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Kinder & Jugend

Aus der Fülle leben

Was hatte ich als Kind in den 50er-Jahren für ein unbeschwertes, sorgenfreies Leben! Zusammen mit meinem sieben Jahre jüngeren Bruder durfte ich auf...

Was hatte ich als Kind in den 50er-Jahren für ein unbeschwertes, sorgenfreies Leben! Zusammen mit meinem sieben Jahre jüngeren Bruder durfte ich auf dem Lande im damals noch kleinen Waldenserort Perouse aufwachsen. Hier im Grünen, im Wald und auf den Wiesen spielen zu können, das war schon ein ganz besonderes Privileg, das wir Landkinder gut zu nutzen wussten. Unsere Eltern hatten eine Landwirtschaft, und alles, was wir für eine gesunde Ernährung benötigten, bauten wir auf unseren Feldern selbst an. Wir brauchten zu keiner Zeit Hunger leiden. Besonders im Herbst konnten wir aus der großen Fülle von Obst und Gemüse schöpfen und von allem, was Gott uns auf den Feldern und im Garten so reichlich wachsen ließ. Wir Kinder waren selten krank und kannten auch keine Nahrungsergänzungsmittel, denn alles, was wir auf dem Feld roh und ungewaschen verzehrten oder zuhause am Tisch zu essen bekamen, enthielt eine Menge an guten und wertvollen Vitaminen. Unsere Großmutter hatte schwarze Träuble (Johannisbeeren) hinter ihrem Haus und mit Hilfe ihrer alten Wäscheschleuder stellte sie daraus einen köstlichen Saft her. Kartoffeln konnten wir jedes Jahr reichlich ernten, allerdings mussten wir sie damals noch mühsam von Hand auf dem Boden auflesen, was mir und meinem Bruder wenig Spaß machte, dafür aber ein kleines Taschengeld einbrachte.

In unserem kleinen Dorf wurde schon immer Kraut angebaut, und meine Mutter verstand es, daraus ganz köstliche Gerichte zu kochen. Oft gab es Krautwickel oder das gut zubereitete Kehlkraut, auch unter Wirsing bekannt, zum Mittagessen. Wir Kinder liebten auch das bekannte Sauerkraut mit Leberwürsten. Diese stammten von unseren eigenen Schweinen, von denen mein Vater jedes Jahr eines schlachten ließ. Unser Brot ließen wir vom ortsansässigen Bäcker backen, dem wir jede Woche mit unserem Leiterwagen eine große Schüssel Mehl in die Backstube brachten und von dem wir einen Tag später vier fertige Brote abholten. Das Mehl für dieses köstliche Gebäck stammte von unserem selbst angebauten Getreide. Zum Frühstück tranken wir Kinder frische Milch von unseren Kühen, die meine Mutter zweimal am Tag mühsam von Hand gemolken hat. Manchmal mussten wir unsere Tassen in den Stall bringen und die Milch wurde direkt vom Euter da hinein gemolken und noch lauwarm getrunken. Das habe ich in keiner so guten Erinnerung. Dafür erinnere ich mich gerne an die guten Kuchen und Hefezöpfe, die unsere Mutter regelmäßig gebacken hat. Eier mussten wir dafür keine kaufen, unsere stattliche Anzahl an Hühnern versorgte uns reichlich damit. Die Eier aus dem Nest zu holen, das war die Aufgabe von uns Kindern, und ab und zu haben wir schlechte Erfahrungen mit einer brütenden Henne dabei gemacht, die nach unseren kleinen Händen schnappte. Einmal im Jahr kam ein Lastwagen auf unseren Dorfplatz und brachte junge Hühner mit. Mein Vater kaufte meistens ungefähr 10 Stück, und wir trugen sie in einem leeren Kartoffelsack nach Hause. Somit war immer für Legenachwuchs gesorgt.

Gerne erinnere ich mich auch an die Rhabarberzeit. Die rohen, sauren Stängel tauchten wir Kinder in eine Tasse mit reichlich Zucker und haben genussvoll davon abgebissen. Heute ist das nicht mehr vorstellbar, weil man inzwischen weiß, dass man Rhabarber wegen der Gerbsäure nicht roh verzehren soll. Wir haben es unbeschadet überlebt, genauso wie die vielen Walderdbeeren, die wir pflückten und zerdrückt mit Rahm und Zucker liebend gerne gegessen haben. Keiner wusste damals etwas von einem Fuchsbandwurm.

So langsam neigt sich das fruchtbare Jahr dem Ende zu, nun stand noch die Apfelernte auf dem Zeitplan meines Vaters. Diese fand traditionell immer am 1. November statt, weil man an diesem Feiertag sonst nichts anderes auf dem Feld erledigen konnte. Egal, ob es geregnet oder geschneit hat, am 1. November wurden wir Kinder morgens geweckt, um beim Aufsammeln der Äpfel zu helfen. Diese wurden am nächsten Tag in die Mosterei gefahren und Vater brachte uns bald darauf auf dem Traktor-Anhänger einen großen Bottich frisch gepressten Apfelsaft mit nach Hause. Den wertvollen Saft haben wir mit einem Schlauch in Flaschen abgefüllt und mit einem Gummipfropf verschlossen. Mutter hat sie auf dem Herd in einem Kessel erhitzt und haltbar gemacht. Gut 200 Flaschen Apfelsaft konnten wir danach in unseren Vorratsraum im Keller einräumen.

Wenn alle guten Gaben geerntet waren und wir in unserer Waldenserkirche das Erntedankfest gefeiert hatten, konnten wir getrost und dankbar dem kommenden Winter entgegenblicken.

Gudrun Schultheiss

Erscheinung
Stadtnachrichten – Amtsblatt der Stadt Rutesheim
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Ausgabe 42/2025
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