„Dieses war der zweite Streich …“
So bezeichnete Bürgermeister Eugen Raidt am Samstag, den 29. August 1964 bei der Einweihung des Gemeindesaals humorvoll die Leistung von Pfarrer Karl Rupp, nach dem Neubau der Kirche 1961. Weitere Streiche sollten folgen. Umbau Pfarrhaus, Neubau Kindergarten, Schwesternhaus.
In seiner Rede freute sich Bürgermeister Raidt besonders darüber, dass das neue Gemeindehaus der ganzen, nicht nur der Kirchengemeinde zur Verfügung stehen wird und er schloss mit den auch heute noch zutreffenden Worten:
„Wenn die heutige Generation schon lange nicht mehr sei, dann würden doch Kirche und Gemeindehaus noch vom Wirken Pfarrer Rupps künden.“
Und beides, weder neue, Kirche noch Gemeindesaal wären ohne den Einsatz von Bürgermeister Eugen Raidt schwerlich möglich gewesen. Pfarrer Rupp bedankte sich in seiner Rede ausdrücklich bei der Alt-Bürgermeisterin Langheinz, die großmütig ihr Vermögen der Kirchengemeinde hinterließ, auch bei Architekt Gries, der die Bauleitung ohne Honorar übernommen hatte und der bürgerlichen Gemeinde mit Bürgermeister Eugen Raidt, die finanziell und materiell half.
Deshalb heißt der Saal Gemeindesaal, nicht wie in vielen anderen Ortschaften Pfarrgemeindesaal, weil er eben ein von vornherein gemeinsames Projekt der kirchlichen und bürgerlichen Gemeinde war. Es bedurfte aber wieder einmal der alten Garde der Kiebinger Handwerker, damit dieser Umbau gelingen konnte. Maurer, Maler, Zimmerleute, Gipser, Schreiner … viele arbeiteten unentgeltlich in ihrer Freizeit am Gemeindesaal. Als eines der vielen positiven Beispiele möchte ich hier Thomas Heim nennen. Er feierte am 7. August 1964 zusammen mit seiner Frau Rosina Heim den 50. Hochzeitstag. An diesem Tag leistete er als gelernter Gipser ehrenamtliche Feinarbeit am Umbau der alten Kirche und als Bürgermeister Eugen Raidt ihm zu diesem Jubeltag einen Nelkenstrauß im Namen vom Landrat überreichte, nahm er ihn deshalb im Gipseranzug entgegen. Die offizielle Feier fand dann im ordentlichen Anzug am darauffolgenden Sonntag mit Kirchgang und Feier im Hirsch statt.
Zur Einweihungsfeier des Gemeindesaals waren auch die Nachbarbürgermeister Lohmiller aus Bühl und Schall aus Weiler eingeladen, welche neidvoll auf den gelungenen Umbau der alten Kirche Maria Himmelfahrt zum Gemeindehaus mit Kolping- und gleichzeitig Proberaum der Paulus Chorknaben im oberen Geschoss blickten. Leider müssen wir Kiebinger heute oft neidvoll nach Bühl blicken.
Neben diesen Besuchern war am Einweihungstag aus Rottenburg lediglich Stadtrat Kläger als Vertreter von Bürgermeister Regenbrecht anwesend. Landrat Klumpp, der ebenfalls die vorbildliche Zusammenarbeit von kirchlicher und bürgerlicher Gemeinde lobte. Auch Domchordirektor Harald Kugler hatte ein Kuvert von Domdekan Dr. Wurm mitgebracht. Umrahmt wurde die Feier vom Kirchenchor unter Leitung von Oberlehrer Dierberger, den Sängerknaben von Pfarrer Karl Rupp und einem Kammertrio und Musikschülern.
So konnten sich die Kiebingerinnen und Kiebinger freuen über ihren Gemeindesaal mit moderner Küche, welche auch als Lehrküche ausgewiesen war. Nach langen Verhandlungen wegen des geltenden Denkmalschutzes auch mit einem kleinen Anbau mit Eingangshalle an der Nordseite, mit Toiletten und dem Saalgebäude, der in erster Linie auch als Spielsaal für den kirchlichen Kindergarten diente.
Der Saal wurde technisch zukunftsweisend ausgebaut, mit kompletter Theaterbühne für tolle Aufführungen der Vereine, automatischer Filmleinwand für legendäre Kinoabende z. B. Die glorreichen Sieben. Eine Beleuchtungs- und Tonanlage, welche auch durchaus für Discos geeignet war.
Pfarrer Rupp sagte: „Ein zweites Mal würde ich den Umbau nicht mehr beginnen.“ Dies zeigt, wie viel Arbeit, Kosten, Mühe und Überzeugungsarbeit, dieser auch nicht in allen Teilen der Bevölkerung gut geheißene Umbau, gekostet hat. Aber Gott sei Dank haben wir diesen Gemeindesaal, mit dem alle von uns so viele Erinnerungen verbinden. Vortragsabende, Konzerte, Kabarett, Hochzeitsfeiern, Geburtstage, Trauerfeiern, Weihnachtsfeiern, Kommunion, Firmung, Fasneten, Discos, Altennachmittage der bürgerlichen Gemeinde, Verabschiedungsfeiern, Hauptversammlungen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Danken wir all denjenigen, die diesen Saal ermöglicht haben und über all die Zeit genutzt und tatkräftig durch ihre Arbeit und ihr Engagement im Gemeindesaal unterstützt haben.
Nun ist dieser Saal nach 60 Jahren etwas in die Jahre gekommen. Ich wünschte mir eine zeitgemäße Renovierung mit dem gleichen Elan und Unterstützung sowie ehrenamtlichem Einsatz wie vor 60 Jahren.
Bernhard Herrmann
PS: Nein, vieles kann ich nicht persönlich wissen, weil ich Jahrgang 1965 bin. Aber wie viele Ortshistoriker von und für Kiebingen vor mir, verbringe auch ich manche Urlaubszeiten in Archiven, um eben solche geschichtlichen Artikel fundiert, aufgrund schriftlicher Beweise, schreiben zu können.