„Ich war eine deutsche Jüdin.''
Senta Luzie und ihre drei Jahre ältere Schwester Irene hatten bis zum frühen Tod ihrer Eltern in Talheim in der Hauptstraße 37 gelebt und kamen dann zu ihrer Großmutter, Emma Bauer, nach Neckarzimmern. Am 22.10.1940 wurden sie, sowie Tante, Großmutter und Großtante, mit 6 500 badischen Juden nach Gurs in Südfrankreich deportiert. Sie wurden in einen ausrangierten Zug gepfercht.
„Wir waren mehr als ein Dutzend Menschen pro Abteil, die Erwachsenen waren auf den Bänken zusammengepresst, die Kinder auf dem Boden, mit den Koffern und Säcken. Unsere Reise dauerte drei Tage. Die SA-Leute befahlen uns, unsere Koffer zu öffnen und nahmen uns alle Wertsachen, Schmuck, Uhren, Fotoapparate und Geld ab. Wir hatten Hunger und Durst. Ich hörte meine Großmutter sagen: Es gibt keinen lieben Gott".
Das Internierungslager Gurs war ursprünglich von den Franzosen für geflüchtete Spanienkämpfer und französische Kommunisten errichtet worden. In den Jahren 1939 - 1943 wurden zusammen mit den badischen und saarländischen Juden dort über 60 000 Menschen interniert. Die Baracken waren primitiv, ohne Licht, ohne Scheiben in den Fensterluken, die katastrophalen sanitären Anlagen waren im Freien, überall Schlamm.
Die Versorgung mit Lebensmitteln wurde nur notdürftig mithilfe des Roten Kreuzes und von jüdischen Organisationen aufrecht gehalten. Viele überstanden den ersten Winter nicht.
Am 6.8.1942 wurden die Juden mit Viehtransportern abgeholt und über Drancy nach Auschwitz gebracht. Senta Luzie und Irene waren von kommunistischen Gefangenen gewarnt worden, nicht einzusteigen und versteckten sich. Ihre Großmutter und Tanten fuhren mit und wurden in Auschwitz ermordet.
Senta Luzie und Irene flüchteten (wie, weiß sie nicht mehr genau) nach Vic-sur Cere bei Aurillac.
Hier wurden sie von Pfarrer Alexandre Glasberg mit 40 anderen jüdischen Mädchen aus Gurs aufgenommen. Beim Einmarsch der Deutschen im November 1942 wurden sie in einem Nonnenkloster in Aurillac versteckt. Nach 6 Monaten verließ Senta Luzie das sichere Versteck und schloss sich, mit einem neuen Pass ausgestattet, unter dem Namen Suzanne Laurent, geboren im Elsass, dem kommunistischen Widerstand an.
Ihre Schwester Irene blieb noch in Vic-sur-Cere. Senta Luzie kam über Lyon und Grenoble nach Paris. Sie heiratete den Widerstandskämpfer George Victorovitch. (1956 nach dem Einmarsch der Russen in Ungarn trennte er sich enttäuscht von der kommunistischen Partei.)
Das Paar hatte zwei Kinder. „Heute habe ich vier Enkelkinder, ich hätte kein schöneres Geschenk bekommen können. Der Älteste studierte in Heidelberg. Er spricht manchmal Deutsch mit mir, und ich antworte ihm mit meinem württembergischen Akzent. Es tut noch weh, aber die Worte fallen mir wieder ein."
Senta Luzie starb 2017.
Ihre Schwester Irene verheiratete Galim zog nach Israel an den See Genezareth.
2016 ist im Service-Center der Gemeinde Talheim der Antrag eines israelischen Anwalts eingegangen, der für seinen Klienten Haim Galim um ein Geburtszeugnis von dessen Mutter Irene Galim geb. Manasse, bat. Sein Klient überlege, sich nach Artikel 116 GG in Deutschland niederzulassen.
Dietrich Gaa hat sofort mit Haim Galim Kontakt aufgenommen, um Näheres über Irene und Senta Luzie zu erfahren. Dieser hat auch geantwortet, er wisse zwar, dass seine Eltern Überlebende des Holocaust gewesen seien, es sei aber in der Familie nie darüber gesprochen worden. HG