Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transpersonen, Queere und alle möglichen Menschen, deren Identität und Lebensstil nicht dem tradierten Bild übereinstimmten, zeigten, dass sie hier ihre Heimat haben.
Deshalb wurde vor einigen Jahren der erste Dorfpride – 2020 in Mühlhausen - veranstaltet. Pride ist der englische Begriff für Stolz und beinhaltet in diesem Zusammenhang, dass man sich und seine Liebe nicht mehr schamhaft verstecken muss. „Queer sein ist keine Ideologie!“, sagte Aktivist Patrick Alberti. Queer-Sein sei keine Privatsache, keine Modeerscheinung, sondern Identität. „Born this way“ von Lady Gaga wurde zur Hymne dieses Selbstverständnisses.
Umso klarer sei, dass queere Menschen angesichts dessen, dass sie immer noch angepöbelt, diskriminiert und sogar tätlich angegriffen werden, Schutzforderungen an die Politik stellen. Dorfpride ist eine laute, bunte Party mit politischem Hintergrund, eine Demo für Sichtbarkeit und Menschenrechte. Auf die Frage, was Dorfpride bringen kann, fasste Patrick Alberti aus dem Organisationsteam, selbst divers, es so zusammen: „Wir hoffen, dass die Region zusammensteht gegen Queerfeindlichkeit und für Vielfalt, sodass es unerheblich ist, was jemand ist.“
„Wir unterstützen euch,“ hatte im Vorfeld der Ketscher Bürgermeister Timo Wangler dem Organisationsteam zugesichert, und Feuerwehr, Polizei und Roten Kreuz sorgten für einen reibungslosen Ablauf. Auf dem Ketscher Marktplatz versammelten sich etwa tausend Menschen – zumeist bunt gekleidet und mit verschiedenen bunten Fahnen, die unterschiedliche Botschaften und Identitäten wie LGBTQ, Intergeschlechtlichkeit, Transgender, Pansexualität, Nichtbinäre, Allies (mit der LGBTQ Community Verbündete Heterosexuelle) und einiges mehr vermitteln. Mehrere Stände von Organisationen und Parteien waren dort aufgebaut.
Der Dorfpride in Ketsch war die fünfte Veranstaltung dieser Art im Rhein-Neckar-Kreis. 2020 veranstaltete die LGBTQ Community in Mühlhausen das erste Event; es folgten Oftersheim, Ladenburg, Wiesloch.
Bei der Kundgebung sprachen zuerst Mitglieder des Orga-Teams. Bedrohungen einer Freundin und Transperson seien der Anlass für die erste Dorpride gewesen, sagte Vanessa Seidel und formulierte das Ziel der Dorfpride so: „Wir wollen Sichtbarkeit schaffen und für ein gutes Miteinander werben“. Aber der Hass rechtsradikaler Kräfte, ihre imaginären Gender-Ideologien, verbunden mit Frauenfeindlichkeit und Rassismus stilisierten queere Menschen zu Feindbildern, analysierte Patrick Alberti und forderte: „Respekt und gleiche Rechte!“
Dass Angriffe regelmäßig weiterhin stattfinden, bestätigte auch Susanne Hun. Regenbogenfahnen werden abgerissen, Hassbotschaften im Internet verbreitet. Viel Verständnis zeigte der Ketscher Bürgermeister Timo Wangler: „Hier, heute, in Ketsch setzen Sie ein Zeichen für Toleranz, für Offenheit, für die Gleichheit aller Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Ausrichtung und ihrem Geschlecht. Sie alle setzen sich für Werte ein, die eine liberale, moderne Gesellschaft ausmachen.“ Und er fügte hinzu: „Unsere Welt ist so bunt und vielfältig – und das ist auch gut so.“
Weitere solidarische Ansprachen kamen von Chanelle Ragwar vom Ketscher Jugendbeirat, Julian Raddatz von der SPD und vom FDP-Bundestagsabgeordnete Dr. Jens Brandenburg.
Die SPD hatte einen eigenen Stand und verpflegte die Teilnehmenden mit Kaffee und selbstgebackenen Kuchen und Kaltgetränken gegen eine kleine Spende. Auf die Frage, warum sie die queere Community unterstütze, antwortete Sandra Reiff, Co-Vorsitzender der SPD, dass es hier um fundamentale Rechte gehe für queere Menschen, aber auch für Frauen. Von den politischen Parteien waren auch die Grünen und die Linke waren zugegen, um die Community zu unterstützen.
Ein anderer Stand gehörte dem seit zwei Jahren bestehenden „Queeren Dorf-Stammtisch“ Bad Schönborn, Ergebnis des ersten Dorfpride vor vier Jahren, der sich für gemeinsame Treffen und Freizeitgestaltung engagiert, „damit keiner allein sein muss“, freute sich Jasmin Rausch und fügte schon fast ein wenig erstaunt hinzu: „Wir sind jetzt fast einhundert Leute.“ Für ihre monatlichen Treffen haben sie einen Raum gefunden – und damit sind sie schon weiter als viele andere queere Gruppen auf dem Land.
Hilfestellung beim Outing bzw. für Menschen, die sich bereits als queer geoutet haben, aber weitere Kontakte suchen, Empowerment für Personen, die Abwertung, Ausgrenzung, Benachteiligung und/oder Gewalt erlebt haben und erleben, Unterstützung von Transident-Personen und deren Angehörige, Hilfe für von queeren Geflüchteten – das Feld für Beratung und Hilfestellungen ist extrem weit, erläuterte Christina Hermann, die einen Stand von PLUS e.V. Rhein-Neckar betreute.
Der Verein ist Anlaufstelle für Personen und Gruppen jeglichen Alters und steht auch Fachkräften aus sozialpsychologischen und –pädagogischen Bereichen mit seinem Spezialwissen zur Verfügung; er verfügt über mehr als 20 Mitarbeitenden mit psychologischer und / oder pädagogischer Ausbildung. Der Verein hat ein Beratungstelefon eingerichtet, man kann die Mitarbeitenden aber auch vor Ort in Mannheim und Heidelberg erreichen und sie kommen bei Bedarf vor Ort.
Christina Hermann erwähnte, dass PLUS gerade sein 25-jähriges Bestehen feierte. Weitere Strände hatten Amnesty International sowie ILSE – eine Initiative von und für Regenbogenfamilien – sie hatten auch eine Hüpfburg aufgestellt. Ansprechbar waren auch Vertreterinnen der katholischen und evangelischen Kirchen Brühl/Ketsch.
Die Demonstration, der etwas mehr als tausend Menschen folgten, startete am Marktplatz und führte bei 30 Grad Celsius ohne Störungen durch die Innenstadt von Ketsch und wieder zurück zum Marktplatz. Geschmückte Wagen mit DJs und lauter Musik führen den Umzug an und bildeten seinen Abschluss. Mit Transparenten, Fahnen und Trillerpfeifen zeigten die Demonstrierenden ihre Präsenz: „Wir sind viele“.
Indessen hatten sich eine Handvoll Neonazis in der Nähe des Marktplatzes für eine Art Gegenkundgebung eingefunden. Von der Polizei in Zaum gehalten und durch lautstarke Buhrufe blieben ihre Reden nahezu unbeachtet. Eine Kundgebung und eine Aftershowparty mit Sängerin Laura und dem Heidelberger Drag-King "Galaxy Diamond" bildeten den Abschluss der Ketscher Dorfpride. (rw)