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Begegnungsort, Kulturstätte, Wandel

50 Jahre Stadtbibliothek Wiesloch: Mehr als Bücher

Die Stadtbibliothek Wiesloch feiert 50 Jahre als Ort für Bildung, Begegnung, Kultur & Wandel. Ein Gespräch mit Thomas Michael und Claudia Kellner.
Bibliotheksleiter Thomas Michael und Bibliothekarin Claudia Kellner in der Stadtbibliothek Wiesloch
Bibliotheksleiter Thomas Michael und Bibliothekarin Claudia Kellner in der Stadtbibliothek Wiesloch. Sie sind beide seit Jahrzehnten im Bibliotheksbereich tätig.Foto: LIP

Wer heute durch die Stadtbibliothek Wiesloch geht, merkt schnell: Hier geht es längst nicht mehr nur um das Ausleihen von Büchern. Die Einrichtung ist Aufenthaltsraum, Lernort, kulturelle Bühne und eine Begegnungsstätte. Zum 50-jährigen Bestehen blickt das Team um Claudia Kellner und Thomas Michael auf Herausforderungen, Entwicklungen und die Bedeutung von Bibliotheken im Wandel.

Ein Angebot, das sich bewährt hat, ist der „Bibliotheksführerschein“ für Viertklässler. „Da müssen sie so ein Heft bearbeiten mit mehreren Aufgaben und sind unterwegs in der Bibliothek“, erklärt Claudia Kellner. Sie ist für den Kinder- und Jugendbereich in der Stadtbibliothek zuständig. Spielerisch lernen Kinder, wie die Bibliothek funktioniert – von der Ausweiserstellung bis zur Orientierung im Medienbestand.

Jedes Grundschulkind soll im Idealfall zweimal kommen – einmal in der ersten oder zweiten Klasse, dann erneut mit dem Führerschein. „Das ist unterschiedlich gut besucht, je nachdem, wie aktiv die Lehrkräfte sind“, fügt sie hinzu. Im besten Jahr gab es einen regelrechten Ansturm. Auch Schulen außerhalb Wieslochs werden eingeladen – ein mühsamer, aber lohnender Organisationsaufwand.

Bilderbücher, Krimis, Fantasy

Bilderbücher und Kinderkrimis gehören zu den Dauerbrennern im Kinderbereh. „‚Die drei???' gibt’s immer noch und „Die drei!!!‘ – das Pendant für Mädchen – auch“, sagt Kellner. Reihen wie „Die Schule der magischen Tiere“ seien deutlich beliebter als Einzeltitel, weil Kinder gerne dranbleiben, wenn sie einmal „angefixt“ seien.

„Es ist auch ein Kostenfaktor“, ergänzt Michael, „Bilderbücher guckt sich ein Kind vielleicht ein-, zweimal an – das kaufen viele Familien nicht selbst.“ Die Ausleihe spart bares Geld und sorgt gleichzeitig für Zugang zu Literatur.

Abnehmendes Interesse im Jugendalter

Mit steigendem Alter nimmt die Nutzung der Bibliothek ab – ein Trend, den beide mit Bedauern beobachten. „In der Pubertät hatte ich auch auf einmal andere Interessen“, sagt Michael. Der Rückgang sei kein neues Phänomen, aber durch digitale Medien weiter verstärkt. „Die Kinder haben einfach weniger Zeit: Ganztagsschule, Hobbys, soziale Medien“, so Kellner. Lesekompetenz leidet darunter – eine Entwicklung, die nicht nur Bibliotheken, sondern auch Schulen beschäftigt.

Neben Büchern sind Tonie-Figuren mit knapp 450 Titeln extrem gefragt. „Wir verleihen auch die Boxen, das kam von Anfang an sehr gut an“, sagt Michael. Brettspiele, CDs und Sachbücher wie „Was ist Was?“ runden das Angebot ab. „Was wir merken, ist der Einfluss von BookTok“, sagt Kellner. Eine neue Zielgruppe fragt vermehrt nach „Romantasy“ – häufig Jugendliche, oft junge Frauen. Die Bibliothek hat darauf reagiert und ein eigenes Regal für diese Titel eingerichtet.

