Gemeinde Sandhausen
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Aus den Rathäusern

80 Jahre nach der Befreiung

Skulptur erinnert an das Leiden von Zwangsarbeiterinnen Auf der sich entwickelnden Gedenkstätte auf dem ehemaligen KZ-Außenlager in Malchow wurde am...
Gerd Schneider, Jürgen und Christiane Seiler
Gerd Schneider, Jürgen und Christiane SeilerFoto: Dr. Helga Wagner

Skulptur erinnert an das Leiden von Zwangsarbeiterinnen

Auf der sich entwickelnden Gedenkstätte auf dem ehemaligen KZ-Außenlager in Malchow wurde am Samstag, dem 03.05.2025, eine Skulptur des Metallkünstlers Gerd Schneider aus Sandhausen offiziell an die kleine Stadt Malchow an der Mecklenburgischen Seenplatte übergeben.

Zur Erinnerung: In seiner denkwürdigen Rede 1995 hat der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker den Begriff der „Befreiung“ von einer Diktatur in den Mittelpunkt gerückt. Auch heute wird der Begriff „Befreiung“ für das Kriegsende nicht von allen Deutschen geteilt. Das Meinungsforschungsinstitut Yougov hat aktuell noch einmal nachgefragt. 45 Prozent der 2200 Befragten, also nicht einmal jeder und jede Zweite, empfinden den 08.05.1945 als Befreiungstag von einer Diktatur. 15 Prozent sehen ihn eher als Niederlage. Für 27 Prozent steht das Datum für beides – Befreiung und Niederlage. Die übrigen 13 Prozent machen keine Angabe.

Die Entstehung der Skulptur geht auf die Vermittlung von Christiane und Jürgen Seiler an den hiesigen Metallkünstler Gerd Schneider zurück. Das Ehepaar macht seit vielen Jahren Urlaub an der Mecklenburgischen Seenplatte und ist auf Fahrradtouren auf Bunkerreste zwischen Malchow und Plauer See auf eine im dichten Wald versteckte ehemalige Munitionsfabrik und auf Fundamente eines KZ-Außenlagers aufmerksam geworden. 2018 wurde mit Spende des Ehepaares eine Gedenktafel auf dem Gelände des ehemaligen Außenlagers des Frauen-KZ Ravensbrück aufgestellt. Jürgen Seiler erzählte dem Künstler Gerd Schneider von den Plänen für eine Gedenkstätte für das Lager in Malchow. Er berichtete von dem unterirdischen Munitionswerk der Nobel AG, wo Zwangsarbeiterinnen Sprengstoff in Hülsen abfüllen mussten. Das grünlich-giftige Nitropenta hinterließ überall Spuren auf Haut, Kopf und Kleidung. Es gelangte auch in die Atemwege. Gerd Schneider ging die Schilderung nicht mehr aus dem Kopf. Aus seinen Gedanken dazu, wie man diese Zwangsarbeit veranschaulichen könnte, schuf er 2019 zunächst ein Modell einer Zwangsarbeiterin. Ende des Jahres 2024 erhielt Gerd Schneider dann den offiziellen Auftrag von der Stadt Malchow, die Skulptur in Lebensgröße zu erstellen. Das Besondere an der Skulptur ist ein Spiegel anstelle des Gesichts, der den Betrachter zum Nachdenken anregen soll: „Wie wäre es mir damals ergangen? Auf welcher Seite der Geschichte hätte ich gestanden?“ Am 2. Mai 1945 konnten die heranrückenden Truppen der Sowjetarmee noch etwa 1000 Frauen aus ihrem jahrelangen Martyrium befreien.

Neben der Skulptur in der Mitte des weiträumigen KZ-Geländes wurden sieben Porträts von ehemaligen Zwangsarbeiterinnen zum ersten Mal der Öffentlichkeit gezeigt. Eine der überlebenden Frauen war Galina Kropornicka aus Polen. Ihre Nachfahren waren bei der Gedenkveranstaltung anwesend. Zur Aussöhnung zwischen Polen und Deutschland hat sich vor Jahren ein Verein gegründet, der sich Schönwalds-Erben e. V. nennt, siehe schoenwalds-erben.de. Weitere Nachfahren, Kinder und Enkel von ZwangsarbeiterInnen und Unterstützer der Gedenkstätte kamen aus Polen, Neuseeland, Norwegen, den Niederlanden und Deutschland.

