Adler, Ochsen, Krone, Ritter und Löwen, immer hatten Gastwirtschaften einen einprägsamen Namen. Die Namensgebung orientierte sich an der Lebenswelt der damaligen Bevölkerung. So wurden in erster Linie Namen aus der Tierwelt gewählt, besonders, wenn sie noch einen Bezug zur Religion hatten, häufig wurden die vier Evangelisten als Namensgeber herangezogen. Matthäus wird in der christlichen Symbolik ein Engel zugeordnet, Markus ein Löwe, Johannes ein Adler und Lukas ein Stier. Nicht so die ehemalige Bahnhofswirtschaft an der Bahnstrecke Mannheim – Basel in Ubstadt-Weiher, gemarkungsabhängig gehörte sie zu Ubstadt, die zu keiner Zeit einen eigenen Namen hatte.
Die Badische Hauptbahn ist eine zwischen 1840 und 1863 entstandene Eisenbahnstrecke, die vom Großherzogtum Baden als eine der ersten deutschen Staatsbahnen erbaut wurde. Am10. April 1843 wurde der Bahnhof Ubstadt als Teil der Badischen Hauptbahn eröffnet. Der Abschnitt zwischen Heidelberg und Bruchsal wurde am selben Tag in Betrieb genommen und der Bahnhof Ubstadt lag an der Strecke.
Dies ermöglichte vielen Menschen aus den dörflichen Gemeinden, in den umliegenden Großstädten wie Mannheim und Karlsruhe Arbeit und Brot zu finden. Entsprechend wurde auch der Bahnhof Ubstadt-Weiher gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer stärker genutzt. Auch die Querung der Bahngleise, die Ortsverbindungsstraße zwischen Ubstadt und Weiher, war eine viel befahrene Straße, führte sie doch weiter in den Kraichgau und nach Bruchsal.
Ein findiger Bürger aus Weiher, dessen Namen leider nicht überliefert ist, entschloss sich daher um 1893, das Gelände westlich der Bahnstrecke Heidelberg – Karlsruhe, an der Durchgangsstraße zwischen Ubstadt und Weiher, in der Weiherer Straße 77, später dann Weiherer Straße 113 bevor es zur Bahnhofstraße 10 wurde, zu erwerben und dort ein großzügiges Gasthaus zu errichten. Als Bahnhofsrestauration, Bahnhofswirtschaft oder „Restraz“ bekannt, war die Gaststätte eine beliebte Anlaufstelle für die hungrigen und durstigen Reisenden der Bahn, aber auch für die Kutschen-, Gespann- und selbstverständlich auch die Zu-Fuß-Reisenden. Außerdem konnten die Fuhrleute ihre Pferde einstellen und übernachten.
Leider verstarb die Ehefrau des uns leider nicht namentlich bekannten Gründers um 1903. Dadurch war er gezwungen, die Gaststätte zu verkaufen und fand in der Familie Wippel einen geeigneten Abnehmer. Gustav Anton Wippel, am 25.10.1864 in Weiher geboren und als Arbeiter bei „Spiegel“ in Mannheim-Waldhof beschäftigt, erwarb zusammen mit seiner Ehefrau Maria Anna geb. Beyer (geboren am 11.1.1869 in Ubstadt) die Gaststätte.
Nachdem Maria 1920 starb, heiratete Gustav Wippel 1924 erneut. Zusammen mit seiner zweiten Ehefrau, Bernhardine geb. Etzkorn (geboren am 24.4.1877 in Weiher) führte er das Lokal bis zu seinem Tod am 10.2.1940. Einige Jahre führte Bernhardine das Lokal noch selbständig weiter, war altersbedingt aber auf der Suche nach einem Pächter oder Käufer.
1950 fand sie in der Familie Alfred Schuler einen Pächter, 1953 erwarb die Familie die Gaststätte dann von Bernhardine Wippel.
Alfred Schuler (1921–1983 in Mannheim), gelernter Metzger und verheiratet mit Helene geb. Herzog aus Weiher (1923–2008), war kurz nach dem Krieg in Weiher beim Gasthaus „Zum goldenen Hirsch“ als Metzger beschäftigt und half der dortigen Wirtin Rosa Bertsch, die Gastwirtschaft in Gang zu halten, da deren Mann Johann, der „Herschwert“, noch in Kriegsgefangenschaft war.
