Am 27. Januar 2025 war der 80ste Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch sowjetische Soldaten. 2005 wurde der 27. Januar von den Vereinten Nationen zum Gedenken an den Holocaust als Internationaler Gedenktag eingeführt. Unter den zahlreichen Personengruppen, die dem nationalsozialistischen Holocaust zum Opfer fielen, waren Menschen jüdischen Glaubens die mit Abstand größte Gruppe.
Anlässlich des Gedenktages stellt sich die Frage nach jüdischem Leben in Urbach in der Zeit des Nationalsozialismus. Wie viele Personen jüdischen Glaubens gab es in Urbach in der Zeit zwischen 1933 und 1945? Was wissen wir über ihr Schicksal? Diesen beiden Fragen ist die heutige Miniatur gewidmet. Grundlage für die Beantwortung dieser Fragen sind Archivalien aus dem Gemeindearchiv. Da zur Zeit des Nationalsozialismus Ober- und Unterurbach noch zwei Gemeinden mit jeweils eigenständiger Verwaltung waren, sind die Fragen bezogen auf beide Gemeinden separat zu beantworten.
In Unterurbach gab es zur Zeit des Nationalsozialismus keine jüdischen Mitbürger. Dies geht unter anderem aus einer Anfrage des Landratsamts Waiblingen vom 13. Oktober 1938 hervor, in der alle Bürgermeister des Kreises, darunter auch der Bürgermeister von Unterurbach, aufgefordert wurden, die Frage zu beantworten, „wie viele Juden in den Gemeinden (…) ansässig sind.“ Als Antwort des Unterurbacher Bürgermeisters Otto Uhl ist auf dem erhaltenen Durchschlag des Schreibens handschriftlich notiert „Fehlanzeige erstattet am 17.10.38.“
In Oberurbach lebte ein jüdischer Mitbürger, der mit einer katholischen Frau verheiratet war. Diese sogenannte „Mischehe“ wurde „aus politischen Gründen (Rassegesetze)“ geschieden. Der Ehemann wanderte Anfang 1939 in die USA aus.
Ein weiterer Bürger, der in dieser Zeit in Oberurbach lebte, hatte einen jüdischen Elternteil, weshalb er nach der nationalsozialistischen Rassenlehre als „Halbjude“ eingestuft wurde. Das reichte als Begründung aus, dass ihm, der von Beruf Musiker war, die Aufnahme in die Reichsmusikkammer verweigert wurde. Die Konsequenz war, dass er seinen Beruf nicht mehr ausüben durfte, wie aus einem Schreiben der Kreismusikerschaft Stuttgart vom 12.02.1939 an den Oberurbacher Bürgermeister Heinrich Greiner hervorgeht. In dem Schreiben wurde der Bürgermeister auch verpflichtet, über die Einhaltung dieses Berufsverbotes zu wachen und „Übertretungen … nötigenfalls mitteilen zu wollen.“ Greiner informierte daraufhin sämtliche Gastwirte in Oberurbach mittels eines Schreibens verbunden mit der Bitte „ein öffentliches Auftreten des H. von vornherein zu verhindern.“ Über das weitere Schicksal von A. H. ist bislang nichts bekannt.
Außer diesen beiden Oberurbacher Bürgern lebte in der Zeit vom 28. Dezember 1937 bis zum 31. Mai 1939 eine junge jüdische Frau namens Eleonore Akulewitz als Zögling im damaligen Fürsorgeheim, der sogenannten „Anstalt“ in Oberurbach. Sie war dorthin eingewiesen worden auf Grundlage eines Gutachtens des damaligen Landesjugendarztes Dr. Max Eyrich. Eyrich gehörte 1949 zum Kreis der acht Personen, die man im sogenannten Grafeneck-Prozess beschuldigte, an der Ermordung von 10.654 „geisteskranken“ Männern, Frauen und Kindern beteiligt gewesen zu sein. Er wurde aufgrund der Fürsprache von ärztlichen Kollegen freigesprochen. Eleonore Akulewitz wurde am 1. Juni 1939 in ein Heim des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg verlegt, von dort Anfang 1942 in das Isrealische Krankenhaus in Frankfurt am Main. Am 8. Mai 1942 wurde sie zusammen mit zahlreichen Personen jüdischen Glaubens von Frankfurt mit dem Zug in das Ghetto Isbica deportiert, ein Durchgangslager in die Vernichtungslager im Raum Lublin. Dort verliert sich ihre Spur. Eleonore Akulewitz wurde am 31. Dezember 1945 vom Amtsgericht Frankfurt für tot erklärt. 2013 wurde in Erinnerung an ihr Schicksal in Esslingen ein Stolperstein für sie verlegt.
Ein weiteres jüdisches Schicksal ist ebenfalls eng mit dem Fürsorgeheim Oberurbach verbunden. Im Sommer 1944 erhielt der Heimleiter Gotthilf Fritz eine Anfrage aus einem Altersheim der Evangelischen Diakonissenanstalt Stuttgart, ob er eine junge Frau namens Annemarie Tugendhat, die bis zur Ausbombung des Hauses dort gearbeitet hatte, in seiner Einrichtung aufnehmen und arbeiten lassen könne. Annemarie Tugendhats Vater war Jude. Es bestand die Gefahr, dass sie deportiert und ermordet werden könnte. Gotthilf Fritz nahm sie als Praktikantin im Heim auf und schützte sie damit vor Verfolgung. Auch ihre Zwillingsschwester Anneliese Tugendhat fand in dieser Zeit immer wieder Unterschlupf bei der Familie Fritz in der Anstalt in Oberurbach. Beide Schwestern überlebten die Zeit des Nationalsozialismus.
Über weitere Personen jüdischen Glaubens oder jüdischer Abstammung, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 in Ober- oder Unterurbach gelebt haben, ist nichts bekannt.