Ein Thriller auf der Theaterbühne? Im Schwetzinger theater am puls feierte am Samstag mit Stephen Kings Misery ein Stück Premiere, das nicht ganz alltäglich ist. Wir verraten, warum.
Die Story ist schnell erzählt: Ein Auto kommt in einem Schneesturm von der Straße ab, der einzige Insasse, ein Mann mittleren Alters, schwer verletzt. Gott sei Dank ist Rettung nahe und so findet sich das Opfer beim Aufwachen im Krankenbett, mit geschienten Beinen und vollgepumpt mit Schmerzmitteln.
Was aber, wenn der Mann ein gefeierter Schriftsteller ist, und seine Retterin ausgerechnet eine, die für sich den Status „Fan Nummer eins“ beansprucht, wenn es um ebendiesen Schriftsteller geht? Und sich das Krankenbett nicht etwa im Krankenhaus befindet, sondern im Wohnzimmer dieser Dame, einer Krankenschwester, mitten in den Wäldern im Nirgendwo? Eingeschneit und ohne Kontakt zur Außenwelt.
Kurzum: Paul Sheldon, so der Name unseres Schriftstellers, ist Annie Wilkes, seinem größten Fan, schonungslos ausgeliefert. Und dass diese nicht unbedingt ganz sauber tickt, wird ihm und den Zuschauenden rasch kar. Spätestens als sie verlangt, dass Sheldon ihre Lieblingsfigur Misery Chastain wieder zum Leben erweckt, der Sheldon gerade erst den literarischen Exitus beschert hatte, um sich von ihr zu emanzipieren.
Nun ist Stephen King ja nicht unbedingt als Theaterliterat bekannt, eher noch finden die Werke des Kult-Horror-Autors in Verfilmungen ihre Umsetzung. Misery macht da die Ausnahme. Der im Deutschen auch als „Sie“ bekannte Thriller wurde zwar in der Verfilmung mit James Caan und vor allem Kathy Bates als Krankenschwester Annie Wilkes weltbekannt, ist aber – nicht zuletzt dank der Einheit des Raumes und der kleinen Besetzung von maximal drei Personen - auch als Bühnenstück inzwischen sehr beliebt.
Dass die Kult-Verfilmung nicht ohne Spuren bleibt, ist auch in Schwetzingen zu sehen – so gleicht Hauptdarstellerin Irina Maier dem ikonischen Bild, das Kathy Bates Annie Wilkes verliehen hat: füllig, schwarzes, etwas ungepflegtes Haar und Kittelschürze, grunzendes Lachen. Und ihr Gegenpart, Michael Hecht, langjähriges Ensemblemitglied im tap, gibt den geschundenen Autor, der erst körperlich, später dann auch psychisch allerlei durchleiden muss.
Die Eindimensionalität von Handlung und Ort kann aber unter Umständen zum Manko werden – das Stück von immerhin zwei Stunden so zum bloßen Kammerspiel mit mehr oder weniger klarem Ausgang werden. Ein langweiliges Kammerspiel aus dem Stoff zu machen, das wollten Joerg Steve Mohr und sein Mitregisseur Benjamin Martins deshalb unter allen Umständen vermeiden. Und um es abzukürzen: Es ist ihnen gelungen. Und zwar durch den Einsatz von unorthodoxen, nämlich filmischen Mitteln. Nach der Pause sind zwei Kameras ständig Teil des Bühnengeschehens, fangen die Dialoge nochmals komplett in anderen Perspektiven ein und sorgen dafür, dass auch Annies Küche, die sich im Nebenraum befindet, für das Publikum einsehbar wird.
Mit einem einmal mehr genialen Bühnenbild haben Mohr und Teresa Ungarn die Farm im Nirgendwo inszeniert. Das beginnt damit, dass das Publikum den Raum durch die Tür ins Wohnzimmer betritt, und endet damit, dass ein Teil der Plätze sich direkt am Krankenbett befindet, so dass man in dem kleinen Theater noch „näher dran“ ist, als sonst. Und es gibt auch keine Ansage oder Begrüßung, es geht einfach los. Auch nach der Pause, wenn es unter den grimmigen Blicken von Annie wieder auf die Plätze geht.
Das große Panoramafenster mit Blick auf den winterlichen See dient Paul Sheldon als Verbindung zur Außenwelt und den Zuschauenden als Projektionsfläche für die Filmsequenzen. Und hier hat auch Sheriff Buster (Markus Stöppler) seinen großen Auftritt … wortwörtlich. Minimal hakt die Technik ab und zu – hier ist noch etwas Optimierungsbedarf, aber auch das ist mutig von Mohr und Martins, sich auf das Experiment Technikeinsatz einzulassen, ohne doppelten Boden.
Wie die ganze Geschichte dann ausgeht? Ob Sheldon seiner wahnsinnigen Pflegerin entfliehen kann und um welchen Preis, das wollen wir hier nicht verraten, es sei nur so viel gesagt: Annie greift auch in Schwetzingen tief in den Werkzeugkasten, um ihr Idol ans Bett und an sich zu fesseln. Und auch das gepflegte Gruseln, sogar ein wenig Splatter gönnen Mohr und Martin dem Publikum. Definitiv nichts für zarte Nerven auf jeden Fall. Aber für diejenigen, die es mögen, steht so am Ende einmal mehr ein Abend mit bester Theaterunterhaltung – live und in Farbe, besser als Fernsehen!
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