Die puristischen Werke von Gianni Caravaggio und Johannes Wald bergen ein poetisches Momentum. Zur Ausstellungseröffnung am Samstag, dem 10. Mai, um 18 Uhr sind alle Interessierten herzlich eingeladen.
Johannes Walds Arbeiten
Die Arbeiten von Johannes Wald beschäftigt sich mit den im Unterbewusstsein entstehenden künstlerischen Prozessen und ergründen, wie Gedanken zu Objekten werden. Werke wie untitled (2025), ein Tisch bestehend aus Stahlböcken und einer Platte aus Gips, in deren Oberfläche die Abdrücke zweier Hände eingelassen sind, die auf der Unterseite der Platte wie zwei abstrakte Körper als positives Volumen in den Raum ragen, spielen auf unbewusste Denkprozesse an, die oftmals der künstlerischen Arbeit vorausgehen.
Ähnliche Überlegungen liegen auch den Werken der Serie drawings, words and errant thoughts zu Grunde, deren Ursprungsmaterial die Notizbücher des Künstlers sind, die neben realisierten Entwürfen auch unzählige Ideen und Skizzen enthalten, die verworfen oder eben nicht realisiert werden. Wald schredderte einige, um große Papierbögen aus ihnen zu schöpfen. Andere hängte er in galvanische Bäder, sodass sie von einer Kupferschicht überzogen wurden. Auf diese Weise sind die Inhalte zwar der Lesbarkeit entzogen, doch gleichzeitig zu einer neuen künstlerischen Arbeit materialisiert.
Immer wieder nimmt Johannes Wald auch von seiner künstlerischen Persona Abstand, betrachtet sie von außen und macht sie zu seinem Werkstoff. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Atelier. Der Ort, an dem diese Identität geboren wird und lebt. Davon zeugen drei Videoarbeiten, die allesamt im Studio des Künstlers aufgenommen wurden.
Gleichzeitig sind Johannes Walds Arbeiten aber auch Reflexionen über die Existenzbedingungen der Bildhauerei, die sowohl das Material, formal-ästhetische Überlegungen sowie die historische Dimension des Mediums einbeziehen. So ist beispielsweise ein Spiegel aus der Serie stade du miroir aus dem Glas eines Atelierfensters und dem Silber einer fast 2000 Jahre alten antiken römischen Münze entstanden, die einst ein Relief von Kaiser Vespasian zeigte.
untitled (several attempts at forming an adequate gesture of beauty) (2012), ein bronzener Arm, der an seinen Gelenken beweglich ist, und broken and failed / attempts at forming adequate gestures of beauty (2009 – 2022), ein randvoller Behälter mit verworfenen Körperabgüssen aus Gips, befassen sich mit den antiken Schönheitsidealen, die vor allem in Skulpturen überliefert sind und Jahrhunderte – zwar immer wieder in gewandelter Form – für die Bildhauerei maßgeblich waren.
Gianni Caravaggios Arbeiten
Gianni Caravaggios richtet den Blick den Blick sowohl in die Natur als auch ins Universum, er geht von einer existentiellen Realität seiner Kunst aus. Seine Arbeiten sind Verdichtungen von Naturerfahrungen und Metaphern der kosmischen Ordnung. Young Universe (2014) – ein Konglomerat aus verschieden großen Glaskugeln, das von einem Draht zusammengehalten wird, der den rechten Handumriss des Künstlers nachvollzieht – verbildlicht ein frühes Entwicklungsstadium des Universums und stellt somit jene Singularität dar, welche die gesamte Materie und Energie des Kosmos enthielt, bevor Zeit und Raum existierten und alles, was wir Wirklichkeit nennen. Während diese Version von Young Universe in einer Nische im Hauptgebäude installiert ist, trifft man in der oberen Etage des Oktogons, dem Museumsanbau, auf ein späteres Entwicklungsstadium, in dem sich die Materie weiter ausgebreitet hat und die Glaskugeln um den linken Handumriss des Künstlers verteilt auf dem Boden liegen.
