Überall in Deutschland gibt es weniger Apotheken. Auch die Apotheke in Grötzingen könnte davon betroffen sein. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach möchte nun eine Apotheke light, in Form einer reduzierten Anwesenheit der Apotheker vor Ort, Zweigstellen und eine stärkere Unterstützung durch pharmazeutisch-technische Angestellte (PTAs). Wie geht es den Apothekerinnen und Apothekern? Was erwartet die Kunden, sofern das Gesetz nächstes Jahr in Kraft tritt? Nachgefragt bei Felix Maertin, Apotheker der Rhein Apotheke in Mühlburg und Beirat der Region Karlsruhe im Landesapothekerverband (LAV).
Grötzingen Aktuell: Das Apothekenreformgesetz bewegt zur Zeit die Gemüter von Ihnen, die in den Apotheken arbeiten. „Apotheke ohne Apotheker“, acht Stunden nur pro Woche, in denen die Apotheker als Fachkraft vor Ort sein sollen, abgesehen von Umverteilungen, sind nur ein paar Stichworte innerhalb der Änderungen. Was davon ärgert Sie aktuell am meisten?
Felix Maertin: Die Apotheke als tragende Säule wird in unserem Gesundheitssystem gar nicht so sehr wahrgenommen. Die Beratung dort ist für die Kundinnen und Kunden sogar kostenlos. Die Apotheken stehen unter so hohem wirtschaftlichem Druck, dass wir von unnötigen Zusatzverkäufen nicht immer abraten können - einfach nur, um Umsätze zu generieren. Uns wird die Unabhängigkeit in der Beratung genommen!
GA: Worin drückt sich dieser Druck aus?
Maertin: In den letzten Lebensmonaten eines Menschen gehen die Kosten maßlos durch die Decke, ohne jede Regulation. Wenn es aber um die Basisversorgung geht, wird jeder Cent umgedreht.
GA: Warum?
Maertin: Die Apotheker arbeiten hocheffizient mit einem Kostenanteil von 1,9 Prozent. Der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach verspricht sich da mehr Einsparungen. Aber dann geht es eher in Richtung England und deren Scoring-System, dank dem die Menschen über ein Jahr lang auf einen Arzt-Termin warten müssen. Andererseits muss man dem klar Einhalt gebieten, dass manche Menschen meinen, jede Woche zum Arzt gehen zu müssen, gerade auch zu den Notdiensten, die dadurch überlastet sind.
GA: Wie hat man versucht, das in den Griff zu bekommen?
Maertin: Das wollte man mit einer Gebühr von 2,50 Euro für den Notfall, aber das waren Preise von vor 20 Jahren. Das passt gar nicht mehr zum Haushalt und der Inflation. Auch die Menschen müssen besser für sich sorgen. Sie sollten eine Hausapotheke führen. Wenn man zum Beispiel wegen einer verstopften Nase nicht schlafen kann und meint, deswegen zum Notarzt gehen zu müssen, sollte man stattdessen immer ein Nasenspray zu Hause haben. Wenn man schon zwei Wochen Rückenschmerzen hat, sollte man früher zum Arzt gehen anstatt spontan zu den Notdiensten und Notärzten. Als Apothekerinnen und Apotheker übernehmen wir eine wichtige Lotsenfunktion.
GA: Worin besteht diese?
Maertin: Die Menschen kommen zu uns und fragen uns um Rat. Wir sagen dann, ob sie zum Notdienst müssen oder zum Hausarzt gehen sollten. Nun möchte Karl Lauterbach, dass Apotheken und Notdienste zu Notfallzentren zusammengelegt werden. Da gehen die Leute dann eher zu denen als zu den Apotheken. Das ist aber auch die teuerste Versorgungsform.
Wir schützen das System vor unnötigen Kosten und einer Überlastung.
GA: Wie finden Sie persönlich das Modell „Apotheke ohne Apotheker“?
Maertin: (So meinte ich es in jedem Fall nicht, das trifft es eher) Das Modell stellt für mich einen kopflosen Versuch dar, die Apotheken zu retten, ohne Geld auszugeben. Auf den 1. Blick könnte man meinen, das wird doch auch helfen. Der Teufel liegt aber im Detail: Solange die Berufe in der Apotheke 20-30 Prozent unter anderen gleichwertigen Berufen aus anderen Branchen liegen, finden wir keine Fachkräfte. Besser bezahlen können wir nicht, denn der Staat legt unsere Vergütung für über 85 Prozent unseres Umsatzes fest. Apotheken ohne Apotheker bedeuten eine Zwei-Klassenmedizin. Starke Schmerzmittel, individuelle Rezepturen, Drogenersatztherapien, Impfungen, Medikationsanalysen und vieles mehr gibt es dann nicht mehr. Wollen die Menschen das?
GA: Wie ist diese Idee überhaupt entstanden?