Emotionaler Höhepunkt des Gedenkens bildete die Namensnennung einer kleinen Auswahl von in Malchow inhaftierten Frauen. Die Vita der Frauen auf den ausgestellten Porträts wurde von Mitgliedern des Jugendparlaments Malchow und Schülern und Schülerinnen der Fleesenseeschule vorgetragen. Weitere 30 Namen und Daten der Opfer verlasen Anwesende in spontaner Anteilnahme. Für jeden Namen legten sie eine weiße Rose auf dem Werktisch vor der Skulptur oder darunter ab.

Viele Jugendliche, Schüler und Schülerinnen waren während der Gedenkveranstaltung anwesend und gestalteten sie mit. Es ist wichtig, die Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus der Namenslosigkeit herauszuholen. So konnten durch Forschungsarbeiten der Geschichtswerksatt „Zeitlupe“ unter Leitung der Historikerin Dr. Constanze Jaiser bis zu 1700 Namen von in Malchow inhaftierten Zwangsarbeiterinnen ermittelt werden. Man muss bedenken, dass im Lager mehr weibliche und männliche Zwangsarbeiter lebten als Einwohner der Kleinstadt Malchow.

Die Gedenkveranstaltung bildete den Auftakt zu einer Woche mit täglichen Beiträgen zum Gedenken. Es folgten ein Gedenkgottesdienst, ein Klezmer Konzert, ein Beitrag des Kinderjugendparlaments, ein Vortrag zur Geschichte des Munitionswerkes, Lesung eines Romans von Marion Kummerow über Malchow in der NS-Zeit und ein Vortrag von Dr. Agata Schindler über ein Musikerschicksal in der NS-Zeit. Ein weiterer Höhepunkt war die filmische Dokumentation „Drei Tage in Malchow 2023“ über die Überlebende Batsheva Dagan, die mehrfach als Zeitzeugin in Malchow war. Immer wieder hatte sie eindringliche Worte an junge Menschen gerichtet: „Ich bin Zeitzeugin und mache euch zu meinen Zeugen! Es ist leichter, zu hassen als zu lieben!“ Nach dieser filmischen Dokumentation wurde ein Ölgemälde von Batsheva Dagan in Anwesenheit des Künstlers Christoph Wetzel in der Aula der Fleesenseeschule enthüllt. (Christoph Wetzel hat internationales Aufsehen erlangt, weil er die Kuppel der Dresdner Frauenkirche in barocker Bildsprache neu erschuf.)

Diese besondere Gedenkwoche mit vielen interessanten Veranstaltungen organisierte ein kleiner Kreis von Ehrenamtlichen in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung Malchow und dem Archiv, allen voran das Ehepaar Jan-Gerrit und Ines Otterpohl und Frau Professorin Sigrid Jacobeit als Initiatoren und Begleiter. Hinter der Skulptur und den Porträts steht das Engagement von Christiane und Jürgen Seiler aus Sandhausen.

Den Schlusspunkt der Gedenkwoche bildete das Konzert „Stimmen des Holocaust“ mit Künstlerinnen und Künstlern aus Norwegen. Wortbeiträge von Überlebenden wurden wieder von Schülerinnen und Schülern der Fleesenseeschule gelesen. Die junge Generation muss wissen und verstehen, was zur Zeit des Nationalsozialismus in unserem Land geschah. Das Geschichtsverständnis ist einer der Schlüssel, dass ein diktatorisches Regime in Deutschland nie wieder an die Macht kommt.

Erscheinung
Amtsblatt der Gemeinde Sandhausen
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Ausgabe 20/2025

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von Gemeinde Sandhausen
16.05.2025
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