Die jüdische Gaststätte Rose in Hochberg war am Sonntag, dem 12. Januar 1851 Schauplatz einer Schmährede des Hochberger Wundarztes Gotthilf Friedrich Wurster, was diesem am 14. April wegen „Beleidigung der Majestät des Königs, sowie wegen Ehrenkränkung des Gemeinderats Hochberg“ eine achtmonatige Arbeitshausstrafe durch das Schwurgericht Esslingen einbrachte. Hierüber berichtete sehr ausführlich der Schwäbische Merkur am 16. April über drei Spalten der Zeitung. Das „Amts- und Intelligenzblatt für das Oberamt Waiblingen“ informierte die Leser sogar in einem Dreiteiler am 19., 21. und 29. April über den Prozess.
Wurster, der wegen seiner „geläufigen Zunge“ ortsbekannt war, beklagte sich im Januar in der Rose vor anderen Gästen über ein Gerichtsurteil gegen ihn, das er „Justizmord“ nannte. Anlass war, dass Wurster Forderungen für die Behandlung eines „Ortsarmen“ gegenüber dem Hochberger Gemeinderat erhob, die dieser nicht genehmigte, weil er Wursters Behandlung als „Quacksalberei“ einstufte. Der Arzt muss gegenüber dem Gemeinderat auch ausfällig geworden sein und wurde zu „siebenwöchigem Festungsarrest“ verurteilt. Seinem Ärger über das Urteil machte sich Wurster in der Rose Luft. Er begann „sich in Spott und Schmähungen über den Gemeinderat, über die Beamten überhaupt und endlich über den König zu ergießen“. Die Gemeinderäte nannte er „Esel und Boppel“, sprach vom „Beamtengesindel“ und erklärte, König Wilhelm I. sei „der Allerschlechteste, Elendeste, Liederlichste auf der Welt“, wenn er den gegen Wurster verübten „Justizmord“ durchgehen lasse. Einige Gäste in der Rose drohten mit Anzeige, wenn Wurster nicht aufhöre zu schimpfen. Der Arzt erwiderte darauf, „er verlange dies sogar, er wolle vor das Schwurgericht kommen, damit er hier seinen Kropf ganz ausleeren könne“. So kam es zum Prozess, in dem Wurster die Vorwürfe eingestand, sich aber verteidigte, er leide unter raptus melancholicus (plötzlicher Zustand starker Erregung im Rahmen einer Depression), der in seiner Familie erblich sei. Dadurch gerate er häufig in „vorübergehende Wut oder Raserei“. Das Waiblinger Intelligenzblatt weist noch zusätzlich auf den „Säuferwahnsinn“ Wursters hin, den der Angeklagte selbst zugegeben habe. In der Frage der Öffentlichkeit der Majestätsbeleidigung weichen Schwäbischer Merkur und Waiblinger Intelligenzblatt stark voneinander ab. Nach dem Schwäbischen Merkur verwies Wurster darauf, „es seien zwar mehrere Personen im Wirtszimmer gewesen, aber zum größten Teil Israeliten“. Der Prozessbeobachter schreibt. „Diese haben sich schon auf den Montag (Tag nach dem Vorfall) besprochen, was man da für Masematten (Geheimabsprachen, Ausdruck aus dem Hebräischen) machen wolle und haben natürlich nichts gehört.“ Im Gegensatz dazu berichtet die Waiblinger Zeitung, „die vernommenen Belastungszeugen, größtenteils Israeliten, bestätigten mit lobenswerter Offenheit die in der Staatsanklage hervorgehobenen Äußerungen des Angeklagten“. Diesen Kontrast kann man sich wohl nur mit einer antisemitischen Grundhaltung des Prozessbeobachters vom Schwäbischen Merkur erklären (Fortsetzung nächste Woche).
Kai Buschmann
Beth Shalom – Haus des Friedens. Verein für Erinnerungs- und Friedensarbeit in Remseck e. V., www.bethshalom-remseck.de, info@bethshalom-remseck.de