
Seit Ende 2024 ist der dänische Mathematiker Jan S. Hesthaven Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Wie hat er seine bisherige Amtszeit erlebt? Welche Visionen für das KIT schweben ihm vor? Und wie läuft das Jubiläumsjahr „200 Jahre KIT“? Nussbaum Medien hat nachgefragt.
Jan S. Hesthaven: Ich freue mich darüber, dass ganz Karlsruhe und die Region bereits sehen konnten und noch sehen können, was das KIT ist und was es der Gesellschaft bieten kann. Es gab den Filmbeitrag „Science for Impact“ bei den Schlosslichtspielen, der das gut zum Ausdruck gebracht hat. Es gibt die Ausstellung „100 Objekte“ im ZKM, die ausgewählte Objekte aus der Geschichte des KIT zeigt und meiner Meinung nach ebenfalls sehr gelungen ist. Es gab eine Drohnenshow. Am Tag der offenen Tür kamen mehr als 23.000 Besucherinnen und Besucher zu uns. Man konnte sehen, hören und spüren, was das KIT ist – mit vielen Angeboten auch für die Kinder zum Mitmachen.

Es gibt ja heute weniger Interesse an den Ingenieurberufen. Deshalb möchten wir schon die Kinder und die jungen Menschen dafür begeistern, dass sie ihre Zukunft gestalten können, dass sie sehen, was an einer Technischen Universität passiert und möglich ist. Wir entwickeln Lösungen, die der ganzen Gesellschaft nützlich sind. Genau das möchten wir Außenstehenden vermitteln. Jetzt folgen noch Veranstaltungen wie die KIT Science Week (14. bis 19. Oktober, Anm. d. Red.) und ein festlicher Ball.
Also: Es ist sehr gut gelaufen und es passiert noch etwas. Das ganze Jahr über Veranstaltungen zu haben, ist sehr schön. Aber ich muss natürlich ehrlich sein, dass es nicht etwas ist, was ich gemacht habe. Das haben die Kolleginnen und Kollegen in den vergangenen zwei, drei Jahren vorbereitet.
Hesthaven: Ich nehme mit, dass es am KIT den sehr großen Wunsch gibt, dass wir noch mehr zusammenwachsen, eine Gemeinschaft, ein KIT werden und Gelegenheiten dazu bekommen, die Kolleginnen und Kollegen besser kennenzulernen. Es gibt von außen wiederum ein großes Interesse daran, zu erfahren, was das KIT macht. Wir müssen uns deshalb fragen: Wie können wir uns noch besser erklären, damit die Gesellschaft klar versteht, warum sie das KIT braucht? Was ist die Rolle von Technologie und Entwicklung? Wir müssen überlegen, wie wir in der Lebenswelt der Menschen noch präsenter werden können. Darum geht es. Ein stückweit ist dies in unserem Jubiläumsjahr gelungen, finde ich.
Hesthaven: Alles läuft nach Plan und ich freue mich schon so sehr auf die Veranstaltung! Meine Frau und ich gehen hin. Das ist auch eine ganz andere Möglichkeit, das KIT in seiner Rolle zu stärken und den Menschen nahe zu bringen, gerade auch jungen Menschen oder solchen, die dem Universitätsbetrieb nicht so nahestehen.

Hesthaven: Ich habe viel gelernt. Das KIT ist groß und komplex. Ich habe es kennenlernen dürfen und umgekehrt. Bis jetzt läuft es gut. Ich bin gut angekommen und fühle mich willkommen geheißen. Es ist nicht so häufig, dass eine deutsche Universität einen Nicht-Deutschen als sein Haupt beruft. Ich habe das Gefühl, da sagt man sich: Da machen wir mal was anders und setzen neue Akzente. Das finde ich mutig und inspirierend.
Mein erstes und wichtigstes Projekt ist nun: Wie läuft das KIT? Wie funktioniert das? Was ist mein Vorschlag für die Zukunft des KIT? Wo sind wir dran? Ich bin dabei, zu definieren, wo wir in zehn Jahren sein wollen und wo nicht. Das zu definieren, ist ein größerer Prozess, bei dem wir am KIT in ganz unterschiedlichen Konstellationen zusammenkommen, um zu diskutieren. Und das zu leiten, zu fruchtbaren Ergebnissen zu führen, das ist augenblicklich meine größte Aufgabe als Präsident.
