Liebe Mitchristinnen und Mitchristen,
der kommende Sonntag trägt den Namen „Rogate“. Das bedeutet „Betet!“. Gebete – vorformuliere und selbstformulierte – sind wichtiger Bestandteil jedes Gottesdienstes, besonders aber der Gottesdienste entsprechend der altpreußischen Liturgie. Deswegen nehme ich den Sonntag Rogate, der uns das Beten in Erinnerung ruft zum Anlass, Ihnen die unterschiedlichen Gebete im Gottesdienst vorzustellen. Das erste Gebet im Gottesdienst ist der im Wechsel zwischen Gemeinde und Liturg oder Liturgin gesprochene Psalm. Psalmen sind Gebete aus der Bibel, in denen Einzelne oder Gruppen ihre Lebenssituation dankend oder lobend, klagend oder bittend schildern und vor Gott bringen. Im Buch der Psalmen sind 150 dieser Gebete gesammelt. Es gibt weitere Psalmgebete außerhalb des Buchs der Psalmen. Wir sprechen Worte nach, die vor etwa 2500 Jahren Menschen in Israel formuliert haben. In diesen Gebeten finden Menschen heute ihre Gedanken über und ihre Erfahrungen mit Gott in Worte gefasst. Gleichzeitig finden sich in den Psalmen Gedanken, die den Blick von Menschen heute verändern, vielleicht eine bisher übersehene Facette an Gott in Worte fassen.
An den Psalm schließt sich das Schuldbekenntnis mit der Bitte um Vergebung an. Dieses Bekenntnis macht klar: Als Menschen verstoßen wir gegen Gottes Willen und Gebote. Wir gehen unsere eigenen Wege, statt Gott zu folgen. Auf diese Bitte hin folgt der Zuspruch der Vergebung im Auftrag Gottes durch den Liturgen oder die Liturgin. Gott eröffnet uns die Möglichkeit, frei von Schuld, im wahrsten Sinne des Wortes entschuldigt, in die neue Woche zu starten. Mit Dank und Bitte schließt dieser einleitende Gebetsteil den Anfang des Gottesdiensts ab.
In einer Erzählung, in der aus der Sicht einer Jugendlichen erzählt wird, wie sie den ihr fremden und unbekannten Gottesdienst erlebt, heißt es: „Dann meinte der Pfarrer, man wolle jetzt wieder beten. Ursula war das schon ziemlich egal. Sogar das Aufstehen war ganz angenehm. Interessant, für was man alles betete, dachte Ursula: Für Kranke, Notleidende und Hungernde. Ob es nicht besser wäre, den Hungernden Brot zu geben, statt für sie zu beten, schoss es ihr durch den Kopf.“ Mit dem Fürbittengebet richtet die Gemeinde ihren Blick und ihre Aufmerksamkeit in die Welt hinaus. Als Christinnen und Christen sehen wir in die Not in der Welt. Um Not zu lindern, ist einerseits die Hilfe und das Eingreifen Gottes notwendig. Wir Menschen kommen – das merken wir immer wieder – angesichts der Größe der Not an die Grenzen unserer Möglichkeiten. Wir vertrauen darauf, dass im Gegensatz zu unseren menschlichen Möglichkeiten Gottes Möglichkeiten grenzenlos sind. Andererseits können wir Menschen auch Not lindern. Dazu gehört die Kollekte, das Geld, das Menschen am Ende des Gottesdienstes geben, das oft Menschen in Not zugutekommt. Das Opfer ist die Fortsetzung des Gebets. Viele Menschen legen während des Gebets die Hände in den Schoß. Doch wenn das „Amen“ gesprochen ist, greifen sie mit ihren Händen zu und tun, was ihnen möglich ist.
Übrigens das tägliche Geläut der Glocken morgens, mittags und abends ist eine Einladung und Aufforderung, die Arbeit zu unterbrechen, die Hände für einen Moment in den Schoß zu legen und Gott unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden, indem wir beten. Legen Sie immer mal wieder die Hände betend in den Schoß, so dass der Gottesdienst im Alltag fortgesetzt wird.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Frank Steiner