Vor 50 Jahren wurde das Therapiezentrum Münzesheim eingeweiht. In idyllischer Lage im Kraichgau, am Rande des Stadtteils Münzesheim, entstand das Fachkrankenhaus für suchtkranke Männer.
„Dankbar nehmen wir heute wahr, dass unzähligen Patienten in diesem halben Jahrhundert geholfen werden konnte, den Weg aus der Sucht zu finden und neue Wege aufzuzeigen“, so Matthias Schärr, Geschäftsführer der Suchtkrankenhilfe der Evang. Stadtmission Heidelberg, bei der Begrüßung der zahlreichen Gäste, die anlässlich des runden Geburtstages in das herbstlich geschmückte Festzelt gekommen waren und schon auf der Wegstrecke mit bunten Luftballons und den Flaggen aller Länder empfangen wurden.
„Die schöne Atmosphäre der großzügigen Anlage, zu der seit 40 Jahren auch der einzigartige Asiatische Garten gehört, in dem sich viele Patienten mit ihren Kunstwerken verewigt haben, hat sicherlich dazu ihren Beitrag geleistet“, führte Schärr weiter aus. Neue Perspektiven seien durch innovatives Denken in Sachen Suchthilfe aufgezeigt worden und dadurch neue Lebensläufe entstanden. Man wolle diesen Tag nutzen, um Vergangenes in Erinnerung zu rufen und Zukünftiges in den Blick zu nehmen, so Pfarrer Matthias Schärr, der allen Menschen, die sich in irgendeiner Form in der Suchtkrankenhilfe einbringen, herzlich dankte.
Kraichtals Bürgermeister Tobias Borho sorgte in der Folge mit dem Martin Luther-Zitat: „Tritt fest auf, mach's Maul auf, hör bald wieder auf!“ für Schmunzeln im Auditorium, sprach von einem „Besonderen Tag“, der großen Verbundenheit der Stadt mit der Einrichtung, dem schönen Spielplatz und der „Wohlfühloase“ Asiatischer Garten. Der Verwaltungschef hatte als Gastgeschenk eine Bleistiftzeichnung der Münzesheimer Ortsmitte mitgebracht und dankte Dr. Sven Seilkopf, Chefarzt der Kraichtal-Kliniken, sowie der Verwaltung für „50 Jahre gemeinsames Wirken für hilfsbedürftige Menschen“. Zudem ließ der Rathauschef mit dem Spruch „Schmerz adelt“ von Opus Dei-Gründer Josemaria Escriva aufhorchen.
Saskia Wollny, Direktorin der DRV Baden-Württemberg, sprach ebenso Grußworte wie Margit Freund vom Sozialdezernat „Mensch & Gesellschaft“ des LRA Karlsruhe, die als Vertreterin des Landrats gekommen war, auf das „weite Feld“ und die Thematik „Sucht“ einging und betonte: „Menschen mit psychischen Erkrankungen sind nach wie vor von Ausgrenzung betroffen“. Neben der Prävention gelte es vor allem auch, die Enttabuisierung voranzutreiben. Auch Dr. Christian Jung, Landtagsabgeordneter der FDP des Landkreis Bretten und Sprecher für Verkehr und Petitionen, gratulierte und dankte für die „großartige, positive Arbeit“, die am Ort geleistet wird. Historiker und Stadtrat Karl-Heinz Glaser, Vorsitzender des Beirat Suchthilfe GmbH, ging in einem interessanten Bilderrückblick auf die Entstehungsgeschichte des Therapiezentrums ein und rief die Namen der Gründerväter ins Gedächtnis. Neben Pfarrer Raoul Jassoy, Emil Gabriel und Erich Hörrle wurde auch Dr. Jürgen Schwarz, der Initiator des Asiatischen Gartens, erwähnt. „Wegen dieser Herren sind wir heute hier“, so Glaser unter dem Beifall der Gäste, darunter auch eine Abordnung des „Lions-Clubs Kraichgau-Hügelland“.
