Fast eineinhalb Jahre lang war es still im traditionsreichen Café Bechtle im Herzen von Bad Wildbad. Doch seit Mitte Mai duftet es wieder nach Kuchen, klirren Tassen in der Sonne: Alona Lobyntseva hat das Café neu eröffnet. Die gelernte Köchin aus Kiew bringt mit viel Engagement, Charme und Unterstützung ihrer Familie neues Leben in das altehrwürdige Haus an der Wilhelmstraße.
Ein Café erwacht zu neuem Leben
Seit dem 12. Mai ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Unterstützt wird die Pächterin von ihrer Freundin Julia Natalushko, ebenfalls aus Kiew. Die junge Frau schreibt gerade ihre Diplomarbeit im Fach Restaurant-Management – und kellnert mit Elan und Freundlichkeit. „Die ersten Tage sind gut gelaufen“, sagt Lobyntseva. Am Eröffnungstag war der Andrang so groß, dass das Team ins Schwitzen kam – nicht nur im Café selbst, sondern auch auf der Terrasse und beim Straßenverkauf.
Kuchenvielfalt mit internationalem Flair
Appetitlich aufgereiht in der gläsernen Theke locken rund zehn Sorten Kuchen: Zwetschgen-, Heidelbeer-Pudding- und Birnen-Joghurt-Kuchen gehören ebenso dazu wie die klassische Schwarzwälder Kirschtorte oder Erdbeerkuchen. Geliefert werden die Köstlichkeiten von einem Fachbetrieb. Ergänzt wird das Angebot durch ukrainische Süßspeisen – und bei entsprechender Entwicklung sollen auch herzhafte Gerichte folgen: Suppen, Maultaschen und Spezialitäten aus der Heimat der Betreiberin sind geplant.
Musik als Teil des Konzepts
Schon zur Eröffnung sorgte der ukrainische Gitarrist Pavlo für Stimmung. Auch künftig soll Musik ein Teil des Café-Erlebnisses bleiben – geplant, spontan oder einfach als Straßenmusik vor der Tür. So wird aus einem Cafébesuch ein kleines kulturelles Ereignis.
Eine Familie wagt den Neuanfang
Alona Lobyntseva kam vor drei Jahren mit ihrer damals einjährigen Tochter nach Deutschland, geflohen vor dem Krieg in der Ukraine. In Bad Wildbad fand sie eine Wohnung und eröffnete ein Nagelstudio am Strauberg. Inzwischen lebt auch ihr Mann bei ihr. Nach zwei Jahren Kriegseinsatz bei Charkiw durfte er mit 60 Jahren ausreisen. Auch die Eltern leben inzwischen mit in der Bäderstadt und unterstützen im Alltag wie im Café.
Wichtige Hilfe im Hintergrund
Am Wochenende hilft Freundin Irinia aus Stuttgart mit. Sie stammt aus Kasachstan, lebt seit rund 15 Jahren in Deutschland, spricht fließend Deutsch und Russisch – und kennt sich in der Gastronomie aus. „Aus dem Nichts sind die beiden Frauen hier gestartet“, sagt sie. Das verdiene Unterstützung – mit Rat, Tat und ganz praktischem Einsatz.
Karl-Friedrich Bechtle, der das Café 34 Jahre lang führte, hatte den Traditionsbetrieb im November 2023 mangels Nachfolger geschlossen. Nun freut er sich über die Wiedereröffnung – und steht Lobyntseva mit Lieferantenkontakten, Ratschlägen und Erfahrung zur Seite. „Wir haben in vielen Dingen einen anderen Ansatz“, sagt der 69-Jährige, „aber sie ist sehr rührig und kümmert sich um vieles – das ist schön zu sehen.“
Ein Haus mit Geschichte
Das Gebäude an der Wilhelmstraße ist ein Stück Stadtgeschichte. Nach dem großen Stadtbrand 1742 erbaut, ist es seit jeher im Besitz der Familie Bechtle. 1907 gründete Urgroßvater Theodor Bechtle die erste Bäckerei, aus der sich über eine Weinstube das Café entwickelte. Die kunstvollen Buntglasfenster zeugen noch heute von dieser Zeit. Ab 1959 führten Karl Bechtle und seine Frau Elisabeth das Haus weiter – sie entwarf auch den Schriftzug über der Tür, der noch heute dort prangt.
Während unten wieder Kaffee und Kuchen serviert werden, ist das Obergeschoss weiterhin in Bechtles Hand. Dort vermietet er vier Ferienwohnungen und weitere Mieträume.
Und mit Alona Lobyntseva beginnt jetzt ein neues Kapitel im Café Bechtle. Eines, das Geschichte bewahrt und Zukunft gestaltet – mit Herz, Heimat und viel Tatkraft. Wenn auf der Terrasse wieder gelacht, musiziert und geschlemmt wird, wirkt es, als hätte das Café einfach nur kurz geschlafen – und sei jetzt wacher denn je. (mm)