Von Brunnen, Burgfräulein und Geistern
Von Irmhild GüntherAuch das Leintal ist so sagenhaft wie das Zabergäu oder auch das Neckartal. Mitunter sind die Sagen sogar verwandt, denn Sagen sind oft Wandersagen, die sich an vielen Orten erzählt wurden. Und weit wandern musste ja eine Sage nicht, wenn sie in unserer Region von einem Tal in das benachbarte Tal wanderte.
So liest man gern im alten Leingartener Heimatbuch von 1982 über die dort einst weitergesprochenen und selten geschriebenen Sagen der Heimat. Es wird dort noch unterschieden zwischen Sagen aus Großgartach und Sagen aus Schluchtern, denn Leingarten besteht seit 1970 aus diesen einst selbstständigen Dorfgemeinschaften. Und Schwaigern im Leintal konnte da gar nicht außen vor bleiben. Nachbarn blieben ja Nachbarn.
„Zwischen Großgartach und Kirchhausen liegt im Wald, heute kaum noch sichtbar, ein Brunnen. Ein Bierbrauer, dem man den Spitzbuben schon an der Nase ansah, fuhr eines Nachts – und wohl nicht mehr ganz nüchtern – diesen Weg mit seinem Pferdefuhrwerk. Als er im Wald vom Wege abkam, fiel er in den selbigen Brunnen, und so hatte sein leichtsinniges Leben ein Ende. Der Geist des Bierbrauers geht seitdem im Kirchhausener Wald umher, denn er kann wegen seines liederlichen Lebenswandels keine Ruhe finden.“ Es heißt dann noch, dort gehen viele umher und er muss sich nur vor den Büchsen der Jäger in Acht nehmen.
Nun gibt es diese Sage auch im Zabergäu, oder eigentlich muss man sagen im Neckartal, denn Nordhausen lag einmal am Neckar und es dreht sich um die Sage vom Fuhrmannsbaum in Nordheim: In der Nacht des Heiligen Abends war es kalt und regnerisch, also ungemütlich für einen Fuhrmann, der noch unterwegs war. Auf dem alten Salzweg, der von Schwäbisch Hall über Heilbronn nach Bönnigheim und Bietigheim ging, hatte sich schon so manches Fuhrwerk auf den Wannenberg hinaufgequält. Es ging also gruselig zu in jener Nacht. Es fing schon an zu dunkeln, da fuhr ein Fuhrwerk auf den eingeweichten Wegen durch Nordheim, um eine Fuhre Wein nach Bietigheim zu bringen. Das Gespann gelangte ins Breibachtal, vorbei an einem tiefen, dunklen See. Das Fuhrwerk befindet sich in der Hausener Hohle, die Pferde können kaum noch, die Peitsche knallt, der Fuhrmann fluchte, die Pferde kamen ins Zittern, der Wagen kam ins Gleiten und riss die Pferde rückwärts mit. Tiere, Mann und Wagen versanken im See. Einen Baum dort oben auf der Wannenberghöhe nannte man fortan den Fuhrmannsbaum.
Dann gibt es auch den Kindlesbrunnen hier und dort. Er befindet sich in Quellgebieten, die ehemals Feuchtgebiete waren und deshalb fanden Störche hier viele Frösche. Wenn sie die zappelnden Tiere im Schnabel davontransportierten, sah das aus wie strampelnde Babys. Man erzählte den Kindern, dass hier die kleineren Geschwister herkommen. Und so erzählt die Großgartacher Sage: „In ganz alter Zeit holten die Großgartacher ihre Kinder aus dem Kindlesbrunnen. Dieser Brunnen liegt im Gebiet Rosenberger, hinter dem Feuerwehrhaus und hat eine Wasserfläche mit einem Quadratmeter. Leider konnte aus dem Brunnen der Bedarf an kleinen Kindern nicht mehr gedeckt werden, und deshalb ersann man modernere Formen und beauftragte schon vor vielen Jahren die herumfliegenden Störche mit der wichtigen Aufgabe. Sonntagskinder sollen aber angeblich noch ab und zu aus dem Kindlesbrunnen geholt werden.“
Bei Sagen aus Schluchtern gibt es auch wie im Zabergäu die vom Burgfräulein oder Herrenwaldfräle. Es geistert auf dem Heuchelberg, der ja die Grenzlinie zwischen Zabergäu und Leintal ist. Kein Wunder, dass sich Geister und andere Gestalten nicht an die kommunalpolitischen Grenzen hielten. Es ähneln sich aber nicht nur die Gestalten, sondern auch ihre Gewohnheiten. So wandelt General Hopp aus dem 30-jährigen Krieg zur Strafe für seine Untaten in unserer Region in Großgartach umher und trägt seinen Kopf unter dem Arm. Das tut im Zabergäu auch das Oppele. Es geht die alte Kürnbacher Steige ins Leonbronner Pfarrhaus. Dort macht es sich ans Schuheputzen, muss aber dazu seinen Kopf irgendwo ablegen, um beide Hände frei zu haben. Der Hoppegraben im Leintal soll sich als Adresse aber nicht auf jenen Hoppe beziehen, sondern auf das Reiten wie im früheren Kindervers von „Hoppe, hoppe, Reiter …“. Ein Reiter ohne Kopf war auch im Leintal der berüchtigte General Melac aus Frankreich, der in unseren beiden Tälern die Felder und Häuser niederbrannte. Hier wie da gibt es auch das Klopferle, das sich an den Weinfässern herumtreibt und dafür sorgt, dass der Wein im neuen Jahr gut wird.
Interessant ist, dass die neuere Technik in den Sagen aus dem Leintal vorkommt. So ist General Hoppe nicht sichtbar, wenn die Straßenbeleuchtung an ist. Und mancher Geist, welcher Herkunft auch immer, geht auch über Bahngleise dort. Das kommt in den Sagen aus dem Zabergäu nicht vor, die ja Anfang des 20. Jahrhunderts von Theodor Bolay gesammelt worden sind. Die Großmütter seiner Schüler, die alle Sagen ihren Enkelinnen und Enkeln erzählen sollten, ordneten die technischen Dinge nicht in die Welt der Sagen ein. Denn eine Bahn gab es da auch schon im Zabergäu – allerdings eine Schmalspurbahn. Aber das Leintal erhielt schon 1878 ein „richtiges“ Gleis zwei Jahrzehnte früher. Aus dieser Zeit müssen die Nacherzähler der Sagen des Heimatbuches von 1982 sein. Und jeder Nacherzähler – ob Großmutter, Lehrer oder Journalist – macht die eine oder andere Nebensache dazu, weil sie eine Selbstverständlichkeit seiner Epoche ist.