Maertin: Lauterbach sieht das Apothekensterben und wollte mit dem Modell diesem entgegenkommen durch die PTAs, damit die Apotheken weiterbetrieben werden oder die Apotheker Zweigapotheken aufbauen und leiten können. Bei diesen kann es sein, dass diese unter Umständen drei Stunden entfernt liegen. Eine PTA darf Medikamente nur unter Aufsicht ausgeben. Die Apothekerin bzw. der Apotheker hat stets einen Blick auf die Abgaben und kann bei Problemen schnell helfen. Dies geschieht dutzendfach am Tag. In einer Light-Apotheke fehlt diese Qualifikation, deshalb nennt man es polemisch eine reine Abgabestelle. Marvi und Lauterbach freuen sich über die Apotheke light, eine reduzierte Apotheke, weil Fachkräfte fehlen und die Apotheke so überleben kann. Der Beruf wird dadurch aber nicht attraktiv gemacht. Es gibt zwar genug Neuausbildungen, aber diese gehen dann woanders hin. Möglicherweise ist es wie auch bei anderen Dingen so, dass man erst merkt, was man an der Apotheke hat, wenn sie nicht mehr da ist. Gerade alte Menschen brauchen die Apotheke um die Ecke. Und die Babyboomer gehen erst jetzt in Rente …
GA: Was halten Sie von Künstlicher Intelligenz bzw. Digitalisierung innerhalb der Behandlung von Patienten?
Maertin: Bei Docdirekt kann man mit einem Arzt über Videotelefonie sprechen und sich auch Medikamente verschreiben lassen. Ich wäre aber auch dafür, dass wir Apothekerinnen und Apotheker im Notfall bzw. bei geschlossenen Arztpraxen verschreibungspflichtige Medikamente abgeben können, auf Selbstzahlerleistung, wenn es sich um ein Folgerezept handelt. Anschließend kann es dann ja wieder der Arzt verschreiben.
GA: Wie fühlen Sie sich mit Ihren Sorgen und Nöten aktuell durch die Politik vertreten?
Maertin: Die Abda, die Apothekenvertretung, bringt die wirtschaftlichen Vorschläge an die Politik und vertritt diese. Für die Apotheker ist es wichtig, dass sie sehen, dass etwas passiert und sie wahrgenommen werden. Es ist ganz viel Frust da und eine mangelnde Wertschätzung. Lauterbach schätzt die Leistung der Apotheken nicht. In den Coronajahren haben die Apotheken Zusatzfunktionen gehabt und natürlich mehr verdient. So sollte es ja auch sein, wenn mehr Arbeit geleistet wird. Die Apotheker merken, dass Lauterbach etwas anderes denkt, als er macht. Zum Beispiel hat er die Risiken der Corona-Impfung anfangs komplett geleugnet. Er korrigierte sich zwar später, sprach aber wieder nicht offen über schwere Nebenwirkungen, die in sehr seltenen Fällen auftreten können. Das Schlimmste war aber für mich: Diejenigen, die sich für die Solidargemeinschaft haben impfen lassen, wurden mit ihren Impfschäden allein gelassen. Die Politik hatte uns hier ganz klar versprochen, für diese Menschen da zu sein. Insgesamt ist das Verhältnis zu den Entscheidern und Mitarbeitern, gerade im Gesundheitsausschuss, nicht zufriedenstellend. Die Politiker vor Ort wie Nicolas Zippelius setzen sich hingegen teilweise sehr stark für unsere Interessen ein.
GA: Wie haben Ihre Kundinnen und Kunden bisher auf die Reformbestrebungen reagiert?
Maertin: Wir führen immer Gespräche. Zum Beispiel Menschen mit einer Drogenersatztherapie hätten nach der Reform weniger Apotheken, in denen sie ihre Therapie erhalten können. Es würde sich zentralisieren auf spezialisierte Apotheken und die Versorgung erheblich verkomplizieren für die Patienten. Bei uns in der Apotheke fühlen sie sich integriert und sind es auch. Bei einer Zentralisierung würden sie ein Stigmata erfahren und unter Umständen wieder rückfällig werden. Als Gesellschaft wollen wir doch, dass diese integriert sind, arbeiten gehen können und ein Teil unserer Gemeinschaft sind. Die Leute möchten einen menschlichen Ansprechpartner, der sie ernst nimmt, der Zeit für sie hat. Viele, gerade ältere Menschen, sind sehr einsam. Für sie bieten wir zum Beispiel die „bewegte Apotheke“ an. Hier wird man angeleitet durch Bewegungen, Spazieren gehen, Gemeinschaft erfahren etc.
GA: Sehen Sie die Patientenversorgung weiterhin gewährleistet?
Maertin: Nicht in der Breite, denn nicht jeder kann dann sofort und unkompliziert Betäubungs- oder Schmerzmittel erhalten. Je nachdem, an welcher Stelle man sich befindet, bekommt man mehr oder weniger Dienstleistungen. Die ADHs-Therapie, die auch zu den Betäubungsmitteln zählt, kann man noch planen, die Versorgung von schwerkranken Menschen, die dringend eine Schmerztherapie benötigen, nicht. Es gibt dann eine Zwei-Klassenmedizin.
