Entwurf, Stand 02.10.17 /04.10.17
Im zweitletzten Aushang der Gemeinde Talheim im Dritten Reich, am 16. März, 1945, wurde ein „Dienstbefehl des Deutschen Volkssturms“ veröffentlicht. Dort heißt es: „Am kommenden Sonntag, den 18. März 1945, vormittags 8 Uhr haben alle einheimischen und von auswärts zugezogenen Volkssturm pflichtigen vor der Gemeindehalle anzutreten. Das Erscheinen eines jeden Volkssturmmanns ist selbstverständliche Pflicht und es wird erwartet, dass auch nicht einer fehlt, denn er hätte die Folgen hieraus selbst zu tragen.“ - Unterschrieben war der Aufruf vom Ortsgruppenleiter der NSDAP und dem stellvertretenden Bürgermeister.
Volkssturmpflichtig waren alle nicht wehrpflichtigen Jahrgänge von 1881 bis 1928, also alle Männer über 50 und Jugendliche ab dem 16. Lebensjahr! Wie viele dies in Talheim waren, lässt sich kaum mehr herausfinden. Was auf jeden Fall sicher belegt ist, ist, dass sich unter anderem Edmund Kinzinger (*12.01.1928), Lothar Seitz (*19.03.1930) und Alexander Lang (*09.06.1928) gemeldet haben. Sie waren begeisterte Hitlerjungen und ließen sich auch von ihren Eltern nicht abhalten, sich zu stellen. Alexander Lang wurde nicht nur von seiner Mutter eindringlich, sondern auch vom Landwirt Wilhelm Waglöhner nachdrücklich gebeten und aufgefordert, nicht mehr in den Krieg zu ziehen. Es nützte nichts. Alex Lang war so überzeugt, dass er dem ihn warnenden Wilhelm Waglöhner drohte, „wenn er ihn weiter bedränge, würde er ihn anzeigen.“ (Aussage Lisa Kraus, 02.10.17) Alle drei sind laut den Unterlagen im Gemeindearchiv am 14.4.1945 bei Obergruppenbach gefallen. Laut Untergruppenbacher Unterlagen wurde mit ihnen auch der Frankenbacher Volkssturmmann Georg Schmidt, Hauptlehrer und Jahrgang 1893, am 14.4.45 erschossen.
Wie die Nachricht von ihrem Tod Talheim erreichte, ist nicht mehr zu klären. Der gefallene Alexander Lang wurde bereits zwei Tage später, am 16.4., von seinen Eltern in Obergruppenbach abgeholt und im Leiterwagen nach Talheim verbracht. Dort wurde er am 17.4. um 13 Uhr auf dem katholischen Friedhof beerdigt. Familie August Lang hatte bereits 1943 den Verlust ihres ältesten Sohns Eugen, gefallen in Russland, zu verschmerzen. 2 weitere Söhne waren zum Zeitpunkt von Alexanders Tod ebenfalls noch im Felde, von denen die Eltern nicht wussten, wo sie waren, und was aus ihnen geworden war.
Mit Alexander Lang sind Edmund Kinzinger, einziger Sohn von Schreiner Emil Kinzinger und Lothar Seitz gefallen. Wobei der 15-jährige Hitlerjunge Seitz gar nicht zu den Volkssturmpflichtigen gehörte! Von Edmund Kinzinger weiß man, dass er ebenfalls mit einem Handkarren aus Obergruppenbach abgeholt wurde. Er und Lothar Seitz sind aber laut Talheimer Unterlagen erst am 27. April, also fast 14 Tage nach ihrem Tode auf dem evangelischen Friedhof beerdigt worden. Wie und warum es zu dieser Zeitspanne kam, lässt sich weder aus den Unterlagen klären, noch können Zeitzeugen darüber Auskunft geben.
Alle drei sollen laut Zeitzeugen durch Kopfschüsse getötet worden sein, und zwar weil sie in ihrer Unerfahrenheit sich aus ihrer Deckung heraus nach dem anrückenden Amerikanern umgeschaut haben sollen. Wo genau die Hitlerjungen gefallen sind, ist selbst aus den Aussagen von Zeitzeugen im Untergruppenbacher Heimatbuch nicht mehr eindeutig zu klären. Vermutlich am Rande des Dombergwaldes westlich von Obergruppenbach, wo sie auch zunächst verscharrt wurden.
Allerdings gab es in Talheim auch die eine oder andere Familie, die die Einberufung ihrer 15- und 16-jährigen Söhne verhinderte, in dem sie sie versteckten. Sie gingen dabei ein großes Risiko ein, entdeckt und bestraft zu werden, zumal zwischen Aufruf zur Stellung im März bis zum Kriegsende am 14. April noch eine lange und schwere Zeit zu überstehen war.
Das Erstaunliche an dieser traurigen Geschichte ist, dass sie nirgends aufgeschrieben wurde und erst 2017 im Zusammenhang mit den Vorarbeiten zu einem Abendspaziergang auf dem katholischen Friedhof entdeckt wurde. Mit Hilfe der Zeitzeugen Maria Lang, Eberhard und Lotte Steiner, sowie Hans Schlag und Lisa Krauss, aber auch dem Untergruppenbacher Heimatforscher Friedrich Eisenmann konnten die Zusammenhänge dankenswerterweise wenigstens in groben Zügen geklärt werden. (633 W) DG, August /Sept 2017