Dr. Sven Seilkopf bezeichnete die Gründerjahre als „spannende Epoche“. Er unternahm in seinem Vortrag eine Zeitreise ab 1974 und hatte etliche Anekdoten aus der „guten, alten Zeit“, als noch keine Computer, sondern Schreibmaschinen ihren Dienst verrichteten, parat. Schließlich ging auch Daniel Nakhla, seit 2013 Therapeutischer Leiter am Therapiezentrum, in seinem umfassenden Bericht auf die Historie der Einrichtung ein, „die unweigerlich auch mit gesamtgesellschaftlichen Strömungen und Entwicklungen“ verbunden sei. Es gebe unzählige Geschichten zu erzählen, zumal die Entwicklung von der ursprünglichen reinen Alkoholbehandlung hin zur Behandlung einer besonders großen Vielfalt an Suchtformen, beispielsweise die Behandlung pathologischer Glücksspieler, führte. „Wir sind heute ein Zentrum der Glücksspielbehandlung in Deutschland mit den meisten Zuweisungen, haben zunehmend jedoch immer mehr Drogenpatienten“, unterstrich der Psychotherapeut. „Hinter dieser Entwicklung verbergen sich massive Veränderungen der Rehabilitanden-Struktur, zumal immer mehr junge Menschen zu uns kommen“. Nach wie vor würde man im Therapiezentrum für eine große Diversität, sowohl bei den Störungsbildern, als auch Patientenmerkmalen, die verschiedene Einschränkungen beinhalten, stehen. „Die Bedeutung der christlichen Kirche als Institution und ihre Riten mag in den letzten Jahrzehnten nachgelassen haben, das Bekenntnis zu christlichen Werten wie Nächstenliebe, Vergebung und Barmherzigkeit dagegen nicht“. Daniel Nakhla zeigte am Bildbeispiel die bekannte Laokoon-Skulptur von Athanodoros von Rhodos mit der Darstellung des Todeskampfes Laokoons und seinen Söhnen mit einer Schlange und machte deutlich: „Ein Sieg gegen die Sucht ist nicht zu erreichen und wir sprechen nach wie vor nicht von Heilung“. Ständig würden neue Schlangentypen mit neuen psychoaktiven Substanzen oder medial vermittelten Verlockungsangeboten hinzukommen, „in deren Fängen auch wir uns als Therapeuten teilweise befinden“. Einen großen Vorteil gebe es jedoch: „Wir kämpfen nicht alleine. Dafür steht die Therapeutische Gemeinschaft des Therapiezentrums Münzesheim seit 50 Jahren und mit ihm die Repräsentanten des Suchthilfesystems“. Daniel Nakhla („Es ist ein gewisser Charme oder Spirit, der in dieser Klinik zu finden ist“) sprach die außergewöhnliche Kontinuität der Mitarbeitenden in den vergangenen 50 Jahren sowie die stets gut angenommenen Ehemaligentreffen an und schloss mit der Aussage, dass man stets „den Menschen und nicht die Krankheit“ behandle. Bevor er die Gäste zu einem Rundgang durch das Klinikgelände einlud, ging Dr. Arne Zastrow, Leiter der seit 2018 bestehenden Psychosomatischen Fachabteilung, auf die Veränderungen in der Rehabilitation ein. Für die musikalische Begleitung des Tages hatte in bewährter Weise die seit 1988 bestehende Hausband mit dem treffenden Namen „Los Promillos“ gesorgt, die unter Leitung von Dr. Sven Seilkopf (Gitarre/Gesang) die wunderbaren Songs „Hymn“ von Barcely James Harvest und „Monday Morning“ (Melanie Fiona) sowie das eindringliche, im Original von Linda Perry intonierte, „Letter To God“ zu Gehör brachte. Ihr „Brief an Gott“ ist einer der berührendsten Songs zum Thema Sucht und Drogen und führt dem Zuhörer die ganze Problematik hautnah vor Augen. Parallel wurde die deutsche Textübersetzung auf einem LED-Bildschirm gezeigt. In der Formation agieren neben dem Chefarzt der beiden Kraichtalkliniken auch der frühere Mitarbeiter Peter Müller (Bass) sowie Sam Bachnick (Gitarre), Schlagzeuger Axel Rathgeber sowie die wunderbare Frontfrau Danny Weinstein. (hjo)