Berliner? Schneckennudeln? Käsekuchen? Schwarzwälder Kirschtorte? Roggenbrot? Laugengebäck? Krustis? … Alles da, das Sortiment der Bäckerei Zipf entspricht dem einer deutschen Bäckerei. Allerdings: Die Bäckerei Zipf befindet sich im Süden von Gran Canaria.
Dort produzieren die Brüder Oliver Zipf, 56, und Marcus Zipf, 46, deutsche Backwaren. „1982 hat sich unser Vater Hermann nach einem Urlaub dort entschlossen, nach Gran Canaria zu gehen“, erinnern sich die beiden. „Er wollte Brezeln backen und sie am Strand verkaufen.“ Zuvor hatte der Bäcker- und Konditormeister in Ettlingen, einer Großen Kreisstadt südlich von Karlsruhe, in den 1960/70er Jahren die elterliche Bäckerei übernommen und geführt.
In vorzugsweise von Einheimischen bewohnten kleinen Ort El Tablero im Hinterland an den Touristenort Maspalomas findet Hermann Zipf in der Hauptstraße ein geeignetes Haus. Der Brezelverkauf am Strand scheitert an den spanischen Gesetzen, und so beschließt er, es mit einer klassischen Bäckerei mit deutschen Backwaren zu versuchen.
„Wir haben immer darauf geachtet, nicht nur für die Touristen zu produzieren“, erklärt Marcus Zipf. Er war damals sechs Jahre alt, Oliver Zipf war sechzehn. Für Marcus war es völlig normal, mit den Eltern mitzugehen. Er wurde auf Gran Canaria eingeschult und freundete sich schnell mit anderen Kindern an.
Oliver hätte auch in Ettlingen bei den Großeltern bleiben können. Er entschied sich jedoch, nach dem Schulabschluss 1984 nachzukommen – und stand von nun an mit großer Selbstverständlichkeit mehr oder weniger rund um die Uhr in der Backstube und im Betrieb.
„Wir haben am Anfang sehr kämpfen müssen“, erinnert er sich. „Wir konnten kein Spanisch und nichts hat funktioniert.“ Er habe in den ersten drei Jahren so gut wie keine Freizeit und keine Zeit für soziale Kontakte gehabt.
Nach wenigen Jahren entwickelten sich die Umstände so, dass Hermann Zipf die Firma aufgab und mit Marcus nach Deutschland zurückkehrte. Oliver Zipf, inzwischen 21 Jahre alt, übernahm. Die Bäckerei Zipf, sie firmiert noch heute unter diesem Namen, sei, so erklärt Marcus Zipf, eine Sociedad de la responsabilidad limitada unipersonal (S.L.U.), eine Kapitalgesellschaft mit einem Gesellschafter, ähnlich einer deutschen GmbH.
Dem Konzept, fast ausschließlich deutsche Backwaren unter besonderer Berücksichtigung der spanischen Kundschaft zu produzieren, bleibt der neue Betriebsinhaber treu. Er habe weiterhin sehr viel gearbeitet, gleichzeitig eine Familie gegründet und er sei auch sehr erfolgreich gewesen. „Ich wollte das so, und es war schon toll für mich in dem Alter“, sagt er.
Seit 2003 ist auch Marcus Zipf, inzwischen von Beruf Industrie-Elektroniker mit kaufmännischer Zusatzausbildung, wieder in El Tablero. „Ich habe in Ettlingen-Schöllbronn bei meinem Vater gewohnt und fand das als junger Mensch etwas abgelegen“, sagt er. Als Oliver Zipf ihn fragte, ob er nicht Geschäftsführer werden wolle, zögert er nicht. „Mein jüngerer Bruder hatte mir gefehlt und ich wollte ihn wieder in der Nähe haben“, sagt Oliver Zipf.
2001 hatte er eine große Produktionsstätte aus drei Hallen mit Büros, Sozialräumen, Lager, Backstube, Konditorei, Öfen, Gärräumen, Kühlräumen, Verpackungs- und Einzählbereich und kleinem Bäckerladen mit Café-Terrasse angemietet. Alles könnte ganz genau so auch in jeder deutschen Stadt stehen.