Einsame Reise durch Zeit und Raum (2021) besteht aus einer langen, runden Form aus rosafarbenem Onyx, die an einen Bohrkern erinnert, und die ihre gesamte Länge nach von einer Kerbe durchzogen ist, in der eine rote Azukibohne liegt. Über Jahrmillionen hinweg haben sich Ablagerungen der Sedimente zu diesem Stein verdichtet. Eine Zeitlichkeit, deren Erfassung der menschliche Verstand kaum imstande ist. Die Bohne in ihrer Kerbe kann diese Spanne jedoch überwinden und wir in Gedanken mit ihr.
Unterdessen verweist Zeit rinnt mir durch die Finger (2021), zwei Palmenblätter, eins natürlich, eins in Bronze gegossen, die wie ineinander verhakte Hände erscheinen, auf den Prozess des Vergehens. Denn während das Bronzene bestehen bleibt und wirkt, als sei es ein Fossil, wird das Natürliche in den kommenden Wochen seine grüne Farbe verlieren und vergehen. Eine ähnliche zeitliche Beziehung spielt sich in der Arbeit Melancholie oder transparent (1995) ab, einem dursichtigen Foto, auf dem das Porträt des damals 26-jährigen Künstlers in der Pose der Melancholie zu sehen ist. Sein Kopf ist auf die Hand eines alten Töpfers gestützt, als sei sie die eigene.
Werden wir uns wieder verfehlen? (2024) ist ebenfalls eine Metapher dafür, dass die menschliche Existenz und individuelle Wirklichkeiten schicksalhaft sind. In zwei nebeneinanderliegenden Ausstellungsräumen befinden sich je drei Schlangen, eine aus Aluminium, eine aus weißer Bronze und eine aus Zink. Während sie sich in dem einen Raum gradlinig aufeinander zubewegen, haben sie sich im anderen Raum ganz offensichtlich verpasst und werden ihren Weg um die Welt wiederholen müssen. Ob sie sich dann treffen oder wiederum knapp verfehlen, bleibt der Gedankenwelt jedes einzelnen überlassen.
In Nebel trennt die Sonne vom Horizont (2019) treten die im Titel beschriebenen Phänomene durch eine blaue und eine gelbe Schnur sowie durch einen weißen Alabasterstein in Erscheinung und werden nur so weit evoziert, dass die Vorstellungskraft der Betrachtenden gefragt ist. Die Natur und ihre Kräfte werden so in Gianni Caravaggios Werken zu Manifestationen des Geistes, die sich in der subjektiven Wahrnehmung der Betrachtenden zunächst formen, dann verwirklichen und schlussendlich eine immer neue, individuelle Bedeutung annehmen.
Zu den Künstlern
Gianni Caravaggio (*1968 in Rocca San Giovanni) lebt und arbeitet in Mailand. Nach dem Studium der Philosophie an den Universitäten von Florenz, Mailand und Stuttgart schloss er 1994 sein Studium an der Accademia di Belle Arti di Brera in Mailand ab, wo er derzeit Bildhauerei unterrichtet. Er erhielt 2005 den Castello di Rivoli Preis. Seine Werke wurden in Ausstellungen u.a in der GAM, Turin (2023-2024), im Kunstmuseum Reutlingen/Konkret (2021-2022), im Museo Novecento, Florenz (2018-2019), im Musée d'Art Moderne et Contemporain, Saint-Étienne (2014), im Castello di Rivoli (2006 und 2014), im Kunstverein Frankfurt (2011-2012), in der Collezione Maramotti, Reggio Emilia (2008-2009), sowie im Lenbachhaus, München (2001), gezeigt.
Johannes Wald (*1980 in Sindelfingen) lebt und arbeitet in Berlin. Er hat Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe studiert. Er erhielt 2013 den renommierten Ernst-Rietschel-Preis für Bildhauerei und hatte u.a. Einzelausstellungen in der Kunst-Station Sankt Peter, Köln (2024), im Museum Moderner Kunst – Wörlen / Passau (2022), in der Kunsthalle Bielefeld (2015), im Museum Kurhaus Kleve (2014), im Albertinum, Dresden (2013), sowie dem Einraumhaus in Mannheim (2010).