Letzte Woche haben wir die Schmährede des Hochberger Arztes Gotthilf Friedrich Wurster am 12. Januar 1851 in der Hochberger Rose geschildert, die Vernehmung des Angeklagten und die Befragung der Zeugen vor Gericht dargestellt. Nun geht es mit Teil 2 weiter:
Der Arzt geriet dann vor Gericht ins Schwadronieren, forderte eine Reform des Medizinalwesens in Württemberg, lobte den Vorgängerkönig Friedrich I., weil dieser die Beamten im Zaum gehalten habe, zitierte Bibelstellen und nannte das Vorgehen gegen ihn eine „Tierquälerei“. Der Verteidiger Wursters plädierte daraufhin auf mildernde Umstände, weil es offensichtlich „nicht ganz logisch aussehe im Kopfe des Chirurgen“. Die Staatsanwaltschaft nahm diesen Ball auf, beharrte aber auch wegen vorliegender Vorstrafen aufgrund ähnlicher Ausfälle auf der Anklage wegen Majestätsbeleidigung, sie habe aber „keine politische Grundlage“, sondern „Ausflüsse der Rohheit und Streitsucht“. Die 12 Geschworenen – nach Meinung der Waiblinger Zeitung „größtenteils schlichte Landsleute“ – sprachen Wurster nach einer Stunde Beratung hinter verschlossenen Türen vor „ziemlich zahlreich anwesenden Zuhörern“ schuldig und zurechnungsfähig, baten jedoch, Wurster der Gnade des Königs zu empfehlen. Wurster bat diesbezüglich um die Verwandlung der Arbeitshausstrafe in Festungshaft, was der Stuttgarter Prozessberichterstatter unterstützte: Die „Verwandlung (der Strafe) oder ein teilweiser Strafnachlass (sei ihm) zu gönnen …, als in diesem Falle die strenge Anwendung des Gesetzes gegenüber der Absicht des verurteilten etwas hart erschienen möchte“. Im Waiblinger Intelligenzblatt erfahren wir zum Abschluss der Berichterstattung noch Einschätzungen des Publikums und ein Schlusswort des Richters: „ Das Publikum hielt die Strafe, offenbar wegen des damit verbundenen Verlusts der Ehrenrechte und des Umstandes, dass der Angeklagte im Arbeitshaus in die gleiche Kategorie mit dem Auswurf der Gesellschaft gestellt werden soll, für sehr hart und man hörte vielseitig den Wunsch äußern, seine Königliche Majestät möchte das Erkenntnis (ältere Formulierung für Urteil) mildern, was auch nach Vorgängen zu schließen, nicht unwahrscheinlich ist, obwohl das Vergehen der Majestätsbeleidigung, das früher sehr selten war, sich in den letzten Jahren häufig wiederholt hat. Zum Schluss errichtete der Präsident noch eine ernstliche Ermahnung an den Angeklagten, sein heftiges Temperament und seine lose Zunge zu seinem und seiner bedrängten Familie Besten zu zügeln und dem Laster des Trunks zu entsagen.“ Wurster musste seine Strafe antreten. Sie wurde aber in Festungshaft verwandelt und auf sechs Monate verkürzt, insofern hatte das Gnadengesuch Teilerfolg.
Kai Buschmann
Beth Shalom – Haus des Friedens. Verein für Erinnerungs- und Friedensarbeit in Remseck e.V., www.bethshalom-remseck.de, info@bethshalom-remseck.de