GA: Fach- und Hausärzte haben auch immer weniger Zeit. Die Apothekerin oder der Apotheker sind da meiner Erfahrung nach immer eine gute Alternative gewesen. An wen kann sich die Patientin oder der Patient in Zukunft wenden, wenn Sie weniger vor Ort sein sollen?
Maertin: Je nachdem, wo man wohnt, hat man Pech oder Glück. Man kann nicht überall hingehen und hochwertig versorgt werden.
GA: Welche Forderungen und Wünsche haben Sie nun?
Maertin: Es ist nicht alles katastrophal. Es gibt auch gute Vorschläge. Auch die Abda sagt, dass man eine Reformierung in den Apotheken braucht. Ich bin für eine breitere Aufstellung in den Apotheken, sodass wir zum Beispiel mehr Tot-Impfstoffe impfen dürfen, wie z. B. FSME. Dann wäre die Durchimpfungsrate höher. Das Impfen ist aber eine Dienstleistung, die kaum kostendeckend ist. Wir subventionieren diese über unser Packungshonorar, wie viele andere Dinge, egal ob Rezepturen, Importe für schwer erhältliche Arzneimittel oder die aufwändige Versorgung von Tierarzneimitteln.
GA: Was erwarten Sie von der Kundschaft bzw. der Bevölkerung?
Maertin: Die Patienten sollen auf ihre gewählten Vertreterinnen und Vertreter in der Politik zugehen und klar sagen, wie diese sich eine Gesundheitsversorgung vorstellen. Sollen Apotheken vor Ort hiervon ein Teil sein, oder kann man darauf verzichten? Wer soll die Lücke füllen? Der Versandhandel möchte keine komplexen Aufgaben wie die Apotheke vor Ort übernehmen. Hier geht es um Rosinenpickerei. Wenig Aufwand, viel Ertrag, der Mensch spielt dabei keine Rolle. Rufen Sie doch mal an und lassen sich beraten. Besuchen Sie eine Versandapotheke im Notdienst, lassen Sie sich dort eine Rezeptur herstellen oder sich impfen. All das erhalten Sie dort nicht. Diese müssen nämlich Renditen erwirtschaften für ihre Anleger. Und das Absurde: Seit Jahren schreiben diese rote Zahlen. Kein Cent wird dort verdient. Man holt sich Marktanteile und versucht, die Struktur vor Ort zu zerstören. Die Anleger wollen aber ihr Geld zurück. Die Kosten werden dann erst so richtig explodieren, wenn wir die Liberalisierung im Apothekenwesen haben. Es gibt zu viele Beispiele aus dem Ausland.
GA: Was hat das für Konsequenzen?
Maertin: Die unabhängige Beratung von der selbstverantwortlich inhabergeführten Apotheke vor Ort geht verloren. Es geht nur noch um Umsatz, Zusatzverkäufe und Einsparungen an unwirtschaftlichen Leistungen. Medikamente werden dann behandelt wie Schuhe oder andere Dinge, aber deren Abgabe wird nicht mehr pflichtbewusst kontrolliert. Die Versandapotheken aus Holland werden z. B. vom holländischen Staat nicht kontrolliert, denn diese versenden ausschließlich an Deutschland. Deutsche Behörden sagen aber, sie haben kein Recht dazu, in Holland zu kontrollieren. Also schaut niemand auf deren Treiben. Jedes Land in der EU kann seine eigene Gesundheitspolitik machen. Es gibt das Versandhandelsverbot in anderen europäischen Ländern, aber Deutschland möchte die Internetapotheken als Akteure nicht verbieten.
GA: Warum?
Maertin: Durch das Apothekensterben wird der Versandhandel ein Lückenfüller; durch fehlende Kontrollen aber auch gefährlicher. Allein die Lagerung und der Versand von Arzneimitteln erfolgt willkürlich. Wissen sie, wie heiß es im Sommer in einem Zustellerfahrzeug werden kann? Arzneimittel werden in der Apotheke stets unter 25 Grad gelagert. Dies wird dokumentiert und von den Behörden auch kontrolliert. Warum gilt das nicht für alle? Die Krankenkassen müssen sparen. Die Apotheke light hilft da, um das System billig zu halten. Deswegen sind diese große Verfechter der Reform. Sie müssen dann ihre eigenen Ausgaben in der Verwaltung nicht anpassen. Diese kosten das System nämlich doppelt so viel wie die Apotheken, bei weniger Angestellten. Apotheken sind eben effizient.
GA: Was ist nun zu tun?
Maertin: 35 Prozent der Gesamtkosten der gesetzlichen Krankenkassen gehen an die Krankenhäuser. Vielleicht wäre es besser, die Kosten zu verteilen, zu verschieben. Die Politik geht da gar nicht drauf ein, geschweige denn, dass sie mehr Geld ins Gesundheitssystem steckt. Denn das ist die Kernaufgabe der Politik, die komplexen Fragen unseres Gesundheitssystems zu beantworten und für die Zukunft fit zu machen. Nicht nur für deren Legislaturperiode, sondern für die Menschen, die in 20-30 Jahren auf ein funktionierendes Gesundheitssystem angewiesen sind.
Die Fragen stellte Jennifer Warzecha.