Hinzu kommen die äußeren Umstände: Die geopolitische Lage ändert sich schnell. Wie müssen wir uns selbst entwickeln in einer Welt, die sich schnell verändert? Das Thema der Sicherheitspolitik wird nun immer wichtiger. Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) beschäftigt mich ebenfalls stark, besonders in der Lehre. Es ist eine große Herausforderung, das zu managen und zu organisieren. Die größte Herausforderung ist die Schnelligkeit, mit der sich alles ändert. Das KIT ist eine wunderbare Einrichtung, wie viele große Organisationen stehen wir jedoch vor der Herausforderung, uns an neue Bedingungen und Entwicklungen möglichst flexibel und schnell anzupassen. Dafür ist es notwendig vieles auf den Prüfstand zu stellen und zu fragen, was es heute, in fünf Jahren oder später bedeutet. Was muss jemand lernen, der heute Informatik studiert und Programmieren lernt? Werden die Anforderungen auf Dauer bestehen oder eher nicht?
Hesthaven: Es ändert sich alles sehr rasch. Man muss heute schneller auf Veränderungen reagieren und sich anpassen. Die nächsten drei oder vier Jahre werden essenziell sein. Schauen wir auf die demografische Entwicklung: In Deutschland beispielsweise gibt es nicht genug Kinder. Das kann das KIT nicht ändern. Trotzdem werden wir auch in Zukunft Ingenieure und Wissenschaftler brauchen, die aber aus den genannten Gründen zukünftig verstärkt aus anderen Ländern kommen werden. Das bedeutet, dass auch wir uns ändern müssen. Das betrifft beispielsweise die Sprache.
Natürlich wird am KIT bislang vor allem Deutsch gesprochen. Aber wenn ungefähr 20 Prozent bei den Studierenden und 25 Prozent der Mitarbeitenden internationale Wurzeln haben – aus ganz unterschiedlichen Ländern und Kulturen, dann muss sich daran vermutlich etwas ändern. Einen Bachelor in deutscher Sprache wird man am KIT allerdings immer machen können.
Hesthaven: Ich möchte ein KIT ermöglichen, in dem es akzeptabel ist, dass man entweder Deutsch oder Englisch spricht. Aber auch wenn man Deutsch spricht, muss man Englisch verstehen und umgekehrt. Bei diesem Stand der Dinge sind wir noch nicht. Instrumente wie der „Lecture Translator“, der ja am KIT entwickelt wurde, können hilfreich sein. Auf jeden Fall müssen verschiedene Gremien und Fakultätsmitglieder etc. miteinander kommunizieren. Wenn das nicht klappt, kann man den Translator oder andere Technologien hierfür verwenden. Damit lassen sich Verständnisprobleme vermeiden oder verringern. In den Bachelorstudiengängen sollte die Umgangssprache aber, wie gesagt, Deutsch bleiben. Bei den Masterstudiengängen sollte perspektivisch alles auf Englisch sein.
Hesthaven: Die beiden größten Änderungen sind zum einen die Fusion zwischen Universität und dem ehemaligen Kernforschungszentrum, zum anderen aber der Exzellenzstatus, den das KIT durch seine Erfolge im Exzellenzwettbewerb der deutschen Universitäten erlangt hat. Das KIT entwickelt sich. Die Verschmelzung einer Universität mit Studienbetrieb und einem Forschungszentrum ohne Studierende, ist eine Entscheidung mit großer Tragweite. Es liegt immer noch ein Weg vor uns, bis es wirklich ein KIT ist. Natürlich: Die Forschung ist schon da und die Lehre ist da. Die Grundlagenforschung kann man hier am Campus Süd und die Anwendungsforschung am Campus Nord machen. Aber bis es wirklich eine einzige Institution ist, da befinden wir uns noch auf dem Weg. Das zu schaffen, das ist ein einzigartiges Unterfangen. Dies in ein paar Jahrzehnten, in ein paar Generationen, hinzubekommen, das sehe ich als die größte Änderung an.

Hesthaven: Wir müssen auf eine sich rasch verändernde Welt konstruktiv reagieren. Die Internationalisierung habe ich als Beispiel genannt. In den vergangenen zehn Jahren gab es die institutionelle Verschmelzung zwischen Nord und Süd, zwischen Lehre und Forschung. In den nächsten zehn Jahren muss Innovation hinzukommen. Dazu gehören die (Aus-)Gründungen sowie der Transfer und der Dialog mit der Gesellschaft. Wir sind als KIT schlichtweg dazu da, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Deshalb schaffen wir nun eine Innovationskultur, bei der Studierende, Forschende und Mitarbeitende ermutigt werden, gute Ideen direkt in die Tat umzusetzen. Dass das ein Teil der DNA des KIT wird, das wünsche ich mir.
