Die letzten zwei Wochen haben wir die Schmährede des Hochberger Arztes Gotthilf Friedrich Wurster am 12. Januar 1851 in der Hochberger Rose, die Gerichtsverhandlung und das Urteil wegen Majestätsbeleidigung gegen ihn geschildert, das letztlich in sechs Monate Festungshaft umgewandelt wurde. Nun geht es mit Teil 3 weiter:
Am 16. Mai 1851 schrieb der Hochberger Gemeinderat die Wundarztstelle neu aus, was prompt zu einer Reaktion des Arztes aus der Festungshaft auf dem Hohenasperg führte: Am 21. Mai veröffentlichte er eine Anzeige im Schwäbischen Merkur, dass er seit 1845 Wundarzt in Hochberg sei, im September aus der Haft entlassen werde und seine Stelle „behaupten“ werde, ansonsten werde er eine „Regressklage an den Gemeinderat“ richten. Damit wollte Wurster offensichtlich auch Bewerber auf die Stellenausschreibung abschrecken. Anscheinend hatte er damit Erfolg, denn der Arzt blieb bis 1861 in Hochberg und wechselte erst dann nach Oßweil. 1861 schrieb der Gemeinderat die Stelle des Wundarztes und Geburtshelfers erneut für 50 Gulden Jahresgehalt aus. Es wurde in der Ausschreibung mitgeteilt, dass die jüdische Gemeinde Hochberg noch 20 Gulden drauflege, fände sich ein qualifizierter Bewerber.
Heute, in Zeiten von ausufernder Hate Speech in Sozialen Medien wundert man sich, welch breite Darstellung der vergleichsweise geringfügige Vorfall in der Rose damals in der Presse gefunden hat. Das hat vor allem zwei Gründe: Die Geschworenengerichte waren eine Errungenschaft der 1848er-Revolution, wurden nach der Niederschlagung der Revolution und der Einleitung einer reaktionären Politik in den 1850er Jahren aber nicht wieder abgeschafft. Gerichtsverhandlungen vor diesem Gericht als bleibender Erfolg der Revolution trafen auf Publikumsinteresse. Außerdem gab es in Württemberg ab 1851 eine strenge Nachzensur der Zeitungen. Sie konnten nach Erscheinen verboten und ihre Herausgeber bestraft werden. Verleger mussten hohe Kautionen hinterlegen. Politische Kritik am Königshaus, an der Regierung oder am Deutschen Bund waren verboten. Hiergegen entwickelten die Journalisten geschickte Strategien, um die Zensur zu umgehen: Eine verbreitete Methode war, brisante politische Aussagen oder Kritik an der Regierung in scheinbar objektive Berichte über Gerichtsverhandlungen einzubetten. Dabei wurden oft die Aussagen der Angeklagten ausführlich zitiert, so dass die Leserschaft die Kritik an der Obrigkeit im Wortlaut lesen konnte, während sich die Redaktion auf die neutrale Berichtspflicht über Gerichtsverfahren zurückziehen konnte. Dieses Vorgehen erlaubte es Redakteuren, kritische Inhalte zu transportieren, ohne sich direkt angreifbar zu machen. Auch der Hinweis im Waiblinger Intelligenzblatt darauf, dass das „Vergehen der Majestätsbeleidigung, das früher sehr selten war, sich in den letzten Jahren häufig wiederholt hat“, hat einen deutlich kritischen Unterton.
Kai Buschmann
Beth Shalom – Haus des Friedens. Verein für Erinnerungs- und Friedensarbeit in Remseck e.V., www.bethshalom-remseck.de, info@bethshalom-remseck.de