Aufgelesen. Petra Reategui: Hofmaler

Heimatlos, sprachlos und Künstler in Karlsruhe Was ist ein Nomadenjunge aus dem Volk der Kalmücken? Für Zarin Katharina II. ein nettes Geschenk an...

Heimatlos, sprachlos und Künstler in Karlsruhe

Was ist ein Nomadenjunge aus dem Volk der Kalmücken? Für Zarin Katharina II. ein nettes Geschenk an ihre deutsche Verwandtschaft. Für Johann Wolfgang von Goethe ein Ding, das sich ausgestopft gut in einem Naturalienkabinett machen würde.

Für den Züricher Schriftsteller Johann Caspar Lavater ist das jemand mit einem „missproportionierten Schädel“ und, deshalb, geil, diebisch und rachgierig. Für die Mutter ist es ihr Sohn, ihr Kind, das sie, als es ihr entrissen und entführt wird, mit einem langen, schmerzerfüllten, verzweifelten Schrei festhalten will. Für Feodor Ivannoff ist es ein Leben um diesen Schrei herum.

Rassismus pur

Er ist mit diesen rassistischen Urteilen konfrontiert und hat den Schrei immer im Ohr. Zumindest im Buch „Hofmaler. Das gestohlene Leben des Feodor Ivannoff, genannt Kalmück“ von Petra Reategui. Hier zieht sich dieser Schrei wie ein roter Faden durch das Leben von Feodor aus dem westmongolischen und buddhistischen Volk der Kalmücken. Die Kalmücken leben nördlich von Georgien am Kaspischen Meer.

Vom Markgrafen finanziert

Feodor Ivannoff, wie er sich selbst nennt, wird um etwa 1767 vermutlich nahe der russisch-mongolischen Grenze geboren. Um 1770 entführen ihn Kosaken nach Petersburg. Über verschiedene Stationen gelangt er an den Karlsruher Hof. Dort wird sein künstlerisches Talent erkannt. Markgraf Karl Friedrich finanziert ihm eine gute Schulbildung. Später ermöglicht ihm der Hof künstlerische Studien, unter anderem in Rom. Feodor stirbt 1832 in Karlsruhe.

Ein Leben auf 330 Seiten

Auf insgesamt 330 Seiten beschreibt Petra Reategui sein Leben. Auf 70 weiteren stellt sie die Quellen, mit denen sie gearbeitet hat, Begriffe und die wichtigsten Namen zusammen. Hunderte sind das insgesamt. Der Autorin ist es mit Riesenaufwand gelungen, Geschichtliches darzustellen. Immer wieder begegnen wir in dieser wahren Geschichte Ereignissen, die tatsächlich stattgefunden haben: Der britische Lord Elgin lässt die Marmorreliefs des Parthenon-Tempels der Akropolis abschlagen und nach London verschiffen. Die Französische Revolution führt zu marodierenden Banden und Kämpfen auch in Rom. Feodor Ivannoff malt Bilder in der von Weinbrenner geplanten Stadtkirche in Karlsruhe. Noch heute wird in der Mongolei Shagai, ein Würfelspiel um Kamel, Schaf, Ziege und Pferd mit Schafknöchelchen, gespielt, das auch Feodor kennt.

Erfunden

Personen, die tatsächlich gelebt haben und mit Feodor in Kontakt waren, nennt die Autorin beim Namen. Erfundene Nebenfiguren bleiben namenlos. „So könnte es gewesen sein“, schreibt sie.

Einfühlsamer Rückblick

Wir begleiten Feodor in seinen letzten Jahren und in Rückblicken durch sein ganzes Leben. Alle wichtigen Stationen, soweit belegbar, sind dabei, seine Lehrer, Studienjahre in Rom, Zeichenaufträge im damals türkischen Athen, Jahre in London und Paris, seine Freundschaft mit Friedrich Weinbrenner und seine Hofmaler-Zeit. Das Wesentliche ist jedoch, wie Petra Reategui es schafft, sich aus ihren Quellen behutsam in Feodor einzufühlen. Denn obwohl er als Künstler erfolgreich war und für einen Hofmaler gut und sicher verdiente, fühlt er sich als ein Namen-, Heimat- und Sprachloser. Denn er kennt seine Muttersprache nicht. Er weiß nicht genau, wo er herkommt. Er ist, obwohl geachtet, ein Fremder. Vieles, was er fühlt, fühlen Fremde auch heute. So ist „Hofmaler“ nicht nur ein lesenswertes, sondern auch ein aktuelles Buch. (rist)

Info:

Petra Reategui: „Hofmaler. Das gestohlene Leben des Feodor Ivannoff genannt Kalmück“, Romanbiografie, Triglyph Verlag, Bad Saulgau, 400 Seiten, mit 16 farbigen Bildtafeln, ISBN: 978-3-944258-07-2, Verkauf über petra-reategui.de, 15 Euro plus Porto

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Ausgabe 32/2024
von Redaktion Nussbaum
09.08.2024
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