Bibliotheken haben sich über die Jahre als Ort zum Verweilen und der Begegnung entwickelt.
Bibliotheken haben sich über die Jahre als Ort zum Verweilen und der Begegnung entwickelt.Foto: LIP

Leseförderung mit „Heiß auf Lesen“

Ein Erfolgsmodell ist die Ferienaktion „Heiß auf Lesen“. „Das ist eine sehr gute Aktion, um Kinder zum Lesen zu kriegen“, erklärt Kellner. Sie besucht selbst die Schulen, um das Projekt vorzustellen – mit durchweg positiver Resonanz. „Der Start ist am Donnerstag, 17. Juli, also zwei Wochen vor den Sommerferien“, sagt sie. Der Abschluss findet traditionell in der ersten Schulwoche statt – ein fester Termin im Bibliotheksjahr.

Für weiterführende Schulen gibt es iPad-gestützte Führungen. „Das ist ein eigens kreierter Action Bound, den wir spannend aufbereiten“, so Michael. Die Aufgaben führen durch die Bibliothek – digital, spielerisch und interaktiv. „Tablets sind immer cool“, sagt er grinsend. Das Konzept zeigt Wirkung, gerade bei Fünft- und Sechstklässlern, die sich mit klassischen Führungen oft schwertun.

38.000 Medien

Während der Pandemie gingen die Zahlen drastisch zurück – doch inzwischen hat sich die Lage stabilisiert. „Die Ausleihtendenz steigt momentan wieder leicht“, sagt Michael. Auch wenn sich das Leseverhalten verändert hat, bleiben Bibliotheken relevant. „Manche Bücher aus dem BookTok-Bereich werden lieber gekauft als ausgeliehen“, berichtet Kellner. Viele Jugendliche wollen die hübsch gestalteten Bände im Regal haben – ein Trend, den auch Buchhändler bestätigen.

Mit einem Bestand von rund 38.000 Medien ist die Bibliothek breit aufgestellt: Bücher, Tonies, Spiele, CDs, Zeitschriften und mehr. „Dazu kommt das virtuelle Angebot“, so Michael – etwa E-Books über die Onleihe-Plattform. „CDs funktionieren bei Kindern und Jugendlichen noch – aber DVDs sterben aus“, sagt er. Die Zukunft liegt klar im Streaming und MP3-Format – auch in Bibliotheken.

Der Tagesablauf beginnt früh: Licht an, Rückgabekasten leeren, Medien einsortieren, Mahnungen schreiben. „Der Rückgabekasten ist bei uns sehr beliebt“, sagt Michael. Danach folgt die Arbeit am Bestand: Medien auswählen, bestellen, katalogisieren. „Wir wählen aus, was gekauft wird – das ist unsere Hauptaufgabe“, sagt er. Anregungen von Nutzern fließen dabei regelmäßig ein – eine Form der Kundenbindung.

Politiker, Kulturmenschen und andere Personen aus Wiesloch in der Stadtbibliothek
Zum Festakt anlässlich des 50-jährigen Jubiläums kamen zahlreiche Gäste aus Politik, Kultur, Wirtschaft und anderen Bereichen Wieslochs.

Große Veranstaltungsvielfalt

„Pro Halbjahr machen wir locker 20 Veranstaltungen im Kinder- und Jugendbereich“, sagt Kellner. Dazu kommen Lesungen, Ausstellungen und Kooperationen mit Musikschule, Volkshochschule oder Buchhandel für Erwachsene. „Ohne Sponsorengelder wäre das Jubiläumsprogramm nicht möglich gewesen“, so Michael.

Palatin, Bürgerstiftung, Banken – sie alle helfen mit, das kulturelle Angebot zu sichern. Die Bilanz zur ersten Hälfte des 50-jährigen Jubiläums fällt positiv aus. „Der Festakt war ein Sahnehäubchen“, freut sich Michael. Unter anderem stehen noch Kinderliedermacher Fredrik Vahle, Fernsehjournalistin Dunja Hayali, Autor Alexander Steffensmeier sowie Schauspieler Matthias Brandt auf dem Programm.

