelten und verkauften, entweder an Bürger im Ort oder an große Molkereigesellschaften in der Region.

Wir gehen davon aus, dass die Genossenschaften in Ober- und Unterurbach in den 80er oder 90er Jahren des 19. Jahrhundert gegründet wurden. Das erste Milchhäusle war nach Erzählungen links neben dem Haus Bronn an der „Hauptwache“ im Oberurbacher Ortszentrum. Die zweite Milchsammelstelle wurde im Jahre 1934 in der Gasse des verdolten Webbachs zwischen Haubersbronner Str. und Uferstraße errichtet. Vorsitzender der Oberurbacher Genossenschaft war damals Gottlob Hurlebaus Michaels Sohn. Im Jahr 1953 erfolgte dann ein Ladeneinbau mit Kühlraum und 1962 schließlich nach Abbruch des Nebengebäudes von Christian Nuding der Anbau eines Verkaufsraumes. Nach Aufgabe der Genossenschaft 1978 erwarben das gesamte Anwesen der Haubersbronner Straße 14 die Eheleute Siegbert Blind und bauten es zu einem Wohngebäude um.

Dass es an der Milchsammelstelle oftmals deftig zugehen konnte, zeigt ein Vorfall vom 19. Oktober 1935. Eugen Söll, ein Mitarbeiter an der Milchannahmestelle, wurde von der Witwe Marie Lutz beschuldigt, sie mit einem Fluch angefahren zu haben, weil sie ihm ihr Milchkärrele nicht offen anzeigen würde, und es nicht seine Aufgabe sei, die Abdeckung erst aufzuschlagen. Auch Berta Lutz beklagte sich, dass Eugen Söll sie eine „Schella“ genannt habe. Eugen entschuldigte sich bei ihr mit der Aussage, dass damit der Fall für ihn erledigt ist und sie ansonsten eine Beleidigungsklage anstrengen müsse. Die Angelegenheit wurde dann auch noch dem Bürgermeister vorgetragen, dieser war aber der Auffassung, dass dies von den Beteiligten selbst zu regeln ist.

Schade, denn so erfahren wir leider nicht, ob 1935 eine „Schella“ ein grobes Schimpfwort oder eher normaler Bestand des damaligen Sprachgebrauchs war. Noch zu erwähnen ist, dass damals im Milchhäusle eine tägliche Milchmenge von ca. 700 Liter „in den Verkehr gebracht“ wurde.

Das älteste in Unterurbach erhaltene Milchhäusle ist ein Gebäude in der Maiergarten Straße neben der Parkbucht, heute Lager der Firma Gipser Munz. Das erste große Milchhäusle der Genossenschaft in der Schießgasse 8 wurde im Mai 1955 eingeweiht, bereits damals mit einer Wohnung im Dachgeschoss. Vorstand war Willi Schabel, Rechner Herr Danner. Eine Ladenerweiterung erfolgte im Jahr 1961 und ein Schaufenstervorbau nochmals 1967. Bis in die 80er Jahre war Frau Hurlebaus im Laden beschäftigt. Im Jahr 1985, nach Auflösung der Genossenschaft, erwarb Erika Frank das Anwesen und eröffnete dort ihre „Blumenstube Erika“. Seit 2011 ist in dem Gebäude ein Friseursalon.

Ein Bild auf die Nachkriegsverhältnisse gibt ein Schreiben vom 14.09.1945 an die Militärregierung, in deutscher und englischer Sprache, mit der Bitte um Genehmigung einer Generalversammlung am 23.09.45 2 Uhr nachmittags im Gasthaus Rose mit der Tagesordnung Jahresabschluss 1944 und Vorschläge zur Verteilung des Reingewinns. Vorstände waren Wilhelm Steiner (Steiners Helm) und Karl Schabel (Seff a Karl). In den Jahren zuvor, während des Zweiten Weltkriegs, erfolgte durch Erlass vom 01.03.1940 eine öffentliche Bewirtschaftung von Milch. Das heißt, der Bauer durfte nur Milch zu seinem Eigengebrauch behalten, der Rest musste abgeliefert werden. Dadurch sollte die erforderliche Menge für die Bevölkerung gesichert werden und auch der Verkauf ab Hof zur Aufbesserung der Haushaltskasse der Bäuerin unterbunden werden.

Noch nachzutragen ist, dass die übrige, nicht im Ort verkaufte Milch von beiden Genossenschaften vom „Fahrbot“ mit dem Kutscher Gostavo und Pferd zum Güterbahnhof gefahren wurde und dort zunächst zur Milchsammelstelle der Württ. Milchversorgungs AG und ab 1950 der Südmilch AG gebracht wurde.

Mitglieder der Genossenschaften mussten Anteile von 300 DM als Einmalzahlung leisten, bei größeren Milchmengen konnte auch ein weiterer Anteil erworben werden. Wir reden bis in die 50er Jahre von mindestens 35 Mitgliedern in jedem Ort. Nach Auflösung der Genossenschaften musste der Rest der bäuerlichen Betriebe in Kühlgeräte investieren, in denen der Inhalt von zwei Tagesmengen unterzubringen war. Die gekühlte Milch wurde dann von einem Tankwagen des Milchwerkes abgeholt.

Heute gibt es nur noch zwei milcherzeugende Betriebe in Urbach, allerdings haben diese nahezu die gleiche Stückzahl an Kühen wie früher die Gesamtgemeinde.

Erscheinung
Urbacher Mitteilungen
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Ausgabe 47/2025
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