Derart vorbereitet und mit dem Ablauf einer Gastwirtschaft mit Schlachterei vertraut, bot sich für das junge Paar mit ihrem mittlerweile dreijährigen Sohn Horst 1950 die Gelegenheit, die „Bahnhofswirtschaft“ zu pachten. Im Jahr 1953 konnten sie das Anwesen schließlich erwerben und selbständig die Gastwirtschaft mit eigener Schlachtung führen. Das Fleisch und die Wurstwaren wurden zum großen Teil in der Gaststätte verwertet, einiges konnte jedoch auch über den „Ladentisch“ erworben werden.
Von Anfang an war die Küche das Spezialgebiet von Alfred Schuler als Koch. Seine Ausbildung als Metzger befähigte ihn, mit Lebensmitteln und vor allem Fleisch sachgerecht umzugehen und wohlschmeckende Gerichte zuzubereiten. Seine Ehefrau Helene besorgte den Service und den Ausschank. In Spitzenzeiten, wie an Feiertagen oder bei Festen, halfen, wie es damals üblich war, zusätzlich Familienangehörige, aber es waren auch fremde Servicekräfte beschäftigt. Der kleine Sohn Horst war in dieser ersten Zeit häufig bei den Großeltern in Weiher oder in Bruchsal.
Besonders beliebt waren damals Schweinerippchen, Wurstsalat und die legendären „Russischen Eier“. Später kamen dann panierte Schnitzel, Jägerschnitzel und die für den „Schuler“ bekannten Rumpsteaks dazu. Die Gerichte änderten sich mit den finanziellen Möglichkeiten der Besucher der Gaststätte. Vom einfachen Vesper mit Brot wandelten sich die Speisen zu kompletten Hauptmahlzeiten mit Beilagen und Salat.
Das stark frequentierte Gasthaus war zusätzlich für die umliegenden Firmen Anlaufstätte für ihre Feierlichkeiten, wie auch für die der Firma Preuß Gardinen. Unzählige Weihnachtsfeiern, Jubiläen und Firmenfeste wurden in den Gasträumen des „Schulers“ zum Teil bis in die Morgenstunden gefeiert und die Festgäste mit reichlich Essen und Trinken versorgt.
Als besonderen Service bot die Familie Schuler zudem einen Fahrradunterstand an, der von vielen Leuten genutzt wurde, die mit der Bahn zur Arbeit fuhren.
In den 20 Jahren, in denen das Ehepaar Alfred und Helene Schuler die Gastwirtschaft betrieb, fielen umfangreiche Umbaumaßnahmen an. Ständig wurde modernisiert, die Küche renoviert, eine Toilettenanlage eingebaut, die Gasträume erneuert und ein Vorbau als Windschutz angebracht. Nun bot das Wirtshaus für die Gäste 30 Sitzplätze im Gastraum und nochmals 30 Plätze im Nebenzimmer.
Das Ehepaar Schuler betrieb die Gastwirtschaft bis ins Jahr 1972, danach sollte der Sohn Horst, ebenfalls Metzger, das Lokal übernehmen. Da dieser jedoch zu der Zeit eine sehr gute Position in einem Einzelhandelsgroßbetrieb hatte, verpachtete Alfred Schuler die Gastwirtschaft zunächst an Josef Krug, ehemaliger Geschäftsführer des „Wiener Wald“ in Bruchsal. Unter dessen Regie verschlechterte sich jedoch der Geschäftsbetrieb, so dass er nach drei Jahren aufgeben musste.
Weil in der Zwischenzeit Horst Schuler schwer erkrankt war, entschloss sich nach langen Überlegungen schließlich die Schwiegertochter Anita Schuler geb. Adolf (* 1950) aus Weiher dazu, den Wirtschaftsbetrieb als Pächterin zu übernehmen. Zu dieser Zeit gab es keine eigene Schlachterei mehr.
Horst Schuler erlitt 1975 einen schweren Gehirnschlag, lag wochenlang im Koma und musste sich anschließend Schritt für Schritt ins Leben zurückkämpfen. Bis heute ist er in seiner Lebensqualität stark eingeschränkt, hat es aber trotzdem geschafft, die Familie und vor allem seine Ehefrau Anita tatkräftig zu unterstützen.