Die Verantwortung über die handwerklichen Arbeiten und das Team, das sie teilweise seit Jahrzehnten ausführt, hat Bäckermeister Norman Wilke, 47, aus Berlin. Er landete vor 26 Jahren mehr oder weniger zufällig in der Bäckerei Zipf. „Das Betriebsklima ist toll und ich kann meine Arbeit kreativ tun“, sagt er. „Wir arbeiten auch hier nach den hohen deutschen Bäckereistandards mit Rohstoffen aus Deutschland.“ Tatsächlich sieht die Ware sehr deutsch aus. Nur die Rösche (eine Krusteneigenschaft des Brotes, Anm. d. Red.) sei ein Problem, so Norman Wilke, da oft die Luftfeuchtigkeit hoch oder der Calima-Wüstenwind sehr trocken sei.
Drei eigene Verkaufsstellen und drei Verkaufsstellen mit Café im Franchising-System, alle in Playa del Inglés, hat das Unternehmen inzwischen. Im Hauptgeschäft bei der Backstube seien 80 Prozent der Kundschaft Einheimische, so Marcus Zipf. In den beiden anderen, im Tourismuszentrum gelegen, würden die Waren zu 90 Prozent von den Touristen gekauft.
Beliefert werden viele Wiederverkaufsstellen in der Gastronomie und in Supermärkten zwischen Playa de Mogan, etwa 20 Kilometer im Westen und Las Palmas, etwa 50 Kilometer im Norden. Um 17 Uhr fangen die Bäcker mit der Arbeit an, fast zeitgleich beginnen die Einzähler, und um 3 Uhr kommen die Ausfahrer, um spätestens um 4 Uhr die geschnittenen und verpackten Brote und die halbgebackenen Kleingebäcke zu den Endverkäufern zu bringen.
Einen großen Einschnitt bedeutet auch für die Brüder die Covid-19-Pandemie. „Zwei Jahre lang kamen keine Touristen“, berichtet Marcus Zipf. „Wir mussten viele Mitarbeiter nach Hause schicken.“ Zum Glück hätten diese jedoch staatliche Unterstützung bekommen. „Sehr viel länger hätte es nicht dauern dürfen“, sagt er. Es sei immer unsicherer geworden, wie es weitergehen würde.
Oliver Zipf steht nun nicht mehr in der Backstube. Dennoch bedaure er es, dass er den Beruf des Bäckermeisters niemals formal erlernt habe. „Das würde ich heute anders machen“, sagt er. Wenn nötig, dann könne er jedoch einspringen. Auch Marcus Zipf ist hin und wieder im Einsatz in der Produktion, wie es in Familienbetrieben eben üblich ist. „Wenn ein Fahrer ausfällt, springe ich nachts um 3 Uhr ein“, berichtet er.
Wenn eines seiner Kinder sich entschlösse, in den Betrieb einzusteigen, würde er ihm eine Ausbildung in einer sehr guten Bäckerei in Deutschland nahelegen. Tochter Melissa, die Älteste, die in London ein Studium des Rechts und der Kriminalistik abgeschlossen hat, steht derzeit regelmäßig hinter der Ladentheke. „Ich liebe die Bäckerei und auch das Geschäftliche und ich denke, dass mir der Umgang mit den Kunden auch sehr liegt“, sagt sie. Sie wolle allerdings erst „sehen, wie es woanders auf der Welt ist“, bevor sie darüber nachdenken könne, für immer auf der Insel zu bleiben. Tochter Shanna, die in Den Haag studiert, werde wohl im Ausland bleiben. Ob der jüngere Bruder Tim-Oliver die Bäckerei Zipf übernehmen will, sei noch nicht klar. „Das Wichtigste ist, dass meine Kinder machen, was sie machen wollen“, sagt Oliver Zipf.
Er selbst hat sich entschieden: „Auch wenn ich in meinem Herzen Deutscher bin und weiß, wie gut es uns Deutschen im Vergleich zu Menschen in anderen Ländern geht – ich werde nie mehr hier weggehen“, sagt er - und gibt sich als FC Bayern-Fan zu erkennen. Auch Marcus denkt nicht daran, die Insel zu verlassen. Er hat seit 2019 eine Hündin, mit der er viel wandert. „Es ist einfach schön“, freut er sich.