„Die Lesungen mit Schulklassen organisieren wir gezielt, damit alle Kinder erreicht werden“, so Kellner. Viele Veranstaltungen sind nicht öffentlich, sondern finden im Rahmen des Unterrichts statt – kostenfrei für die Schüler.

Vielseitiger Beruf mit Zukunft

Die Ausbildung zur „Fachangestellten für Medien und Information“ ist breit gefächert. „Unsere Auszubildenden durchlaufen alle Stationen“, sagt Michael. Die Berufsaussichten sind gut, sowohl im öffentlichen als auch im wissenschaftlichen Bereich.

„Dieses Jahr hatten wir 98 Bewerbungen – das war absolut außergewöhnlich“, erzählt er. Der Auswahlprozess war aufwändig, aber für das Team auch eine wertvolle Erfahrung. Aktuell sind sieben Personen in der Bibliothek tätig – aber nur zwei davon in Vollzeit.

„Manchmal wünsche ich mir mehr Personalstunden“, sagt Michael. Die Altersstruktur sei relativ homogen – viele Kolleginnen und Kollegen sind um die 50. „Wir merken langsam auch unser Alter“, sagt er ehrlich. Der Wunsch nach Verjüngung und Entlastung ist spürbar – die Begeisterung für den Beruf aber ungebrochen.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtbibliothek Wiesloch
Beim Festakt wurde die Belegschaft der Stadtbibliothek geehrt.

Herausforderungen der Zukunft

Technik und Digitalisierung stellen das Team vor neue Aufgaben. „Ich selbst bin da nicht so technikaffin“, sagt Kellner. Dennoch betreut sie Konsolenspiele und digitale Tafeln – mit Erfolg, aber auch mit Respekt vor der eigenen Lernkurve. „Social Media ist für mich bis heute eine suspekter Ort“, gibt Michael offen zu.

Dennoch müsse man sich den Entwicklungen stellen – auch dem Thema Künstliche Intelligenz. Manche Veränderungen bereiten Sorgen – etwa der Rückgang von echter Recherchearbeit. „Früher kamen Schüler wirklich, um Bücher für Referate zu suchen“, sagt Kellner. Heute reiche oft ein kurzer Blick für ein Zitat – das Buch wird gar nicht ausgeliehen.

„Ich frag’ mich manchmal, was da in den Hausarbeiten wirklich drinsteht“, so Michael. Gleichzeitig bleibt die Bibliothek für viele ein Ort der Information – unabhängig vom Format.

Offene Türen, offene Gesellschaft

Die Stadtbibliothek Wiesloch versteht sich als Ort für alle. „Das ist eine freiwillige soziale Leistung – nicht gesetzlich verankert“, betont Michael. Gerade deshalb sei Sichtbarkeit und Präsenz so wichtig. „Alle Chancen für alle“, sagt er – und meint damit nicht nur Leseförderung, sondern auch Zugang zu Kultur, Wissen und Begegnung.

Neben Ausleihen spielen Aufenthaltsräume eine wachsende Rolle. „Viele Leute kommen einfach, um sich hier aufzuhalten“, so Kellner. Von SchülerInnen über RentnerInnen bis zu Eltern – der Ort ist belebt. „Manche treffen sich hier regelmäßig zum Zeitunglesen – und kommen dann ins Gespräch“, sagt Michael.

Die Bibliothek als stilles, aber soziales Netzwerk. Was bleibt, ist der Wunsch nach baulicher Erneuerung. „Zwei Fassadenseiten wurden saniert – zwei verfallen“, sagt Michael. Das Haus ist ein architektonisches Erbe – genutzt von Musikschule, Vereinen und eben der Bibliothek. „Wenn man nicht bald reagiert, wird’s nur noch teurer“, warnt er. Ein Appell an Verwaltung und Politik – für den Erhalt eines Ortes, der für viele mehr ist als nur ein Ort für Bücher. (dj)

Ein großes Stehplakat zum 50-jährigen Jubiläum der Stadtbibliothek in den Räumlichkeiten der Stadtbibliothek
Eine Vielzahl an Veranstaltungen werden zum Jubiläum angeboten.

Weitere Informationen

https://www.wiesloch.de/leben--bildung/Stadtbibliothek/50-jahre-stadtbibliothek

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