Anita Schuler begann mit einer kleinen Karte und reagierte auf Wünsche der Kunden. Jetzt waren Salatteller und Appetitteller besonders gefragt. Auch das deftige Holzfällersteak und die gegrillten Hähnchen fanden ihre hungrigen Esser. Ein täglich wechselnder Mittagstisch rundete das Angebot ab. Unterstützt durch den Schwiegervater Alfred konnte Anita den ehemaligen guten Ruf des „Schulers“ schnell wieder aufbauen. Zusammen mit einer Küchenhilfe und unter der Mitwirkung der Familie war der „Schuler“ ab dieser Zeit wieder ein begehrter Anlaufpunkt für die Esser und Trinker.
Mit zwei Ruhetagen, sonntags und montags, und einer Öffnungszeit ab 11.30 Uhr war die junge Wirtin mit den beiden Kindern Jörg (* 1972) und Judith (* 1973) und ihrem schwerbehinderten Mann gut beschäftigt. Aber durch die Mithilfe der gesamten Familie war der Betrieb der Gastwirtschaft möglich. Auch die Kinder waren ab einem gewissen Alter im Betrieb eingespannt.
Die Gäste fühlten sich in der Wirtschaft immer wohl, hier wurden Geschäfte abgeschlossen, Gerüchte verbreitet und Politik gemacht. Am Stammtisch traf sich, was Rang und Namen hatte und aber auch Hinz und Kunz. Man feierte fröhlich die gute Zeit, sich selbst und genoss die Stimmung beim „Schuler“.
Ein offizielles Vereinslokal war der „Schuler“ zwar für keinen Verein, doch trafen sich hier sehr gerne verschiedene Gruppierungen und Stammtische aus Ubstadt, z. B. des Fußballvereins, des Musikvereins und des Gesangvereins sowie des Roten Kreuzes. Und im Jahr 1979 wurde im Nebenzimmer des Gasthauses der Fischerverein Ubstadt-Weiher gegründet. Die Gastleute waren zwar aus Zeitgründen in den Vereinen nicht aktiv, aber die passiven Mitgliedschaften in vielen Vereinen wurden sehr gepflegt und damit das Ehrenamt wertgeschätzt und unterstützt.
Anfangs der 1980er Jahre verkürzte Anita Schuler die Öffnungszeiten und öffnete erst ab 17 Uhr. Befürchtungen, dass die Umleitung der Durchgangsstraße Kunden vertreiben könnte, bewahrheiteten sich nicht. Nach wie vor hatte der „Schuler“ eine gute Frequentierung.
Nachdem die langjährige Küchenhilfe kränklich wurde, beschloss Anita Schuler im Jahr 2003 die Aufgabe der Gastwirtschaft. Nach 27 Geschäftsjahren, die zwar viel Arbeit, aber auch viel Freude machten, endete damit endgültig die Ära „Schuler“.
Die Verkaufsabsichten von Horst Schuler konnten jedoch nicht umgesetzt werden. Daher verpachtete man zunächst die Gastwirtschaft noch, allerdings hatte auch dieser Pächter wenig Erfolg und gab nach zwei Jahren auf.
Nun führten Anita und Horst Schuler mit ihren Kindern Gespräche über die Fortführung bzw. die weitere Nutzung des Anwesens. Sohn Jörg entschied sich, das Anwesen zu übernehmen. Zunächst war geplant, die Gastwirtschaft als Besenwirtschaft weiterzuführen und die oberen Räume des Gebäudes als Wohnung zu nutzen. Aus persönlichen Gründen entschied er sich jedoch während der Umbauphase gegen diese Pläne.
Seit 2006 sind die Räumlichkeiten des ehemaligen „Schuler“ an die Praxis für Podologie von Silke Geiselhardt vermietet. Die Podologie ist ein wichtiger Baustein in der Gesundheitsversorgung, besonders für Menschen mit chronischen Erkrankungen, Durchblutungsstörungen oder Nervenschädigungen, aber auch für alle anderen Erkrankungsformen am Fuß.
Jörg Schuler errichtete für seine Familie im hinteren Bereich des Anwesens ein Einfamilienhaus, das die Familie seit 2016 bewohnt.
Horst und Anita Schuler lebten nach ihrer Verheiratung kurze Zeit in der Wohnung oberhalb der Wirtschaft, seit 1973 wohnen sie, anfangs zusammen mit den Eltern Helene und Alfred Schuler, im Neubau im Häuserweg 18 in Ubstadt.
Autorin: Beate Harder