Heimatgeschichtlicher Arbeitskreis Talheim
74388 Talheim
Kultur

80 Jahre Kriegsende in Talheim

Bericht von Charlotte von Schubert, geb. Speidel (1906-2008) Bewohnerin des Neuen Schlosses, manche Talheimer können sich noch erinnern,...

Bericht von Charlotte von Schubert, geb. Speidel (1906-2008)

Bewohnerin des Neuen Schlosses, manche Talheimer können sich noch erinnern, dass sie im Rentnerclub oft den Gesang auf dem Klavier begleitete.

Frau Lotte von Schubert hat auf Wunsch des Bürgermeisteramts 1949 in der folgenden Dokumentation wiedergegeben, was sich im Jahre 1945 bis zum Kriegsende in Talheim, und hier besonders im Neuen Schloss, zugetragen hat.

März 1945:

Alles geht dem Ende und dem Untergang entgegen. Der Feind dringt täglich tiefer ins Land ein.

Wir sind umzingelt von allen Seiten. Die Jabo-Angriffe und Tiefflieger werden immer häufiger.

Man wagt sich kaum mehr ins Dorf zu gehen, wird bei jeder Arbeit unterbrochen. Selbst im Garten muss man sich an Bäume drücken oder auf den Boden legen, um nicht Zielscheibe zu sein. Verantwortlichkeitsbewusstsein, vor allem dem Kind gegenüber, und Fatalismus resp. Bequemlichkeit streiten sich in einem, im Trotzen der Gefahr oder Fliehen.

April 1945:

Wir werden Kampfgebiet. Der Krieg ist am Erlöschen. Dennoch fordert der Kreisleiter von Heilbronn zu äußerstem Widerstand auf, verlängert dadurch den Kampf und lädt zu aller Schuld auch noch die an vielen jüngsten Menschenleben auf sich.

Wir liegen im Schussfeld zwischen Nordheim und dem Haigern. 14 Tage und Nächte liegt ein schwerer Mörser direkt über uns auf dem Hundsberg, ein leichtes Infanteriegeschütz direkt vor uns an der Schozach. Stäbe im Hause, die einander ablösen, auf der Flucht. 50 – 100 Mann im Heu – teils Wehrmacht, teils letzter Arbeitsdienst. Alles versprengte letzte Reste unserer stolzen Armee. In der Waschküche wird gekocht. Sie bitten um Kartoffeln und Gemüse, haben nichts mehr, weil der Train nicht nachkommt. 2 einsame Landser sitzen auf der Treppe nach der Straße. Auf meine Frage „Wozu“? „Als Panzersperre“. Ein verständnisvoller trauriger Blickwechsel, aber das Vesper schmeckt!

Granate auf Granate fliegt ins Dorf, trifft viele Häuser. Auch das Alte Schloss wird beschädigt. Wir bleiben unversehrt. In unserem Apfel- und Weinkeller mehren sich die Gäste aus dem Dorf. Die Gefahr aus der Luft nimmt ab, die auf der Erde zu. Nur die beiden letzten Nächte vor Erscheinen der Amerikaner verbringen auch wir im überfüllten Apfel- und Luftschutzkeller, während wir uns bis dahin hinter den dicken Schlossmauern genügend geborgen fühlten.

Die 1. Bekanntschaft mit den Amerikanern war eine indirekte, indem die Menschen der Bahnhofsgegend, die aus ihren Häusern mussten, zu uns flohen und um Unterkunft baten. So war großes Biwak hier. Schlafen in allen Zimmern und Kellern und Massenverpflegung in der Waschküche. Das ging so drei Tage, bis sie auch zu uns kamen, das Schloss beschlagnahmten für den folgenden Stab eines Colonel und uns samt den Dorfbewohnern hinauswarfen. Binnen einer Stunde musste alles geräumt sein. Was das für einen landwirtschaftlichen Haushalt bedeutet, kann nur ermessen, der es mitgemacht hat.

Bis die Amerikaner kamen, dauerte es doch noch 4 Stunden, so dass man noch das Wichtigste herausholen konnte.

Wir hausten 4 Tage in der Knechtekammer, in der zweiten nebenan 7 Kinder, auf dem Kornboden alle restlichen Schlossbewohner.

Auf dem Hofe regstes Lagerleben. Das Haus voller Offiziere, Kantine in der Diele, Kasino im Esszimmer. Wir alle hatten Dorf- und Hausverbot. Um letzteres kümmerte ich mich wenig, behielt meine Hausfrauenrechte inne, ging täglich, mich höflich entschuldigend, von Tür zu Türe, um Blumen zu gießen, leere Gläser und volle Aschenbecher mitzunehmen und zu spülen, wo nötig, Amibeine von meinen Tischen zu nehmen, alles geduldet.

Ich hatte Silber, Porzellan, Glas zur Verfügung zu stellen. Meine Mine hatte bei der Bedienung zu helfen, auch in der Küche, so dass wir doch bei der Hand waren. Zerschlagen wurde manches, aber nicht mutwillig. Leider wanderten Radio, Leutebettwäsche, Küchenwäsche und etliche Souvenirs mit, die ich nicht beizeiten weggetan hatte. Im Allgemeinen verlief alles höflich und zurückhaltend. Nach 4 Tagen konnten wir wieder einziehen, nur für kurz!

Mai 1945

wurden wir erneut hinausgesetzt, für 1 Woche, niemand durfte im Schloss bleiben. Alle Ausgebombten im Dorf untergebracht, wir selber liebevoll im evangelischen Pfarrhaus aufgenommen. Es waren letzte harmonische Tage ohne Ahnung dessen, was folgen sollte. Wie dankbar war man für die sich langsam verbreitende Kunde des Waffenstillstands!

Abschied vom Vaterland nahmen wir an jenem Sonntag morgens, als da zum letzten Mal das „Schatzkästlein“ erklang. Es endete mit dem Kaiserquartett von Haydn. – Wann wird man diese Klänge wieder hören?

Erschienen 1995 im Talheimer Mitteilungsblatt

Erscheinung
Mitteilungsblatt der Gemeinde Talheim (Heilbronn)
NUSSBAUM+
Ausgabe 18/2025

Orte

Talheim

Kategorien

Kultur
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