Wir müssen diesbezüglich auch risikobereiter werden. Wenn wir mehr in diese Richtung gehen, kann natürlich auch mehr schiefgehen. Diese Risikoakzeptanz müssen wir aber haben. In den USA beispielsweise, wo ich viele Jahre gearbeitet habe, ist man risikobereiter. Auch die Schweizer, dort war meine letzte Station, sind risikobereiter als wir hier in Deutschland, wenn auch nicht so, wie die Menschen in den USA.
Man kann natürlich Forscher sein und Forscher bleiben, promovieren und veröffentlichen. Aber man kann auch eine Firma gründen – und davon könnte es noch mehr geben. Wenn die Leute mehr Mut haben, risikobereiter sind und da vorangehen, sind wir gut für die Zukunft aufgestellt. Diesen Transfer zu stärken, das ist unsere Aufgabe. Forschung und Lehre sind bereits Teil der DNA des KIT - aber auch Innovation und Transfer müssen das noch werden.
Hesthaven: Zunächst ist es natürlich wichtig, dass wir in der Grundlagenforschung, in der Mathematik, Biologie und Informatik Spitzenklasse bleiben. Über das Thema Künstliche Intelligenz (KI) haben wir gesprochen. Eine weitere Herausforderung, die jetzt auf uns zukommt, ist das Thema Sicherheitsforschung. Da müssen wir sehen, wie wir das umsetzen können. Sicherheit und Resilienz wie Cybersecurity sind extrem wichtige Themen. Bislang haben wir neun KIT-Zentren, in denen wir die Forschung thematisch organisieren. Ich kann mir vorstellen, dass sich das weiterentwickelt. Ich versuche, den Forschenden und Lehrenden einen optimalen Rahmen zu geben für ihre Arbeit. Ich diktiere ihnen nicht, was sie machen sollen. Meine Aufgabe ist es, den Rahmen zu schaffen und darauf hinzuweisen, was ich für wichtig halte.

Hesthaven: Da müssen wir ein bisschen von den Amerikanern lernen. Die sind besser darin, sich und ihre Arbeit sowie ihre Leistungen zu verkaufen. Wir müssen stolz sein und sagen: Das machen wir und darin sind wir einzigartig.
Die ganze erste Hälfte aus 2025 war die Helmholtz-Begutachtung. Da kommen dutzende internationale Experten zu Besuch. Sie stellten dann manchmal ganz erstaunt fest, dass es in jedem unserer Forschungsbereiche bahnbrechende Forschung, Lehre und Innovation zu finden sind. Die vorherrschende Kultur am KIT ist das Understatement. Wir sprechen also gar nicht so gerne darüber, andere tun es aber und wir sollten es auch machen. Von daher müssen wir einfach lernen zu sagen: Was wir machen, das ist hervorragend! Darauf sind wir stolz. In meinem Heimatland Dänemark ist es übrigens noch schlimmer – daher habe ich auch Empathie dafür. Allerdings habe ich 15 Jahre in den USA gelebt und weiß nun, dass es auch anders geht. Wir müssen zeigen, wie eindrucksvoll das alles hier ist und dass wir gute Fortschritte erzielen. Wir müssen mehr nach außen strahlen! Das ist gemeint mit dem Rohdiamant.
Hesthaven: Wichtig für eine gute Zusammenarbeit sind Vertrauen und Offenheit. Ich habe wenig Zeit für Leute, die nicht offen sind. Das sind vielleicht meine dänischen Gene, meine skandinavische Prägung, das ist mein Wesen. Es sind Vertrauen, Offenheit und Transparenz die uns helfen, wenn Probleme oder Herausforderungen anstehen. Aber auch Spaß an der Arbeit und mit den Kollegen Spaß zu haben, ist sehr wichtig. Ich muss in meiner Position leider eine gewisse Distanz zwischen dem Professionellen und dem Privaten halten. Aber Vertrauen, Transparenz, Offenheit und der Humor sind mir auch im professionellen Umgang sehr wichtig.
Hesthaven: Hier kann man gut leben. Ich wohne nicht direkt in Karlsruhe, sondern ein Stückchen außerhalb. Die Weinberge und die Kultur sind sehr schön. Meine Frau und ich freuen uns darüber. Wir fühlen uns in der Region wohl. Allerdings gibt es kein Meer, das ist ein klarer Nachteil! Jedenfalls wenn man das Meer so sehr liebt, wie ich es tue.
Die Fragen stellte Jennifer Warzecha.
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