Wie sehr mögen Sie es, auf einer Skala von 1 bis 10, auf Ihre Fehler hingewiesen zu werden? Von wem können Sie das annehmen? Der Familie, besten Freunden oder sogar von Jesus? Wer mag das schon, im schlimmsten Fall vor anderen bloßgestellt zu werden oder in einer bestimmten Sache angeklagt zu werden! In der Bergpredigt (Lukas 6; Matthäus 5-7) geht es viel um die Menschen und ihre Beziehung zueinander und zu Gott. Jesus gibt ihnen ein paar Anweisungen an die Hand, wie ein gutes Miteinander funktionieren kann. Aber er spricht auch klare Worte und nimmt kein Blatt vor den Mund. Er ruft zur Barmherzigkeit untereinander auf, denn sein Vater im Himmel ist ebenso barmherzig mit den Menschen (Lukas 6, 36). Danach erläutert er die Thematik und es geht immer wieder um dieselbe Sache, nur in anderen Worten verpackt. Die Menschen sollen nicht richten oder verdammen, so werden auch sie nicht gerichtet oder verdammt. Wie schnell richten oder verdammen wir Menschen, indem wir schlecht über ihren Kleidungsstil, ihre körperlichen Erscheinungen, ihre Berufs- oder Partnerwahl denken oder sogar sprechen. Da ist oft Neid oder eigene Unzufriedenheit im Spiel, schlechte Erfahrungen oder sogar Angst. Ich ertappe mich oft, wie ich aus Neid anderen gegenüber, negativ über sie denke, z. B. wenn ich das Gefühl habe, jemand singt besser oder spielt besser die Gitarre als ich. In der vermeintlichen Perfektion der anderen Person versuche ich, negative Aspekte, die gegen sie sprechen, zu finden. Anstatt mich selbst auf den Weg zu machen, um besser im Singen und Gitarrenspielen zu werden oder mich und mein Können so anzunehmen, wie sie es sind.
Manchmal sind es auch Bemerkungen oder Streit mit Personen, die uns veranlassen, über sie zu urteilen. Anstatt dessen ist Vergebung angesagt, denn dann vergibt uns Gott auch. „Gebt, so wird euch gegeben“ (Lukas 6,38a). Wer verurteilt und nicht vergibt, der wird eine geizige Haltung gegenüber der anderen Person haben. Was soll ich ihm oder ihr schon geben? Doch wie wir wissen, ist Geben seliger als Nehmen. Ich darf einen Teil von mir loslassen und anderen geben – gute Dinge, etwas, das jemand braucht, z. B. finanzielle Unterstützung oder einen Essenskorb. Dazu heißt es: „Denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen“ (Lukas 6,38b).
Als ob diese Worte noch nicht deutlich genug wären, legt Jesus noch eine Schippe drauf. Es geht um das Gleichnis mit dem Splitter im Auge: „Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge, aber den Balken im eigenen Auge nimmst du nicht wahr? Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen“ (Lukas 6, 41-42). Ich habe mal den Spruch gehört: Wenn du mit dem Zeigefinger auf eine Person zeigst und sie z. B. anklagst, etwas Schlechtes gemacht zu haben, zeigen drei Finger auf dich zurück. Dein Gegenüber hat vielleicht nur einen kleinen Splitter im Auge, indem er/sie z. B. gelogen hat, aber du selbst hast jemanden betrogen, hast jemanden verletzt oder etwas geklaut. Wir Menschen tendieren dazu, die Schuld bei anderen zu suchen und von seinen eigenen Fehlern abzulenken, damit bloß keiner sieht, was ich getan habe. Wir versuchen, unseren eigenen „Balken“ zu vertuschen, Dinge unter den Teppich zu kehren, nicht mit der Wahrheit herauszurücken, doch das macht es viel schlimmer, umso mehr man sich dem nicht stellt. Lieber klagen wir andere an, wünschen uns Gerechtigkeit und Urteil. Das fing schon bei Adam und Eva an, die sich gegenseitig angeklagt haben, dass der andere sie dazu verleitet hat, etwas Böses zu tun, doch hätten sie sich nicht darauf einlassen dürfen. Diese Haltung und Einstellung zerstört viele Menschenverbindungen, ob familiär, beruflich, in der Beziehung, unter Christen, im Verein etc. Man müsste sofort damit anfangen, die Wurzel zu ziehen, bevor es sich immer tiefer gräbt und schwerer wird, herauszukommen.
Jesus selbst wusste, was es bedeutet, angeklagt, verurteilt und beschuldigt zu werden. Er wusste, dass er nicht schuldig war, und ließ die Leute einfach ihr Urteil fällen, das schließlich zum Kreuz führte. Sie selbst hätten erkennen dürfen, dass Jesus kein Gotteslästerer, sondern Gottes Sohn war, doch sie waren mit sich selbst und ihren Problemen um sie herum so beschäftigt, dass ein Sündenbock hermusste. Sie waren in ihrer Ordnung im Glauben an Gott so gefangen, dass ihr Herz verstockte und sie nicht mehr klarsehen konnten. Jesus weiß, dass es nicht immer leicht ist, anderen gleich zu vergeben, nicht zu urteilen und zuerst den eigenen Balken im Auge zu ziehen, bevor ich jemandem anderem helfe, seinen Splitter zu entfernen. Er weiß, dass Menschen grausam sein können. Allein schaffen wir das nicht, aber er kann uns dabei helfen.
Nachdem ich ein Schuljahr lang von meinen Mitschüler*innen und sogar meiner besten Freundin gehänselt, gemobbt, angespuckt und angeprangert wurde, brach für mich das allgemeine Vertrauen in Menschen. Ich bekam Menschenfurcht und zog mich in mein Schneckenhaus zurück. Doch Gott half mir, meinen Peinigern zu vergeben und sie zu entlassen, denn sie wussten es nicht besser. Hätte ich sie wiedergesehen, hätte ich es ihnen persönlich gesagt, aber so konnte ich sie in meinem Herzen loslassen. Danach begann der Heilungsprozess, der jahrelang ging und bis heute noch anhält. Gott half mir, wieder Vertrauen zu gewinnen und auf Menschen zuzugehen. Er hilft mir, mit Anklagen anderer mir gegenüber besser umzugehen und zu reflektieren, wo ich mich verbessern darf. Dabei hilft mir das Gebet in Psalm 139, 23-24, das ich oft bete. Wenn Sie möchten, dürfen Sie es gemeinsam mit mir beten: „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine. Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.“ – Amen