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Altes Stück, frisch serviert – Molières „Der eingebildete Kranke“ einfach urkomisch

„Gar nicht krank ist auch nicht gesund“, sagte einst Karl Valentin – ein Satz, der wie maßgeschneidert für Monsieur Argan klingt, die Hauptfigur...
Schlussbild: Der eingebildete Kranke.
Schlussbild: Der eingebildete KrankeFoto: Friedrich E. Becht

„Gar nicht krank ist auch nicht gesund“, sagte einst Karl Valentin – ein Satz, der wie maßgeschneidert für Monsieur Argan klingt, die Hauptfigur in Molières Komödie Der eingebildete Kranke. Seit seiner Uraufführung 1673 hat das Stück nichts von seiner Brisanz verloren: ein Hypochonder, der seine Umwelt in Atem hält, Ärzte, die an seiner Einbildung prächtig verdienen, und ein Familienleben, das unter seinen Zwangsvorstellungen beinahe zerbricht. Das Theater im Bahnhof brachte den Klassiker nun in einer frischen, temporeichen Inszenierung auf die Bühne – und erntete dafür begeisterten Applaus.

Die Handlung folgt im Kern der Vorlage: Argan ist reich, von eingebildeten Leiden geplagt und bereit, ein Vermögen für fragwürdige Behandlungen auszugeben. Seine Ärzte und Apotheker profitieren von seiner Angst, während er selbst davon träumt, durch die Heirat seiner Tochter Angélique einen Mediziner dauerhaft ins Haus zu holen. Doch Angélique liebt längst einen anderen. Mit Hilfe der listigen Dienerin Toinette gelingt es schließlich, Argans Selbsttäuschung zu entlarven und die verlogenen Absichten seiner zweiten Ehefrau Béline offenzulegen. Am Ende findet die Liebe ihren Weg – und Argan beschließt kurzerhand, selbst Arzt zu werden.

Die Inszenierung von Louis Anthem setzte auf eine Mischung aus Werktreue und origineller Zuspitzung. Der Beginn überraschte mit einer starken Bildsprache: Im grellen Rotlicht hebt sich ein sargähnliches Gestell aus der Dunkelheit, Argan und seine Trauergäste treten hinzu. Damit verwies Anthem bewusst auf den Tod von Argans erster Frau – „ein seelisches Trauma, für Argon, das, wie Louis Anthem betont, die Fixierung des Protagonisten auf Krankheit und Tod erklären könne“. Rasch wechselte die Szene jedoch ins Komödiantische: Argan, am Schreibtisch über seine Kosten grübelnd, wird von akuten Krämpfen geplagt und eilt zum „stillen Örtchen“. Was dort in geräuschvoller Direktheit begann, wurde von einer einsetzenden Toilettenspülung elegant gebrochen – ein humorvoller Regieeinfall.

Das Ensemble der JETS, den „Jungen Erwachsenen im Theater im Bahnhof“, überzeugte durch Spielfreude, klare Sprache und überbordende Gestik, die immer wieder an die Commedia dell’Arte erinnerte. Tobias Behner brillierte als polternder, großspuriger Argan, während Ayleen Grün als Toinette mit Witz, Charme und überbordender Spielfreude die Fäden der Handlung zog. Johanna Schmeling verkörperte die mondäne, aber hinterhältige Béline, Svenja Marie Fröhlich die gleichermaßen eigensinnige wie entzückende Angélique. In Doppelrollen glänzten umwerfend komisch Jana Gählert und Jonathan Ritter, während Viviane Hensler als Cléante mit kühler Zurückhaltung einen markanten, wichtigen maskulinen Kontrast zum überschäumenden Spiel ihrer Kollegen setzte.

Besondere Würze erhielt die Aufführung durch satirisch-ironische Einlagen: Ein choreografierter Fechtkampf, ein überzeichneter Boxkampf zwischen Béline und ihrer Rivalin, sowie der Tanz in schwülem Diskolicht (Angélique/Cléante), sorgten für Szenenapplaus und verankerten die Inszenierung fest in der Gegenwart, ohne den Geist des Originals zu verraten.

Im Kern bleibt Molières Kritik an der Medizin bestehen: Die Profitgier von Ärzten, die Macht des Fachjargons, die Unwirksamkeit vieler Methoden seiner Zeit. Anthem transportierte diese Themen mit leichter Hand in die heutige Erfahrungswelt und machte sichtbar, wie zeitlos sie sind.

Lediglich die Ausstattung überzeugte nicht ganz. Hier wäre etwas mehr Sorgfalt sicher hilfreich gewesen. Für Licht und Ton zeichneten Peter Köhler und Steffan Ritz verantwortlich, die mit professioneller Präzision Akzente setzten. Maske, Kostüme und Bühne entstanden in Eigenarbeit des Kollektivs – ein Beweis für das Engagement der JETS, die ihre Aufgabe mit spürbarer Ernsthaftigkeit und Leidenschaft angehen.

Die Mühe zahlte sich aus: Das Publikum belohnte die Premiere mit langem, herzlichem Applaus. Die Besucher hatten sichtlich Freude an einer Komödie, die über 330 Jahre nach ihrer Entstehung noch immer Menschen begeistert – auch in Dielheim.

So zeigte das Theater im Bahnhof, dass Molière nichts von seiner Schlagkraft verloren hat. Mit Witz, Spiellust und kluger Regie wurde Der eingebildete Kranke zu einem Abend, der gleichermaßen amüsierte und nachdenklich stimmte. Ein Stück Weltliteratur, das in neuer Frische serviert wurde – und Lust auf mehr von den JETS macht. f.e.b.

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Mitteilungsblatt der Gemeinde Dielheim
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Ausgabe 39/2025
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